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BASEL / Theater Basel/ große Bühne: DIE TOTE STADT

18.10.2016 | Oper

Basel – Theater Basel – Grosse Bühne – „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold  – besuchte Aufführung: 15.10.16 (vierte Vorstellung des Werks)

Der Saal des Theater Basel füllt sich allmählich mit den Zuschauern, welche leider nur in einer recht überschaubaren Anzahl den Weg in die Aufführung finden. Weniger als die Hälfte der Karten sind verkauft. Dies liegt nicht etwa an einer schlechten Darbietung des Hauses. Ganz im Gegenteil. Ein Grund für den mittelmässigen Kartenverkauf ist womöglich der Titel der Oper, welcher für die Meisten eher unbekannt ist und darum auch gleich als uninteressant abgestempelt wird. Ähnlich wie bei exotischen Gerichten gilt auch hier das Sprichwort: „Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht“. Die tote Stadt ist eben nicht mit der Popularität einer „Walküre“ oder eines „Rigolettos“ gesegnet. Zu Unrecht, denn sie hat sich alles andere als hinter ihrer Konkurrenz zu verstecken. Wer sich dennoch entschliesst die Aufführung zu besuchen, auch wenn der Titel einem eben nicht geläufig ist, erlebt drei Stunden Operngenuss vom Feinsten mit einem derartigen Suchtpotential, so dass wohl noch mehrere Besuche dieses fantastischen Werks folgen werden.

Sobald sich die ersten Klänge aus dem Orchestergraben erheben, ist man einer Gefühlsachterbahn ausgesetzt. Es ist einfach fantastisch und ein grosser Genuss dem Können des Orchesters und der Interpretation des musikalischen Leiters zu lauschen. Das Sinfonieorchester Basel spielt unter der Leitung von Björn Huestege eine zügige, gefühlvolle, bedrohliche sowie ergreifende Aufführung. Huestege versteht es neben vollen und satten Orchesterklängen Raum für leise Töne zu schaffen, dirigiert sehr leidenschaftlich und ist stets Herr der Lage. In seltenen Fällen übertönt das Orchester die Sänger, was nicht optimal aber auch nicht weiter schlimm ist, weil das komplette Libretto am oberen Bühnenrand wiedergegeben wird. Dies ist auch nötig, weil die Diktion der Sänger und Sängerinnen nur bedingt einen zufriedenstellenden Eindruck macht.

Das Sängerensemble ist grossartig besetzt. Helena Juntunen gelingt eine sinnliche Interpretation der sehr anspruchsvollen weiblichen Hauptpartie. Diese ist eine Doppelbelastung, weil Juntunen die Rolle der jungen Tänzerin Marietta und jene von Maria verkörpert, welche die verstorbene Ex-Frau der männlichen Hauptpartie Paul ist. Die finnische Sopranistin schafft es diesen zwei Rollen völlig verschiedene Charaktertypen einzuhauchen. Gesanglich ist ihre Darbietung auf höchstem Niveau. Die anspruchsvollen Höhen bereiten ihr keinerlei Schwierigkeiten sondern überzeugen mit einer enormen Stimmgewalt ihrerseits. Die männliche Hauptpartie Paul wird von Tenor Rolf Romei gesungen, der seine Rolle mit dermassen viel Gefühl, Leidenschaft und Ausdruck erfüllt, dass man ihm sein Befinden zu jeder Zeit abnimmt und sich gezwungen fühlt mit ihm mitzuleiden. Wenige Unsicherheiten im dritten Akt können jedoch ohne weiteres aufgrund seiner überwältigenden Darstellung des psychisch angeschlagenen Witwers verschmerzt werden. Auch der Rest des Sängerensembles überzeugt. Der Bariton Sebastian Wartig bewegt mit seiner Interpretation von Frank, des fürsorglichen Freundes von Paul. Gleichzeitig erregt er aber Missmut mit seiner sehr bösen Personifizierung des Fritz, welcher ebenfalls der schönen Marietta harrt und sich somit als Konkurrent von Paul herauskristallisiert. Auch dies ist eine sehr anspruchsvolle Doppelrolle. Eve-Maud Hubeaux, welche die Partie der langjährigen Haushälterin von Paul singt, ist ein kleines Highlight für sich. Sie sorgt mit ihrem schönen Timbre für eine wundervolle gesangliche und szenische Darbietung ihrer Rolle. Karl-Heinz Brandt, Ye Eun Choi, Nathan Haller und Sofia Pavone überzeugen mit ihrer spritzig-frechen Darstellung der Schauspieltruppe und sorgen für den einen oder anderen amüsanten oder verstörenden Moment. Auch der Chor unter der Leitung von Henryk Polus, der zwar nur einen  kleinen Auftritt hat, sorgt für stimmige Momente. Gerne hätte man mehr gehört.

Die szenische Umsetzung des Stücks ist ebenfalls sehr gelungen. Simon Stone inszeniert mit sehr viel Liebe zum Detail und holt das Bestmögliche aus seinem Ensemble. Die Personenführung ist exzellent und die Gefühle wirken echt und glaubwürdig. Es ist eine moderne, entstaubte Inszenierung, welche Hand und Fuss hat. Sie erlaubt es dem Zuschauer, sich mit den Rollen zu identifizieren und wirft ihn mitten ins Geschehen.

Das intelligente Bühnenbild von Ralph Myers harmoniert perfekt mit der Inszenierung und der Musik. Es sind Wohnungskomplexe, welche beliebig miteinander verbunden werden und somit für grosse Abwechslung und szenische Spielereien sorgen. Ob die grossen Filmplakate an den Wänden eine Anspielung darauf sind, dass der Komponist Erich Wolfgang Korngold auch bekannte Filmmusik schrieb, bietet Raum für Interpretation. Auch die Drehbühne wird gekonnt eingesetzt, damit Veränderungen des gerade nicht sichtbaren Teils möglich sind. Somit hängen immer wieder andere Bilder an den Wänden, Requisiten sind chaotisch wie durch Geisterhand in der zuvor noch ordentlichen Wohnung verstreut worden etc.  Die Beleuchtung von Roland Edrich ist stimmig und fügt sich gut in die Inszenierung ein. Auch die Kostüme von Mel Page geben die Charaktereigenschaften der Rollen wieder und untermalen die sehr realistische und szenische Interpretation des Regisseurs.

Das Publikum dankt es allen Beteiligten mit langem Applaus sowie vielen Bravorufen. Dies zurecht. Zu hoffen bleibt, dass das öffentliche Interesse an diesem aussergewöhnlichen Opernerlebnis zunimmt und mehr Zuschauer den Weg ins Theater finden.

Philipp Borghesi

 

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