Basel/Stadtcasino Basel-Das Sinfonieorchester Basel triumphiert!
Konzert vom 27.09.2023
Copyright: Benno Hunziker
Nach einem herausragenden Debüt der litauischen Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla vor knapp einer Woche steht sie nun erneut auf dem Podium des Sinfonieorchester Basel (SOB). Die Erwartungen sind entsprechend hoch. Nachdem Gražinytė-Tyla im letzten Konzert mit eher unbekannteren Stücken begeisterte, stehen nun das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur, op. 58 (1806) von Ludwig van Beethoven und die Lemminkäinen-Suite, op. 22 (1896) von Jean Sibelius auf dem Programm. Sämtliche Klavierkonzerte Beethovens gehören zu den „Klassikern“ des Repertoires, wurden schon dutzende Male auf CD eingespielt und lassen sich ebenso häufig auf den klassischen Konzertbühnen antreffen. Konkurrenz und Vergleichsmöglichkeiten für die entsprechenden Werke gibt es also genug. Viele der neueren Interpretationen scheinen vor Belanglosigkeit ein wenig im Sand zu verlaufen und erzählen wenig Neues. Dies ist an diesem Abend jedoch nicht der Fall.
Das Klavierkonzert bestreitet nämlich die 25 Jahre alte Pianistin Marie-Ange Nguci, welche in dieser Saison als „Artist in Residence“ fungiert. Um es schon vorweg zu nehmen, die Erwartungen werden von allen Beteiligten nicht nur erfüllt, sie werden haushoch übertroffen. Was Nguci, Gražinytė-Tyla und das SOB abliefern, ist schlicht und einfach Spitzenklasse!
Ngucis Interpretation ist geprägt von einer Selbstverständlichkeit und Leidenschaft, die sich durch das gesamte Konzert hinweg durchziehen. Mit Nguci hat das SOB eine Künstlerin gefunden, die eine herausragende Technik mit tiefer Emotionalität verbinden kann. Der erste Satz ist rhythmisch höchst präzise und in einem stetigen Fluss. Die nicht enden wollende Kadenz spielt Nguci halsbrecherisch schnell und gefühlsvoll zugleich. Der langsame zweite Satz gelingt ihr höchst emotional und melancholisch. Die Interpretation ist ehrlich und aufrichtig. Nach dieser Achterbahn der Gefühle mündet der zweite Satz direkt in den letzen und dritten Satz des Klavierkonzertes, welcher tänzerische Qualitäten aufsweist. Die junge Pianistin zieht das Tempo erneut an und bringt das Konzert schliesslich zu einem kraftvollen Ende. Das SOB bringt unter der Leitung von Gražinytė-Tyla die nötige Sensibilität mit und begleitet aufmerksam und charaktervoll. Der Jubel des Publikums ist nach dieser Darbietung wenig überraschend und hoch verdient. Als Zugabe bringt Nguci den letzten Teil des „Concerto for the Left Hand“ von Maurice Ravel zu Gehör – eine Wucht!
Nach der Pause ist Mirga Gražinytė-Tyla an der Reihe, welche die Lemminkäinen-Suite von Sibelius im Gepäck hat. Die Suite handelt von dem finnischen Nationalepos “Kalevala”. In ihr bestreitet der Held Lemminkäinen verschiedene Abenteuer. Unter anderem verführt er mehrere Frauen auf einer Insel, wird von den eifersüchtigen Männern davongejagd, möchte einen heiligen Schwan töten, stirbt selbst an einem vergifteten Pfeil, erhält sein Leben wieder zurück, möchte den Schwan erneut töten, wird stattdessen von einem Mann in Stücke gehackt und von seiner Mutter wieder zusammengeflickt, worauf er schliesslich wieder zu ihr nach Hause zurückkehrt. Es ist also Einiges los.
Dem SOB scheint das Werk wie auf den Leib geschneidert. Die bestens disponierten Orchestergruppen tragen allesamt zu dem gemeinsamen Erfolg bei. Die Holzbläser verfügen über die nötige Durchschlagskraft, Brillanz und Anmut. Die Streicher sind geschmeidig und flirren vor Spannung. Gražinytė-Tyla balanciert das Orchester hervorragend aus, sodass die Kräfteverhältnisse stets stimmen und eine sehr differenzierte Interpretation ermöglicht wird. Die Blechbläser haben den nötigen warmen Klang und überdecken das restliche Orchester nie. Herausragend ist auch die Tempo-Gestaltung. Gražinytė-Tyla bringt das SOB dazu scheinbar unmerklich schneller zu werden. Somit wird eine Spannung aufgebaut, die das Publikum nicht aus ihren Fängen lässt. Die mystische Natur des Stückes wird vom SOB sprichwörtlich erlebbar gemacht. So macht Musik einfach Freude! Nach einem fulminanten Finale bedankt sich das Publikum bei allen Beteiligten mit euphorischem Applaus.
Es bleibt sehr zu hoffen, dass wir uns bald auf ein Wiedersehen mit Mirga Gražinytė-Tyla beim SOB freuen können. Wer von Marie-Ange Nguci verständlicherweise nicht genug kriegen kann, hat die Möglichkeit, sie am 22.10.23 um 11:00 im Probezentrum Picassolatz mit Kammermusik von Brahms und Schubert zu erleben.
Philipp Borghesi