Basel: Musical-Theater Basel – Deborah Sasson/Jochen Sautter „Der kleine Prinz“ – 14.01.16
Copyright: Manfred Esser
Deborah Sasson ist ja in der Opernwelt keine Unbekannte: So sang die Ehefrau von Peter Hofmann an der MET – und debütierte am Broadway in „Show Boat“, wo sie von Leonard Bernstein für die Hamburger Aufführung der „West Side Story“ als Maria entdeckt wurde. Und so blieb sie eben auch im Musical hängen und wagte sich, wie Peter Hofmann ja auch, in die Welt der Pop-Musik. Sie tritt allerdings nicht nur auf, sondern komponiert auch. Zum wohl bekanntesten Werk zählt wohl „Das Phantom der Oper“, welches bei den Musical-Kennern äusserst kontrovers diskutiert wird, da in der Werbung wohl zu wenig eindeutig kommuniziert wird, dass es sich hier eben nicht um die Webber-Kiste handelt. Kurz: Frau Sasson ist eine Multi-Tasking-Künstlerin, welche alles ausprobiert – natürlich mit manchmal mehr und manchmal mit weniger Erfolg.
Im Dezember 2015 feierte Deborah Sassons jüngstes Werk, für welches Jochen Sautter die Texte lieferte und auch gleich die Regie übernahm, Premiere: „Der kleine Prinz“ nach dem weltberühmten Nichtkinderbuch von Antoine De Saint-Exupéry. Damit begibt sich das Gespann Sasson/Sautter (nach ihren Vorgängern Alan Jay Lerner und Frederick Loewe im Jahr 1974) auf eine nicht ungefährliche Gratwanderung; gilt es doch, dem tief philosophischen Inhalt sowie die dem Anspruch, gefällige Unterhaltung zu bieten, gleichzeitig gerecht zu werden.
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Deborah Sasson und ihr Librettist lassen sich von Saint-Exupéry inspirieren. Jochen Sautter verwendet über weite Stellen die Originaltexte – auch in den Songs. Das Bühnenbild von Rafal Konorowski gerät karg – was durchaus der literarischen Vorlage entspricht – für stimmungsvolle Effekte sorgen die Videoprojektionen, welche den Zuschauer mal ins Weltall, dann wieder in die Wüste oder in das etwas gar laut tosende Gewitter, welches die Ursache für die Notlandung des Piloten ist, entführen. Die vielschichtigen Projektionen (mpc Filmproduktion) und die interaktiven Videoanimation und Choreographie dazu bilden stimmungsvolle optische Ergänzungselemente. Der dafür verantwortliche Daniel Stryjecki bindet die auf der Bühne agierenden Darsteller darin ein. Besonders eindrücklich gelingt dies, wenn die Vögel sich für den kleinen Prinzen zu einem riesigen Paar Flügel formieren – es entsteht der Eindruck, dass dem Prinzen die Flügel aus dem Rücken wachsen. Ein hübsches Detail ist auch, wenn zu Beginn die berühmte Zeichnung von der Schlange, welche einen Elefanten verdaut, auf der Leinwand entsteht (Zeichnungen, frei nach Saint-Exupéry (aus urheberrechtlichen Gründen): meisterhaft von Jola Mazur). Der videoanimierte Hammer ist jedoch die Szene im Rosengarten – zauberhaft! Die liebevolle optische Gestaltung geben die Stimmung des Buches sehr schön wider.
Deborah Sasson komponierte eine sehr (fast schon zu) gefällige, eingängige Musik, welche jedoch vor allem im ersten Akt der Tiefe der Geschichte nicht vollumfänglich Rechnung zu tragen vermag. Und da zeigt sich eben, dass der Spagat zwischen tiefgehenden Lebensweisheiten und kommerzieller Unterhaltung nicht einfach zu meistern ist. So gerät denn auch die Reise des kleinen Prinzen nach dem hübschen Duett mit seiner Rose (Christina Schulz) zur Erde zum Einzelschaulaufen mit den Darbietungen während der Zwischenhalte, welches die Botschaften der jeweiligen, recht skurril gezeichneten Figuren in den Hintergrund treten lässt und „nur“ unterhält.
So tanzen und singen der Geschäftsmann (Daniel Hauser), der Säufer (Jonas Wichmann), der Eitle (Michael Chadim) sowie der Laternenanzünder (Isabel Waltsgott) durch ihre Nummern. Textlich viel wird Ari Gosh, der nebst dem Geographen auch den untertanlosen König gibt, abverlangt. Mit grosser sprachlicher Virtuosität meistert er seine grossen grossen Auftrtitt. Schade nur wurden in seinen Text direkte Anspielungen auf Angela Merkel und Dieter Bohlen eingebaut – die wohl damit erhofften Lacher blieben aus.
Der zweite Akt erzählt dann von des Prinzen Begegnungen auf der Erde. Zuerst trifft der Prinz auf die Schlange, welcher die sowohl gesanglich als auch akrobatisch bestens disponierte Nicole Ciroth dämonisch-erotische Ausstrahlung verleiht. Ein kurzes humoristisches Intermezzo mit Pillenhändler (witzig: Pascal Jounais) leitet dann zum traurigen Ende der Geschichte: dem Abschied zwischen dem Piloten und dem Prinzen. Der in Motréeal geborene Bariton Benoit Pitre verleiht mit seinem unbestritten charmanten französischen Akzent dem Piloten die nötige Pariser Note.
Und jetzt noch zur für mich wirklich überwältigenden Überraschung des Abends – dem „kleinen Prinzen“ Moritz Bierbaum. Der junge Musicaldarsteller gefällt von der ersten bis zur letzten Note bzw. Bewegung. Der junge Künstler, der gerade erst seine Ausbildung zum Musical-Darsteller abgeschlossen hat, glänzt mit seinem wunderbaren hohen Tenor und meistert die ungemein schwierige, mit höchsten Höhen gespickte Partie mit technischer Brillanz – und jugendlicher Frische, charismatischem Charme und glaubwürdiger Emotion. Äusserst berührend sein Duett mit dem entzückend drolligen Fuchs Johanna Mucha „Man sieht nur mit dem Herzen“. Gerne hätte ich noch mehr von Moritz Bierbaum gehört. Vielleicht lässt sich ja seine Schlussnummer „Die Sterne der Anderen schweigen“ noch erweitern? Wie auch immer: Moritz Bierbaum bringt die besten Voraussetzungen mit in der Musicalwelt nach ganz oben zu kommen.
Sasson/Sautters „Kleiner Prinz“ ist ein durchaus interessanter Abend. Der zweite Akt ist der eindeutig stärkere, er verfügt über mehr Tiefgang und ist auch musikalisch gesamthaft anspruchsvollere. Schade, dass zuweilen wohl aus technischen Gründen die Verständlichkeit der Texte leiden musste. Dies ist wohl auf die Problematik des Tourneetheaters zurückzuführen, wurde der „Kleine Prinz“ in Basel nur an einem Abend gegeben – somit blieb wohl für vorgängiges ideales Mischen von Gesang und Orchester (Solo Geige und Leitung: Aleksandra Kulpa) zu wenig zeitlicher Raum.
Und so ist dann dieses Musical wie die Rose des kleinen Prinzen, welche durch viel liebevolle Pflege über die Zeit zur stolzen schönen Blume heranwachsen kann.
Michael Hug