Basel: Stadtcasino Basel – “Romeo & Julia” – Sinfonieorchester Basel – Friederike Starkloff (Violine) – Mirga Grazinyte-Tyla (Leitung)
– 23.10.2024
Einen emotionalen Bilderbogen präsentiert das Sinfonieorchester Basel (SOB) in seinem jüngsten Konzert im Oktober. Der beeindruckende, starke Abend beginnt mit dem «Gebet für die Ukraine (2014)» von Valentin Silvestrov im Arrangement für Orchester von Andreas Gies aus dem Jahr 2022. Das Stück entstand im historischen Umfeld des Endes der Kundgebungen auf dem Maidan Nesaleschnosti (Platz der Unabhängigkeit) in Kiew. Der Komponist, welcher sich während der lange andauernden Protesten nicht selten unter die Demonstrierenden mischte, verarbeitete seine Eindrücke als eine Art «musikalisches Tagebuch», welches unter dem Titel «Maidan 2014» hätte erscheinen sollen. Kurz nach Ausbruch des Ukraine-Krieges wanderte Silvestrov nach Berlin aus, von wo aus er mit seiner Musik auf reges Interesse und Solidarität stiess – seine Musik wird weltweit von Orchestern und Ensembles gespielt. Und so gelangt nun das «Gebet für die Ukraine» auch ins Stadtcasino Basel – ergreifend umgesetzt durch das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Mirga Grazinyte-Tyla, welche ihr drittes Konzert mit dem SOB bestreitet. «Das Verletzliche ist das Bedeutende. Das Kleine, das jeder Mensch versteht. Im Kleinen entsteht das Gute. Und wenn es dort entsteht, kann auch im Grossen Gutes entstehen», lässt sich der Komponist zitieren. Und eben diese Verletzlichkeit, gepaart mit dem Funken Hoffnung, dass daraus dann «auch im Grossen Gutes entsteht», setzen Dirigentin und Orchester bei der Aufführung der sechs Minuten dauernden Komposition um. Das Flehen und Hoffen auf das Gute ergreift die Zuhörenden ab der ersten Note. Die Musikerinnen und Musiker sind mit Herzblut dabei – berührend die ruhigen Streicher und die ausdrucksstarken Holzbläser. Flehen, beten und hoffen, dass der Wunsch nach Frieden und Menschlichkeit auf offene Ohren stösst. Beim ergriffen applaudierenden Publikum ist mit dieser berührenden Aufführung dieser wunderbaren Komposition die Message angekommen.
Eleganz und Leidenschaft: Friederike Starkloff, Mirga Grazinyte-Tyla, Sinfonieorchester Basel
(Foto: Benno Hunziker)
Friederike Starkloff ist seit der Saison 2023/24 Konzertmeisterin des SOB. Bereits schon in ihrer ersten Saison stellte sie ihre Fähigkeiten als musikalische Leiterin unter Beweis, als Ivor Bolton krankheitsbedingt absagen musste. Frau Starkloff meisterte diese kurzfristige Herausforderung mit Bravour – ich habe darüber berichtet. Jetzt tritt sie mit dem «Konzert für Violine und Orchester d-Moll, op. 47 (1905) von Jean Sibelius erneut in Erscheinung – diesmal als Solistin – und brilliert auch hier. Mit toller Technik und viel, viel Ausdruck gestaltet die Konzertmeisterin eine mitreissende Aufführung von Sibelius’ wunderbarem Violinkonzert. Das sensibel und mit grosser Spielfreude begleitende Orchester sorgt zusammen mit der Solistin für ergreifenden Musikgenuss. Dies ist nicht zuletzt der grosse Verdienst der Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla, welche mit Eleganz und Zierlichkeit Orchester und Solistin mit glasklaren Einsätzen und eindeutigen Anweisungen das Orchester leidenschaftlich durch den Abend leitet. Die junge Dirigentin, welche 2016 im zarten Alter von 29 Jahren dem City of Birmingham Symphony Orchestra vorstand und jetzt freischaffend unterwegs ist, zählt vollkommen zu recht zu den weltweit gesuchtesten Dirigentinnen und durchbricht so eindrücklich die «Männerdomäne».
Bei einer Dirigentin wie Mirga Grazintyte-Tyla und einem Orchester wie dem Sinfonieorchester Basel, welches ebenso leidenschaftlich bei der Sache ist und sich grossartig führen lässt, ist die Auswahl aus den Ballett-Suiten «Romeo und Julia (1935/46)» von Sergej Prokofiew in der Fassung von Mirga Grazinyte-Tyla in allerbesten Händen. Mit viel Kraft gepaart mit feinster Zartheit bringen Orchester und Dirigentin das grösste Liebesdrama aller Zeiten leidenschaftlich auf das Konzertpodium.
Grosser, freudiger Applaus des zahlreich erschienenen Publikums.
Michael Hug