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BASEL/ Theater: DER FREISCHÜTZ in einer Marthaler-Inszenierung. Premiere

16.09.2022 | Oper international

Theater Basel: “Der Freischütz” – Pr. 15.9.2022

der freischuetz photo ingo hoehn
Photo: Ingo Höhn

Obwohl eine Jagdlieder schmetternde, das deutsche Volkstum verehrende Männergesellschaft, wo ein Mann seine Braut nur nach einem Meisterschuss vor den Altar führen darf, heutzutage reichlich anachronistisch wirkt, hat sich der Freischütz doch seinen festen Platz im Opernrepertoire bewahrt. Zu gut seine Musik, zu einzigartig die Balance zwischen Brauchtum und romantischer Oper, zu wesentlich der durch diese Oper ausgelöste Sprung von der Klassik zur Frühromantik, zu stark der Einfluss auf spätere Komponisten wie Wagner und Richard Strauss: Kein Wunder wurde Weber nach der umjubelten Premiere als Erfinder der deutschen Nationaloper gepriesen.

 Christoph Marthaler verlegt die Handlung – zunächst nachvollziehbar – in das nüchterne Vereinslokal eines Schiessclubs. Deren Mitglieder sitzen isoliert an den verschiedenen Tischen, vereint lediglich in ihrem Hang zum Bier, langatmigen Statuten und Jagdliedern. Marthaler bleibt aber in dieser Tristesse hängen, treibt sie noch auf die Spitze durch mechanische Textwiederholungen, deren Endlosschleifen die Protagonisten nicht entkommen können. Statt der Langatmigkeit des Originals entgegenzuwirken, hat Marthaler das Stück in Einzelteile zerlegt, gemischt, ausgetauscht, und nicht nur jede Menge neuen Text eingefügt, sondern die Volkstümlichkeit noch durch zusätzliche Jagdlieder zelebriert. Ob nun Jagdzitate von Kafka und Busch herhalten müssen, die Mitglieder sich einem Jagd-Vokabeltest unterziehen müssen, oder in zäher Länge gewonnene Pokale aufgezählt werden: Als hätte Marthaler “Jagd” gegoogelt und alles an Jagdliedern und Jagdzitaten aufgefahren, das er finden konnte.

So dauert es ewig bis der Spottchor erklingt, bei dem Max immerhin bühnenwirksam das Gewehr in Einzelteile zerfällt. Lustige Einfälle, wie das wiederholte Herunterfallen des Bildes oder die Bierhumpen im Rhythmus eines Chores auf den Tisch zu knallen, wechseln sich ab mit ellenlangen Texten wie der Wahlkreisrede, bei der immer wieder Wörter ausgelassen werden, um deren Sinnlosigkeit zu demonstrieren. Magische Momente, wie die Abblendung des Lichts während des leiser werdenden Chors “wenn die Büchse knallt”, sind eher selten.

 Dirigent Titus Engel hat sich dazu entschieden, das Orchester beinahe in Originalbesetzung, also im Streicherbereich stark verschlankt zu besetzen, im Vergleich zu den sonst üblichen monumental-schwülstigen Tönen eine Offenbarung, kommen doch so auch die Naturbläser (die dafür auch mal richtig loslegen dürfen) besser zur Geltung. Dass das Orchester für die Ouvertüre vom Graben hoch auf Bühnenniveau gehoben wird, ist ein genialer Schachzug.

Ännchen, meist mit einer jungen Dame besetzt, wird hier von einer gestandenen Schauspielerin als Amme verkörpert. Das perfekte Englisch von Rosemary Hardy (ein fester Teil der Marthaler-Familie) machen den running gag von Agathes “what” und der darauffolgenden englischen Übersetzung Ännchens zumindest erträglich. Die gelegentlich fehlende Kraft der Stimme macht Hardy durch ihr umwerfendes Schauspiel mehr als wett. Es wird schwierig werden, sich nach ihr ein jüngeres Ännchen anzusehen.

Auch die Besetzung der Agathe mit der erfahrenen amerikanischen Sängerin Nicole Chevalier entspricht nicht ganz dem Bild der jungfräulichen Braut, passt hier aber perfekt zum Protagonisten. Mit ihrer kraftvollen schönen Stimme mit schönen Höhen, die sowohl Drama als auch leise kann, überspielt Chevalier locker, dass sie ganze Arien fast regungslos sitzend singen muss. Mit Abstand die beste Stimme des Abends.

 Denn Rolf Romei als Max ist stimmlich durchwachsen und wird oft vom Orchester übertönt. Mag sein, dass seine reduzierte Form auch mit der Inszenierung zu tun hat, die ihn als lächerliche Figur, als zaudernden Schwächling darstellt, der seinen Kopf auch mal in den Spind steckt und es nicht einmal schafft, seine Waffe zusammenzusetzen, wenn er sich nicht gerade zuckend am Boden wälzt.

 Da ist es kein Wunder, dass der Auftritt des Abends dem Fiesling gehört: Der deutsche Bariton Jochen Schmeckenbecher spielt und singt den Kaspar in bester Jago-Manier, obwohl die Koloratur-Partitur gar nicht so schaurig ist, überzeugend eifersüchtig und bösartig. Sein Fluch im Sterben lässt den Zuschauer endlich mal erschauern. Denn das konnte er bisher nicht: Der dramatische Höhepunkt in der Wolfsschlucht mitsamt tosendem Gewitter, wilden Tieren und Heraufbeschwörung Satans fällt komplett der Inszenierung zum Opfer, da weiterhin alles im öden Vereinscafé stattfindet.

Wenig hilfreich ist auch, dass der Eremit auch den Samiel spielen muss, zwar noch irgendwie verständlich als zwei Seiten der Medaille des gut-göttlichen und des bös-teuflischen (und beides grossartig gespielt und gesungen von dem jungen polnischen Bassbariton Jasin Rammal-Rykała), das zieht dem teuflischen Pakt mit Kaspar aber irgendwie den Wolfszahn.

Trotzdem, das auftrumpfende Basler Kammerorchester unter grandioser Leitung von Titus Engel, der ausgezeichnete Chor des Theater Basel unter der bewährten Leitung von Michael Clark sowie die ungewöhnliche aber erfolgreiche Wahl der Protagonisten und Nebenrollen (erwähnt werden sollten auch der ausgezeichnete Schauspieler mit überraschender Singstimme Raphael Clamer als Kilian, die warme Stimme von Karl-Heinz Brandt als Ottokar und die soliden Leistungen von Andrew Murphy als Kuno sowie Ueli Jäggi als schwarzen Jäger) machen die Aufführung trotzdem mehr als sehenswert.

Schön, dass das Orchester für den Schlussapplaus wieder aus der Versenkung geholt wird: Der einzige Regieeinfall, den man zweites Mal sehen möchte. Das Basler Publikum war mit seinen Buhrufen für Marthaler und tosendem Applaus für das Orchester, Chor und Sänger derselben Meinung.

Alice Matheson

 

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