Basel: Stadtcasino Basel – Sinfonieorchester Basel (SOB) – «Boléro» – Behzod Abduraimov (Klavier) – Pierre Bleuse (Leitung)
– 24.05.2023
Abend der Verbindungen und der Verbundenheit
Wenn ein Orchester einen Konzertabend unter den Titel «Boléro» stellt, könnte es sein, dass es sich den Vorwurf des «billigen» Publikumsfanges gefallen lassen muss, denn da, wo «Boléro» draufsteht, ist in der Regel auch «Boléro» drin – und zwar der von Ravel. Und da geht man natürlich hin. Und wenn man in den Abend noch Tschaikowskis weltberühmtes erstes Klavierkonzert reinpackt, dann ist der Coup perfekt: ein mit «Hits» gespicktes Konzert garantiert einen vollen Konzertsaal und ebensolche Kassen. Da nimmt man auch die beiden kurzen Stücke von de Falla und Debussy, welche im «Hit-Ranking» quer in der Landschaft liegen mögen, wohlwollend in Kauf.
«Quer in der Landschaft liegend»? Weit gefehlt! Denn zwischen den vier heuer aufgeführten Komponisten besteht sehr wohl ein direkter Bezug, welcher sich bis ins musikalische Wirken des Dirigenten Pierre Bleuse, welcher an diesem Abend das Sinfonieorchester Basel leitet, erstreckt.
So machen de Falla und Ravel mit Rhythmen durch Tanz die Musik für den Zuhörer sichtbar, Tschaikowski greift in seinem Klavierkonzert ein russisches Volkslied auf und Debussy lässt durch seine Musik den Pinsel mit vielen Farben über die Leinwand tanzen. Dazu kommt, dass die vier Komponisten nicht nur einzig «für sich» arbeiteten, sondern im Kontakt nach aussen standen. Unglücklichstes Beispiel dazu ist wohl Tschaikowski, welcher sein Klavierkonzert dem berühmten Pianisten Nikolai Rubinstein zudachte, von diesem (seinem Förderer!) für sein Werk jedoch nur Ablehnung erntete: «… schlecht, unspielbar, die Läufe abgedroschen und ungeschickt, die Erfindung schwach. Gestohlen hätte ich auch hier und dort …» (Tschaikowski an Nadeschda von Meck). Manuel de Falla und Maurice Ravel verband eine enge Freundschaft. Und Pierre Bleuse pflegt als künstlerischer Leiter des «Ensemble Intercontemporain Paris» enge Kontakte mit Komponistinnen und Komponisten. Also kein eigentlicher «Publikumsfänger» sondern viel mehr ein vielschichtiges, begründetes und erst noch gefälliges Programm mit musikalisch-historischem Tiefgang.
Sinfonieorchester Basel unter Pierre Bleuse (Foto: Benno Hunziker)
Eröffnet wird der Abend mit der «Suite Nr. 2 aus «Der Dreispitz» (1919)» von Manuel de Falla. LeiBeschwingt schwebt eine spanische Brise durch den Konzertsaal. Maestro Pierre Bleuse achtet auf feine innere Differenzierung, lässt das Sinfonieorchester Basel (SOB) zu temperamentvollen Ausbrüchen anbrausen und nimmt es ebenso gekonnt wieder zu den leisen Akzenten zurück. In «Los vecinos» fallen die Holzbläser besonders fein auf. Knisternd spanisch gerät «Danza del molinero». Im feurigen «Danza final» scheint das Orchester wahrlich zu explodieren, ohne dabei jedoch ins klischeehafte abzurutschen.
Virtuos und leidenschaftlich: Behzod Abduraimov (Foto: Benno Hunziker)
Nach einer kurzen Umbaupause steht das «Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1, b-Moll-op. 23 (1874)» von Pjotr Iljitsch Tschaikowski auf dem Programm. Also, dieses Konzert, welches von Nikolai Rubinstein als «unspielbar» bezeichnet und schliesslich durch den Dirigenten und Pianisten Hans von Bülow 1875 in Boston zur triumphalen Uraufführung gebracht wurde. Maestro Bleuse setzt dabei auf grosse Klänge und eher getragene Tempi, der usbekistanische Pianist Behzod Abduraimov auf seine grosse Virtuosität. Tschaikowski schreibt in einem Brief an Nadescda von Meck: «Das Verhältnis von Klavier und Orchester ist ein Kampf zweier ebenbürtiger Kräfte.» Und diese Auseinandersetzung ist heuer besonders im ersten Satz spürbar, was zuweilen etwas auf Kosten der inneren Differenzierung und Emotion geht. Diese kommen dafür im zweiten Satz besonders schön zum Tragen. Zauberhaft der Dialog zwischen Klavier, Holzbläsern und Celli! Brillant, wie Abduraimov die Läufe und Verzierungen aus dem Flügel zaubert! Der Pianist kombiniert gerade hier seine fantastische technische Begabung mit sensiblem, ausdrucksstarkem Spiel. Ein fulminanter dritter Satz beschliesst diese eindrückliche Aufführung.
Stimmungsvoll geraten nach der Pause «Gigues» und «Rondes de printemps» aus den «Images pour orchestre (1912) von Claude Debussy. Pierre Bleuse lässt zusammen mit dem Sinfonieorchester Basel stimmungsvolle, farbenprächtige Bilder vor dem geistigen Auge des Publikums entstehen.
Ekstase pur: Pierre Bleuse dirigiert Ravels “Boléro” (Foto: Benno Hunziker)
Zum Abschluss des Konzertes erklingt eben der titelgebende «Boléro (1928)» von Maurice Ravel. «Erklingen» bleibt dabei eine blanke Untertreibung. Quasi aus dem Nichts erwächst aus dem solistischen Vortrag der Flöte pure musikalische Ekstase. Unglaublich, wie Pierre Bleuse zusammen mit dem grossartig aufspielenden Sinfonieorchester Basel einen mitreissenden musikalischen Strudel entstehen lässt, in welchen wir gnadenlos hineingesogen werden und dem wir uns nicht entziehen können – oder – um es in den letzten Worten aus Richard Wagners «Tristan und Isolde» zu sagen: «Ertrinken – Versinken – Unbewusst – Höchste Lust!» – Jedes weitere Wort wäre zu viel …
Michael Hug