Basel: Theater Basel – «Der Ring – ein Festival» – Grosse Bühne – Wagner: Das Rheingold III– Die Walküre II- Sinfonieorchester Basel – Benedikt von Peter (Inszenierung) – Jonathan Nott (musikalische Leitung)
– 24. / 25.09.2023
Der Ring in Basel – Ein Festival der Sinne und der Vielfalt
Intendant Benedikt von Peter wagt sich nach weit über 40 Jahren in Basel wieder an Richard Wagners «Ring des Nibelungen». Dabei hat er begriffen, dass gerade DIESES weltumspannende Monumentalwerk mehr ist, als das blosse Aufführungen von vier Opern mit Cüpli-Plausch während der Pause und zieht gleich ein ganzes Festival auf, bei welchem mit verschiedenen Zusatzveranstaltungen viele Schwerpunkte des «Rings» beleuchtet werden. Das beginnt ganz profan im Theatercafé und an der Foyer-Bar, wo nebst dem gewohnten Angebot auch Bayreuther Bier und Brezen angeboten werden. Nicht nur deshalb lohnt es sich, frühzeitig ins Theater Basel zu pilgern. Jeweils vor den «Rheingold»-Aufführungen erklingt auf dem Theaterplatz der «Rheinklang – ein Chorritual», bei dem der Chor und Extrachor des Theaters Basel, die Kantorei St. Arbogast sowie der Motettenchor Region Basel den Rhein – zumindest Teile davon kesselweise – durch die Stadt zum Theater bringen (Choreographie: Imogen Knight) und dabei eine von Matthew Herbert arrangierte Version des Rheingold-Vorspiels singen. In «Gold, Glanz und Gloria» (Inszenierung: Regine Dura, Hans-Werner Kroesinger) wird die Rolle Basels im Sklavenhandel und die Geschichte der Basler Mission beleuchtet. Mit dem Thema Leitmotiv beschäftigt sich der «Yopougon-Ring» von Hauke Heumann, Monika Gintersdorfer, Knut Klassen. Dabei wird ein eigenes musikalisch-tänzerisches Leitmotiv-System erschaffen. Wie schon in Bayreuth ist auch in Basel viel Zusätzliches, Spannendes rund um den «Ring» zu erfahren und zu erleben; dabei wird der traditionelle Rahmen nicht selten gesprengt – Entdeckergeist ist gefragt!
Noch ist alles Märchen: Alberich und die Rheintöchter, beobachtet von Klein-Siegfried und Klein-Brünnhilde (Foto: Ingo Höhn)
Waren am Premierenabend Anspannung und Aufregung noch spürbar, so präsentiert sich die dritte «Rheingold»-Aufführung am 24. September bestens eingespielt und in technischer Perfektion. Die Grundidee der Inszenierung bleibt dieselbe: Ein paar Minuten vor dem Weltenbrand fragt sich Brünnhilde, wie das alles so kommen konnte – schliesslich war man doch eine glückliche Familie … – und lässt die ganze Geschichte generationsübergreifend vor ihrem geistigen Auge revuepassieren. Dabei verliert die Heldin step by step ihre bisherige kindliche Sichtweise auf ihren Übervater Wotan und den Rest der Familie. Sie beginnt Zusammenhänge zu entschlüsseln und zu verstehen. Was Kinder – und so eines war Brünnhilde ja auch – als abenteuerliches Spiel wahrnahmen, entwickelt sich jetzt zu bitterem Ernst: «Wir sind schuldig geworden!» Im Verlaufe der Geschichte wird der Sinnenden je länger desto mehr bewusst, was ihr und allen anderen angetan wurde. All dies und noch viel mehr wird dann wohl den Ausschlag dafür geben, dass Brünnhilde dieses Weltsystem in Brand setzen wird. Doch das ist vorerst spekulative Zukunftsmusik, momentan stehen wir «erst» bei den ersten beiden Teilen der Tetralogie.
Loge der Extraklasse: Michael Laurenz (Foto: Ingo Höhn)
Musikalisch lässt dieser «Rheingold»-Abend keine Wünsche offen. Das im Boden versenkte, für das Publikum wie in Bayreuth nicht sichtbare Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Jonathan Nott präsentiert sich in allerbester Wagner-Laune und spielt fein differenziert mit herrlichen Klangbogen. Das von Regisseur von Peter angestrebte Bayreuther Klangbild gelingt ausgezeichnet. Unter diesen schwierigen, äusserst anspruchsvollen Umständen schafft es Maestro Nott hervorragend, Orchester sowie Sängerinnen und Sänger durch den Abend zu führen, sämtliche Einsätze funktionieren bestens.
Brünnhilde beschreibt in ihren eingangs gesprochenen Worten Wotan als grossen Märchenerzähler. So überrascht es nicht, dass die Rheintöchter als Nixen und Alberich als Kröte, so wie ihn Wotan nennt, als grosse (Stab)puppen (Puppenspiel: Stephan Q. Eberhard) durch schwarz gekleidete Puppenspieler und -spielerinnen über die Bühne geführt und bewegt werden. Die Sängerinnen Inna Fedorii (Woglinde), Valentina Stadler (Wellgunde), Sophie Kidwell (Flosshilde) begleiten, schwarz gekleidet, die Puppen und vervollkommnen mit frischem Gesang die Illusion vom Bad im Rhein. Andrew Murphy – an der Premiere indisponiert und deshalb stimmlich eingeschränkt – präsentiert heuer einen prächtigen Alberich. Nach dem Goldraub verlässt die Geschichte das Fabelreich, Alberich steht von nun an als Mensch auf der Bühne. Andrew Murphy verfügt über grosse Bühnenpräsenz und meistert die Partie mit viel Leidenschaft und glaubhafter Wut. Äusserst intensiv gerät dem Sänger die Verfluchung des Rings. Eindringlich weckt Solenn’ Lavanant Linke als Fricka ihren Göttergatten aus seinen durch Schampus versüssten Träumen. Sofort wird klar: Das wird keine resignierte, frustrierte Göttin, sondern eine kämpferische Persönlichkeit, welche durchaus Züge einer Furie erkennen lässt. Der Regisseur zeigt auch, dass Fricka nicht nur im Hintergrund, sondern auch höchst direkt intrigierend ins Geschehen eingreift. Leidenschaftlich keifende und kämpfend verleiht Frau Linke mit herrlichem Gesang und toller Diktion der Fricka eine ganz besondere Persönlichkeit.
Wotan – stets unter Frickas wachsamem Auge: Nathan Berg, Solenn’ Lavanant Linke (Photo: Ingo Höhn)
Nathan Berg gelingt von der ersten bis zur letzten Note ein grandioser Wotan. Er meistert die Partie mühelos mit viel darstellerischem und gesanglichem Biss. Ihm zur Seite Michael Laurenz als Loge – schlicht und ergreifend genial! Für diesen Sänger – und Darsteller! – ist die Einladung auf den Bayreuther «Grünen Hügel» mehr als nur fällig! Michael Borth und Ronan Caillet überzeugen gesanglich und in der Darstellung als Donner und Froh, Lucie Peyramaure bildet als Freia ein eigenes Highlight. Zwei stämmige, stimmlich kräftige Riesen erleben wir in Basel dank Thomas Faulkner als Fasolt und Runi Brattaberg als Fafner. Fasolt wird von Beginn an als in Freia verliebter Mann gezeichnet. Manieren hat er auch, bringt er doch zum «Werbungsbesuch» ein Blümchen für die Angebetete mit. Fafner erscheint als hemdsärmliger Handwerker mit Businessmann-Ambitionen, dem dann selbst sehr daran gelegen ist, das Gold zu erheischen, während sein Bruder an der Liebe zu Freia hängen bleibt. Bei Karl-Heinz Brandt, Meister im Charakterfach, ist Mime in allerbesten Händen. Quirlig in der Darstellung und gesanglich überzeugend weckt der Tenor beim Publikum die Vorfreude auf seine grosse Geschichte in «Siegfried». Einen besonders intensiven Moment beschert uns Hanna Schwarz, welche zur grossen Freude des Basler Publikums in unterschiedlichsten Partien immer wieder den Weg ins Theater der Stadt am Rheinknie findet. Souverän und makellos meistert die Sängerin die musikalischen Höhen und Tiefen der Erda mit höchster Eindringlichkeit.
Dass zu Beginn des langanhaltenden Schlussapplauses zwei Buh-Rufer chancenlos ihrem Unmut über die Inszenierung Ausdruck verleihen, verstärkt letzten Endes das «Bayreuth-Feeling», welches nun am Theater Basel herrscht, nur noch mehr. Grosser Jubel für alle Aufführenden auf der Bühne, das Sinfonieorchester Basel und den Dirigenten Jonathan Nott – und fiebernde Vorfreude auf die «Walküre» am nächsten Tag.
Einen Tag nach dem «Rheingold»-Fest legt das Theater Basel mit der «Walküre» noch einen Zahn zu. Die Inszenierung ist in sich gefestigt und zeigt erneut auf, wie man die ganze Geschichte auch auslegen kann. Auch hier lässt Regisseur Benedikt von Peter Brünnhilde darüber sinnieren, wie der ganze Scherbenhaufen, vor welchem sie gerade sitzt, entstehen konnte. Und diesmal ist es keines von Wotans Märchen mit Fabelwesen, welche durch Puppen verkörpert werden. Alberich ist nicht mehr die kümmerliche Kröte, sondern der ernst zu nehmende Feind. Einzig, wenn Wotan Brünnhilde seinen Kummer anvertraut, bedient sich der Gott kleiner Plüschfiguren zur Illustration des Erzählten, welches Brünnhilde trotz allem nicht versteht. Das ist eigentlich nur verständlich, denn sie hat von ihrem Vater gelernt «zu lieben, wen du (Wotan) geliebt». Deshalb entsteht auch der fürchterliche innere Konflikt für beide, wenn es darum geht, Siegmund für die Gesetze, welche Wotan ja selbst gab, zu opfern. Bei diesem Handlungsstrang macht Regisseur von Peter einen mutigen Schritt: Wotan, stets präsent und die Protagonisten lenkend, beobachtet Brünnhilde sehr wohl bei der Todesverkündigung. Als die Walküre beschliesst gegen die Anweisung des Gottes zu handeln, breitet er überglücklich seine Arme nach seiner Tochter aus – denn Brünnhilde ist soeben bereit, sein «innerstes Sinnen» zu erfüllen – «Wer bist du, als meines Willens blind wählende Kür?» – wenn da jetzt nicht Fricka, welche ihrem Gatten «Tag und Nacht auf den Fersen folgt» dazwischenkäme. Jetzt wird klar: Mit der Durchsetzung von Wotans Eid hat der Gott die Zügel unbewusst an Fricka abgegeben und «dient ihr jetzt quasi als Knecht». Donner und Froh dienen der furiosen Göttin als Schergen und Handlanger. Fricka hat sich emanzipiert; die Machtverhältnisse in Walhall haben sich geändert. – Dies ist nur ein interessanter Aspekt, den es in dieser Inszenierung zu entdecken gibt. Es bleiben auch Fragezeichen, zum Beispiel: Worin liegt der Sinn, dass Sieglinde und Siegmund am Schluss des ersten Aktes voneinander getrennt werden und sich Siegmund mit Augenbinde und Gehörschutz in Walhall wiederfindet? – Und schon ist wieder Stoff für auf- und anregende Diskussionen unter den Opernfreunden gegeben. Der Bayreuther Festspielgeist erreicht erneut die Stadt am Rheinknie.
Musikalisch ist der Abend ein wahres Fest. Das Sinfonieorchester Basel musiziert unter Jonathan Nott erneut grossartig für das Publikum nicht sichtbar im «Untergrund» und wie schon im «Rheingold» dürfen wir auch heuer ein nahezu perfektes Bayreuther Klangerlebnis geniessen. Ein besonderes Lob verdient das Solo-Cello im ersten Akt.
Ric Furman und Theresa Kronthaler geben mit ihren jugendlich timbrierten Stimmen ein leidenschaftliches Wälsungenpaar. Da stimmt einfach alles: musikalische Phrasierung, Diktion, Ausdruck, Zusammenspiel. Ric Furman liefert herrliche Wälsungenrufe und doppelt beim «Wälsungenblut» gleich nochmals nach. Beiden nimmt man jede Note, jede Emotion jederzeit ab – alleine deshalb gerät der erste Akt zur Sternstunde. Dem wild verzweifelten Zwillingspaar steht mit Aryom Wasnetsov ein rabenschwarzer, abgrundtief böser Hunding gegenüber. Herrlich kraftvoll und mit exzellent geführter Stimme bedroht der hünenhafte Sänger das Wälsungenpaar.
Gebrochen ist unser Bund: Trine Moller, Nathan Berg (Foto: Ingo Höhn)
Trine Moller, welche wir bislang nur die Zwischentexte sprechend erlebt haben, legt mit ihren grossartigen Hojotohos die musikalische Messlatte bereits zu Beginn des zweiten Aktes sehr hoch. Auch ihre Stimme ist jugendlich timbriert. Sie gestaltet eine leidenschaftliche Brünnhilde, welche sowohl die kraftvoll lauten als auch die tragisch-sensiblen stillen Passagen mit Leben füllt und so das Publikum in ihren Bann zieht. Nathan Berg setzt im zweiten Akt mit seiner grossen Stimme grandios an und liefert einen kraftvollen Wotan. Seine Ausbrüche geraten ihm furios – vielleicht auch etwas zu sehr, denn im dritten Akt zeigen sich bei Herrn Berg zu Beginn ein paar kleine Ermüdungserscheinungen beim Aussingen der Endungen. Der Sänger fängt sich jedoch wieder und berührt mit einem wunderbaren Abschied von Brünnhilde.
Solenn’ Lavanant Linke begeistert als kämpferische, energische Fricka. Sie führt ihre schöne Stimme sicher. Sie gestaltet Wotans Ehefrau nicht als diejenige, welche sich nach dem Disput mit ihrem Gatten und dem diesem abgewonnenem Eid zufrieden aufs Altenteil zurückzieht – nein, Fricka entdeckt für sich die Macht und nimmt ihrem Angetrauten gnadenlos die Zügel aus der Hand – ohne, dass sich dieser dessen bewusst wird. Sie lässt ihn im Glauben an seine Machtposition; denn schliesslich soll Wotan letzten Endes das, was er angerichtet hat, auch ausbaden.
Lucie Peyramaure (Helmwiege), Sarah Marie Kramer (Gerhilde), Sarah Brady (Ortlinde), Jasmin Etezadzadeh (Waltraute), Valentina Stadler (Siegrune), Camille Sherman (Rossweisse), Sophie Kidwell (Grimgerde) und Marta Herman (Schwertleite) zählen zu den besten Walküren-Oktetten, welche ich seit vielen Jahren gehört habe. Musikalischer Walküren-Power pur. Die Damen rocken die Bühne im wahrsten Sinne des Wortes – herrlich!
Die ersten beiden Teile des Basler «Rings» sind, meiner Meinung nach, für alle, welche Wagners musikalisches Werk lieben, unverzichtbar. Wer sich gerne mit dem Stoff der Tetralogie auseinandersetzt, dabei offen für neue Ansätze bleibt (und nicht alles gleich als «falsch» verteufelt, aber auch nicht alles gutheisst), findet hier wunderbare Möglichkeiten, Spannendes zu erleben.
Michael Hug