Theater Basel: „Der Menschen Feind“. Komödie von PeterLicht (sehr) frei nach Molière – UA 14.4.2016
Max Rothbart, Florian von Manteuffel Foto: Simon Hallström
Die erneute Lektüre von Molières Originaltext hätte man sich sparen können. PeterLicht (sic) macht sich nicht einmal mehr die Mühe, sich irgendwie dem Original entlangzuhangeln. Lediglich die Perücken der beiden Freunde Alceste „Kasti“ und Philinte, die ein Pas-de-Deux zu höfischer Musik wagen, weisen noch auf das 17. Jahrhundert hin. „Sag mal was“ mault Alceste. Doch als Philinte nach langem Würgen endlich von seinem Schauspielberuf erzählt, ist der mürrische Alceste nicht zufrieden. „Was Aufrichtiges“ fordert er. Alles andere geht ihm auf die Nerven. Es folgt ein grandioser Monolog, in dem geradezu alle Nerven einzeln benannt werden, bis sich der Menschenfeind als einziger lebendiger Nervenstrang sieht, sich in Kreisen drehend mit einer Wortakrobatik, dass einem schwindlig wird, und einem Wortwitz, der etliche Lacher auslöst. Wovon ist er nicht alles genervt: Von der ständigen Wiederholung der Popkultur bis zur Nagelpflege im Sommer. Die Definition von Nerven ist geradezu das, worauf alle anderen herumlaufen. Florian von Manteuffel zieht als Alceste alle Register und ist zu Recht der Star des Abends.
Nur einen Menschen gibt es, der Alceste nicht auf die Nerven geht: Die schöne Célimène, genannt Celi. Sein Freund Philinte (grossartig: Max Rothbart) ist nicht begeistert von der promisken Dame, und als Alceste mit einem „Fussballweltverbandfunktionär“ vergleicht, windet er sich vor „Disgust“ am Boden. Doch der Klamauk kündigt sich an: Die vier personifizierten Perücken (Bühne und Kostüme: Patricia Talacko, Dirk Thiele) als griechischer Pseudochor im Hintergrund bezeichnen regelmässig jedes Stichwort als „neoliberale Kapitalistenscheisse“.
Doch Alceste hat einen Rivalen: Oronte (Simon Zagermann) hat sich Célimènes Bild sogar als Tattoo auf seine Eichel tätowieren lassen. Für das Kunstwerk will er das Urteil der Freunde, in ständiger Angst sich „vertätowiert“ zu haben. Alcestes Laune hebt sich dadurch keineswegs, beim Pausenvorhang schnauzt er folgerichtig das Publikum an: „Das ist doch kein aufrichtiger Applaus!“
Beim Date nach der Pause balzt Alceste wortgewaltig mit seiner „Superliebe“ Celi (hinreissend sexy: Liliane Amuat). Dass er dabei unablässig nervös plappert ist ihm selbst bewusst: „Da müssen Sie sich eben die relevanten Brocken herausfischen!“ Charmant ist anders: Ändern soll sie sich, denn zwar sei ihr Aussehen „Kanone“, aber ihr Inneres „unter aller Sau“. Trotz dieser eher rüden Liebeserklärung kann sich die Angebetete nach einigen Gläsern Champagner eine „Durchwurschtelung“ durchaus vorstellen.
Doch mit der Ankunft der ganzen Clique (Basque: Mario Fuchs, Acaste: Elias Eilinghoff, Éliante: Carina Braunschmidt, Arsinoé: Myriam Schröder) ist der Zauber der Romantik – und leider auch der bis dahin durchaus ansprechenden Aufführung – verflogen. Ein wildes Durcheinander beginnt, in dem möglichst viele Themen angeschnitten werden müssen, wenn auch zugegebenermassen selbstironisch: So wird darauf hingewiesen, dass doch Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, während man noch nach dem Handlungsstrang suche.
Das Chaos gipfelt in Ergüssen über eine Sauna-Weltmeisterschaft, „Gruppendrücken“ unter Moderation und anschliessendem gemeinsamen Saunagang, wo – mittels der unvermeidlichen Videoleinwand beobachtbar – intensiv über das gegenseitige Drücken reflektiert wird. In dem kunterbunten Spektakel sind die Weisheiten zwar noch vorhanden, allerdings seltener als im ersten Teil. Darauf, dass es nicht wirklich gut ist, „wenn das Leblose das Sinnlose ablöst, wäre man auch so gekommen.
Claudia Bauers Inszenierung geht hier die Luft aus, insbesondere die Musikeinlagen nehmen das Tempo heraus, Langeweile macht sich breit. Wie das Publikum ist auch Alceste am Schluss ausgelaugt, spürt nicht mal mehr Hass, nur Abgetrenntheit: „Nicht einmal eine Lücke möcht ich mehr hinterlassen“ grummelt er. Man fühlt mit ihm.
Alice Matheson