Basel: Stadtcasino Basel – “Alpensinfonie” – Sinfonieorchester Basel (SOB) – Claire Huangci (Klavier) – Michele Spotti (Leitung)
– 18.12.2024
Stimmungsvoll und authentisch eröffnet das Orchester den Abend mit Antonin Dvoraks «Slawischer Tanz op. 46 (mit dessen Orchesterfassung der Komponist beim Verleger Simrock mit 300 Mark sein erstes Komponistenhonorar verdiente), Nr. 7 c-Moll (1878) Allegro assai». Die Bodenständigkeit und der farbenfrohe Tanzreigen kommen herrlich zur Geltung. Den Holzbläsern gelingen zu Beginn des Stückes anrührende böhmische Heimatklänge, welche stimmungsvoll vom restlichen Orchester aufgenommen und zu einem rauschenden Tanzfest weiterentwickelt werden. Die feine innere Differenzierung bleibt zu jeder Zeit gewährleistet. Dvoraks «Slawischer Tanz op. 72 Nr. 7 C-Dur (1886) Allegro vivace» stammt aus des Komponisten zweiter Serie von Volkstänzen, in welcher auch Tanzformen unter anderem aus der Slowakei, der Ukraine oder – wie in der heuer aufgeführten Nr. 7 – aus Serbien aufnahm. Auch hier gelingt dem SOB unter der Leitung von Michele Spotti eine schwungvolle, freudvolle Aufführung. Das Publikum zeigt sich begeistert!
Claire Huangci, Michele Spotti und das Sinfonieorchester Basel (Foto: Benno Hunziker)
Sie habe die «schnellsten Finger der Welt» – meinte Professor Krainev von der Musikhochschule Hannover, als Claire Huangci, die Solistin dieses Konzerts, dort ihre Aufnahmeprüfung bestritt. Sie jedoch auf dieses «Attribut», welches zweifellos als Kompliment zu verstehen ist, zu beschränken, wird der jungen Künstlerin, welche sich schon in frühester Kindheit dem Klavier verschrieben hat, nicht gerecht. «Mir geht es darum, den Kern der Musik zu finden», so die Pianistin im Interview im Programmheft. Und das geht eben nur mit grosser Sensibilität, Empathie und enormem Einfühlungsvermögen. Dass sie über diese Eigenschaften im mindestens gleich grossen Ausmass wie ihre wahnsinnige technische Brillanz verfügt, stellt sie an ihrem jetzigen Debut mit dem SOB mehr als nur eindrücklich unter Beweis. Und dies mit einem Werk, welches sein Komponist Dmitri Schostakowitsch als «ohne künstlerischen Wert» einstufte: das «Klavierkonzert für Klavier und Orchester Nr. 2, F-Dur, op. 102 (1957)». Nun, das mit dem fehlenden «künstlerischen Wert» ist ja erwiesenermassen eine Irreführung der damaligen sowjetischen Kulturbürokratie – und wird dem Werk, welches Schostakowitsch für seinen 19jährigen Sohn Maxim komponiert hat, in keinster Weise gerecht. Den ersten Kontakt zu dem Werk hatte Claire Huangci als Kind im Kino beim Film «Fantasia 2000», in welchem Disney zu Schostakowitschs zweitem Klavierkonzert die Geschichte vom standhaften Zinnsoldaten als Zeichentrickfilm erzählt. «Ich wollte das Stück unbedingt spielen». Dieses seit Kindheitstagen gehegte Unternehmen setzt die Pianistin nun in Basel um. Die Freude an dieser Aufführung ist der jungen Ausnahmekünstlerin in jeder Beziehung anzumerken. Mit grosser Leidenschaft, fantastischer innerer Differenzierung – allein der zweite Satz (Andante) gerät zum virtuos-meditativen Highlight für sich – und natürlich grandioser Technik – bringt sie das äusserst anspruchsvolle Werk mit hingebungsvoller Leichtigkeit aufs Podium. Das Sinfonieorchester Basel begleitet als gleichwertiger Partner mit grosser Spielfreude und fantastischem Ausdruck. Maestro Spotti achtet darauf, dass auch die wunderbare Orchestermusik, welche Schostakowitsch komponierte, voll zum Tragen kommt. Es entsteht ein mitreissendes Gesamtklangerlebnis zwischen einer Pianistin, einem Orchester und einem Dirigenten, welche mit Hingabe als Partner gerne zusammen musizieren.
Nach der Pause ist grosses Kopfkino angesagt: «Eine Alpensinfonie, op. 64 (1915)» von Richard Strauss. In seinem riesigen, monumentalen Klanggemälde verarbeitet Richard Strauss auf intensive Art und Weise Schönheit und Schrecken der Naturgewalten der Alpen: Naturschauspiele wie Sonnenaufgänge, tosende Gewitter, reissende Bäche – alles wird durch den Tonsetzer Strauss ehrfurchtsvoll gewürdigt. Die grandiose, farben- und facettenreiche Musik vermag, als «musikalische Dichtung» angelegt, bei den Zuhörenden vor das geistige Auge Bilder auszulösen, welche der Malerei, der Fotografie oder dem Film um nichts nachstehen. Besonders beeindruckend wird das Werk, wenn es so aufgeführt wird, wie am heurigen Konzert des Sinfonieorchesters Basel, geleitet von Michele Spotti. Die grossen Klangbogen imponieren ebenso, wie die feinen, leisen Passagen faszinieren. Man fühlt sich sofort in die herrlichste Bergwelt versetzt und erlebt eine abenteuerliche Wanderung durch imposantes Gebirge. Freudig, lieblich verspielt begegnen wir dem Hirten und seiner Herde, verirren uns kurz und werden vom heftigen Gewittersturm überrascht. Dem SOB gelingt dabei eine kraftvolle, leidenschaftliche Aufführung. Maestro Spotti achtet darauf, dass sämtliche Farben, Facetten und Stimmungen des Werkes zur Geltung kommen. Ja, es wird laut – sehr laut sogar – aber nie unkontrolliert, effekthascherisch. Ja, es wird lieblich und zart – aber nie kitschig. Maestro Spotti achtet darauf, dass die einzelnen Instrumentengruppen entsprechend erlebbar werden. So kommen nebst den strahlenden Blech- auch die Holzbläser sowie die Streicher, welche mit grandioser Präzision agieren, zur vollen Geltung.
Was für ein Abend!
Michael Hug