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BASEL/ Theater: DAS VERSPRECHEN von Friedrich Dürrenmatt. Neuinszenierung

am 22.11. (Peter Heuberger/ basel)

22.11.2018 | Theater

Theater Basel: „DAS VERSPRECHEN“    Friedrich Dürrenmatt
Regie: Nora Schlocker
Premiere: 16. November 2018  Besuchte Vorstellung: 22. November 2018


© Sandra Then. Carina Braunschmidt und Michael Wächter

Friedrich Dürrenmatt „Requiem auf den Kriminalroman“

Was verspricht ein Abend mit Dürrenmatts Versprechen: Gähnende Langeweile oder spannendes Erlebnis; das ist hier die Frage? Nach dem Film „ES GESCHAH AM HELLLICHTEN TAG“ mit einem Staraufgebot wie Heinz Rühmann, Gerd Fröbe, Siegfried Lowitz und vielen anderen ist diese Frage berechtigt.

Die Antwort jedoch ist schnell gegeben: Die Regiearbeit von Nora Schlocker ist absolute Spitze. Die Regisseurin schafft es, den Roman auf der Bühne lebendig zu machen, das Werk Dürrenmatts zwingend zu visualisieren, die Geschichte verständlich zu erzählen.
Ihre Sichtweise auf die Problematik der Gewalt, Gewalt gegen Kinder, Gewalt der Polizei, aber auch die Ohnmacht der Justiz gegenüber ebendieser Gewalt wird vom gesamten Team dank ihrer hervorragenden Personenführung stringent gespielt.
Und diese Personenführung hat es in sich: Neben den Schauspielern des Theater Basel tummeln sich auf der Bühne auch Mitglieder der Basler Mädchenkantorei und der Basler Knabenkantorei. Und diese sind nicht nur Statisten, sondern wesentlich Mitspieler im ganzen Stück. Die beiden Chöre sind auch für die gesamte Musik verantwortlich. Sie singen, respektive vokalisieren live und als Einspielung den „Soundtrack“ zum Versprechen. Dies tun sie mit einer bewundernswerten Professionalität. Die Musik wurde von Marcel Blatti geschrieben. Die Einstudierung der Mädchenkantorei besorgte Marina Niedel und Oliver Rudin jene der Knabenkantorei.

Warum die permanente Anwesenheit der Kinder auf der Bühne: Dazu Nora Schlocker:

Ich hatte von Anfang an eine grosse Sehnsucht, mit dem Stoff unmittelbar, schrankenlos die Zuschauer zu tangieren, zu berühren. Und den Fokus auf die Angst zu legen. Da war klar, dass wir, damit die Fallhöhe des Abends stimmt, <echte> Kinder auf der Bühne brauchen. Was ist, wenn in einem Wimmelbild von zwanzig Kindern auf dem Spielplatz mein eigenes plötzlich fehlt?
Dann haben wir die Dimension der Kinder noch insofern erweitert, als wir uns für eine Zusammenarbeit mit der Mädchen- und Knabenkantorei Basel entschieden haben. Einerseits, um dadurch eine wundervoll komplexe musikalische Ebene schaffen zu können – die Kinder tragen diesen Abend musikalisch allein. Zudem steht ihr Klang aber auch für die Stimme der Kinder im Allgemeinen, das heisst, immer wenn wir die Musik hören, haben wir auf eine Art auch den Blick der Kinder auf das Geschehen, ihre Perspektive, ihre Zeugenschaft mit dabei. © Theater Basel

Für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet Marie Roth. Sie entwarf auch die Kostüme. Die Bühne war unaufdringlich und unterstrich die Intentionen der Regisseurin. Für mich stellt sich die Frage, ob die Glasscheiben wirklich nötig sind. Die bedingen nämlich wiederum den Einsatz von Mikrophonen. Gäbe es keine andere Möglichkeit die Ideen der Regisseurin zu verwirklichen. Da sehr viele Szenen vor Bühnentrennung spielen fällt der qualitative Unterschied in der sprachlich/schauspielerischen Leistung der ProtagonistInnen auf. Die Subtilität der Expression geht über die Mikroportanlage zu einem grossen Teil verloren, dazu kommt, dass die Ortung des Schauspielers nicht mehr möglich ist, alles kommt aus einem Lautsprecher welcher fix montiert ist. Eine kurze Szene ist für dieses Phänomen typisch: Matthäi und Ursula unterhalten sich extrem links auf der Bühne, ihr Gespräch jedoch kommt hoch oben aus der Mitte. Das stört. Für mich ist es wichtig, dass der optische Eindruck mit der akustischen Ortung übereinstimmt, dies überdies nicht nur im Sprechtheater. Wobei ich betonen muss, dass Frau Schlocker den Einsatz der Mikrophone auf das durch den Bühnenaufbau bedingte Minimum beschränkt.

Ein Höhepunkt des Abends war der Abschluss, die Auflösung des „Requiems“ durch Frau Schrott, hervorragend gespielt von Carina Braunschmidt. Ihr Monolog ist etwas vom Besten, welches ich in der letzten Zeit im Sprechtheater erleben konnte. Dazu kommt, dass Braunschmidt neben dieser Rolle noch vier andere Parts spielt: Gritlis Mutter, Lehrerin, Reinigungsfachkraft und Frau Heller.
Eine spezielle Erwähnung verdienen die Kinderrollen: Das ermordete Gritli, gespielt von Ellen Reichen. Diese Rolle verlangt eine grosse Körperbeherrschung! Ellen meisterte diese Schwierigkeit hervorragend.
Die Rolle von Ursula, als Anführerin und Gritlis beste Freundin wurde dargestellt von Muriel Becher.
Hervorragend die kindliche Schauspielkunst von Annemarie, Frau Hellers Tochter. Auf der Bühne zu sehen war Livia Jost. Ihre Mimik, ihre Körpersprache, ihre Sprache und ihr Verständnis für die Dramaturgie kann nur als professionell bezeichnet werden. Frau Schlockers Personenführung dieser Rolle, der Rolle des Köders für den Mörder, gehört in die absolute Spitzenklasse.
Michael Wächter als Kommissär Matthäi interpretiert seine Rolle extrem introvertiert und eher diskret, aber sehr intensiv, mit viel Emotion und Körpereinsatz.
Als Kommandantin der Kapo Zürich sehen wir Cathrin Störmer mit hervorragender Diktion, einer Sprachverständlichkeit welche im modernen Sprechtheater leider nicht mehr immer zu finden ist.
Etwas farblos erscheint Urs Jucker als Polizeiwachtmeister Henzi in seinem ersten Kriminalfall. Diese Farblosigkeit/Unsicherheit muss man dem auf der Bühne starken Eindruck der Polizeikommandantin und des Kommissars Mathäi zuschreiben. Dies wiederum bedeutet, dass Jucker den Henzi richtig interpretiert.
Sehr überzeugend spielt Steffen Höld den Hausierer von Gunten. Seine Reaktion auf das zwanzigstündige Verhör ohne Anwalt, sein aus der Hilflosigkeit entstandenes Geständnis (Fake) und sein Selbstmord sind als politisch sehr aktuell.
Für die ausgezeichnete Dramaturgie kann Carmen Bach nur gratuliert werden. Dasselbe gilt für den Lichtdesign von Cornelius Hunziker.

Das zahlreich erschienene, zum grossen Teil junge Publikum, das Schauspielhaus war praktisch ausverkauft, bedankte die Leistung des gesamten Teams mit langanhaltendem, stürmischem Applaus.

Peter Heuberger Basel

 

 

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