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BASEL/ Ballett: MARIE & PIERRE“- Ballett Basel: “Marie & Pierre”, Choreographie von Bobbi Jene Smitz – Urauffühtung

19.11.2023 | Ballett/Performance

Ballett Basel: “Marie & Pierre”, Choreographie von Bobbi Jene Smitz – UA 18.11.3023

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©Photo: Jubal Battisti

 Die neue Ballettdirektorin Adolphe Binder macht gleich unverständlich klar, dass sie Frauen im Theater stärken will: Die Choreographie dieses neuen Stücks stammt von Bobbi Jene Smith, der Auftrag für die Komposition ging an die Musikerin Celeste Oram, Tianyi Lu dirigiert, am Cello hört (und sieht) man Valentina Dubrovina, Alma Toaspern singt: Mehr Frauenpower geht nicht.

Das Chanson «Pierre» der französischen Sängerin Barbara bildete das Leitmotiv der ganzen Partitur für die Komponistin. Bereits 2021 wurde das Ballett «Pierre» in Kopenhagen gezeigt. Für Basel wurde es nun um das Prinzip «Marie» erweitert, der Gegenpol zu Pierre. Bei Marie stehen Texte aus dem 13. und 14. Jahrhundert auf altfranzösisch, mittelniederländisch und altokzitanisch im Vordergrund, die Musik wurde auf und um diese Texte komponiert.

Auch tänzerisch bleibt man nicht beim französischen Ballett stehen. Vorbei auch die Ära der abgewinkelten Wherlock-Füsse. Die von Bobbi Jene Smith geschaffenen Bewegungen sind kraftvoll, oft ruckartig, energie- und gewaltgeladen. Dabei wird die Einförmigkeit der Gruppe (als einengendes Element der Masse) den oft überraschend erratischen Bewegungen der Individuen gegenübergestellt, wie bei dem Volkstanz, der langsam aus den Fugen gerät.

«Marie & Pierre» sind Streiflichter auf die Dynamik eines Paares durch die Höhen und Tiefen seiner Beziehung zueinander und zur Aussenwelt. Dabei gibt es nicht nur keine fortlaufende Handlung, vielmehr sind alle Männer und Frauen gemeint, ja geradezu das männliche gegen das weibliche Prinzip. Nicht von ungefähr steht Pierre eher für das ordnende, rationale, disziplinierte, kontrollierende Element, Marie eher für das chaotische, irrationale, undisziplinierte, freie. Vorherrschend ist der Drang, den jeweils anderen in das eigene Prinzip einzuordnen. Sex, Gewalt, Begehren trifft da auf Liebe, Sinnlichkeit, Intuition in einem entsprechend explosiven Zweikampf.

Der erste Teil des Abends ist offenbar Marie gewidmet und beginnt folgerichtig mit einer nackten Frau in der Wüste (begleitet von einem tiefem Celloton), respektive im Paradies (inklusive Apfel, mit leicht anderer Schuldzuweisung…).

Der über die Bühne in dramatischen Falten drapierte dunkle samtene Vorhang verkörpert da das weibliche Prinzip vortrefflich. In der zweiten Hälfte – dem Prinzip «Pierre» gewidmet – wird die Samtumhüllung vollständig weggezogen und gibt den Blick frei auf helle, kalte Marmorwände. Die Gegensätze von schwarz und weiss, weich und hart, weiblich und männlich werden auch in den Kostümen (Christian Friedländer, Bobbi Jene Smith) durchgezogen.

Durchaus gibt es da eine ganze Reihe von eindrücklichen Bildern: Das Paar in seinem Wechselbad aus Liebe und Hass, Begierde und Ekel, Einsamkeit und Streit, im ewigen Ringkampf, daneben die Macht der Gruppe als verurteilende Verwandten, Freunde, als regulierendes oder aufputschendes Umfeld.

Dabei gibt es nicht eine einzige Tänzerin, die Marie darstellt, sondern gleich eine ganze Truppe, die das «Prinzip Marie» verkörpert, mal sticht der eine, mal die andere heraus. Eine andere vielköpfige Gruppe – ebenfalls aus männlichen wie weiblichen Tänzern – verkörpert das Prinzip «Pierre», zum Teil tanzen die gleichen Tänzer auch für beide Prinzipien.

Und hier beginnt auch das Problem: Der Zuschauer kann sich zwar dem Augenblick der beeindruckenden (und glänzend getanzten) Szenen und der überraschend hinreissenden Musik (Tianyi Lu scheint das Sinfonieorchester Basel zu ungeahnten Höhen zu puschen) hingeben, deuten kann er aber die Szenen nur selten (wer spricht schon okzitanisch?), und sich mit den Personen auf der Bühne identifizieren schon gar nicht. Man ist zudem erschlagen von der schieren Masse der auf der Bühne stattfindenden Einzelaktionen, in der die Hauptthemen oft untergehen. Es ist ein ganz anderes Theaterverständnis, das da auf uns zukommt: Nicht verstehen soll man mehr, nur noch empfinden.

Die Zeiten, in denen Ballett eine Geschichte erzählen musste, sind offenbar endgültig vorbei.

Alice Matheson

 

 

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