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Ballettmeisterin Alice Necsea: die Liebe und die Leidenschaft für den Tanz – das darf man nie verlieren

12.06.2022 | Tänzer

Ballettmeisterin Alice Necsea: die Liebe und die Leidenschaft für den Tanz – das darf man nie verlieren

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Portrait: Ballettmeisterin Alice Necsea. Copyright: Michael Pöhn

Alice Necsea ist seit vielen Jahren an der Wiener Staatsoper – zuerst war sie Tänzerin, dann Proben- und Trainingsleiterin, nun ist sie Ballettmeisterin im Leading-Team des Wiener Staatsballetts.

Ihre Ballettausbildung erhielt Alice Necsea am Ballettinstitut in Bukarest. In der rumänischen Hauptstadt hatte sie auch ihr erstes Engagement als Mitglied des Balletts der Bukarester Staatsoper. Sie wechselte 1984 ans Nationaltheater in Sarajewo, wo sie als Erste Solotänzerin engagiert war. Vier Jahre später erhielt sie einen Vertrag für das Wiener Staatsopernballett und tanzte hier ein breit gefächertes Repertoire von Solopartien in Klassikern, war aber auch in zeitgenössischen Werken u.a. von  Gerald Arpino, George Balanchine, John Cranko, Jiří Kylián, Kenneth MacMillan, John Neumeier und Rudi van Dantzig zu sehen. 1999 wurde sie Probenleiter-Assistentin, seit 2000 ist sie Proben- und Trainingsleiterin an der Wiener Staatsoper. Mit der Saison 2020/21 unter der Direktion von Martin Schläpfer wurde sie zur Ballettmeisterin des Wiener Staatsballetts ernannt.

Als Tänzerin braucht man sich nur die eine oder andere Rolle eines Werkes zu merken, aber als Ballettmeisterin muss man alle Schritte für alle Tänzer kennen. Wie merkt man sich die vielen Stücke, die oft nach Jahren der Pause wieder geprobt werden? Alice Necsea erläutert: „Ich habe meine eigenen Notizen und wenn es die Möglichkeit gibt – Video ist eine große Hilfe beim Einstudieren. Wenn man die Rolle selbst getanzt hat, bleibt es als Körper-Gedächtnis erhalten. Sobald die Musik spielt, kommen die Schritte zurück ins Gedächtnis. Oft habe ich mehrere Partien in einem Werk getanzt, das ist jetzt auch sehr hilfreich. In „Raymonda“ habe ich zum Beispiel die Freundinnen getanzt, dann den Grand Pas im 3. Akt, den Sarazenentanz und die beiden Walzer mit der Gruppe. Bei neuen Stücken schreibe ich alles genau auf. In den vielen Jahren hat sich ein großer Schrank voll mit meinen Notizheften angesammelt. Ich lerne alle Schritte und alle Rollen mit und mache möglichst alles auch mit.“

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Alice Necsea bei der Probenarbeit für „Schwanensee“. Copyright: Ashley Taylor

Wie sieht die Vorbereitung auf die tägliche Arbeit im Ballettsaal aus? Auch noch nach vielen Jahren in diesem Metier bereitet sie sich immer jeden Abend gewissenhaft für das Training am nächsten Tag vor, manchmal ändert sie sogar noch etwas in der Früh. Alice Necsea ist stets darum bemüht, ein abwechslungsreiches Training zu geben, das für das jeweilige Tagesprogramm gut aufwärmt und bestens vorbereitet, damit die Tänzer dann gut gelaunt und inspiriert für die folgenden Probeneinheiten sind.

Welche der vielen Berufe rund um den Tanz ist für sie der schönste? Sie überlegt nicht lange: „Ich hatte die Gelegenheit in allen Berufen tätig zu sein, die mit Ballett zu tun haben. Ich war Tänzerin, bin Pädagogin, Trainings- und Probenleiterin und Ballettmeisterin, ich habe choreografiert und war sogar Co-Direktorin der Balletttruppe bei den EU-Projekten mit Alf  Kraulitz als Chef. Alle diese Berufe sind schön, jeder zu seiner Zeit.“ Alice Necsea hat kleine Stücke schon mit 20 Jahren in Bukarest für die Ballettschule kreiert; die erste richtige Choreografie waren dann die „Jahreszeiten“ zur Musik von Antonio Vivaldi in Sarajewo. In Wien entstanden unter anderem “Serenade opus 5“ und „Ballade für Sarajewo“ für die damals von den Freunden der Wiener Staatsoper organisierte Veranstaltungsreihe „Junge Choreographen“. Für die Sommerspiele Schloss Frauenthal (Steiermark) schuf sie damals die Choreografie für „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“ (Regie: Uschi Horner; musikalische Leitung: Gert Meditz).

In ihrer Arbeit – als Pädagogin wie als Ballettmeisterin – ist es ihr am wichtigsten, ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiterzugeben; an die Kinder in der Ballettschule ebenso wie an die Compagnie, wenn sie im Ballettsaal arbeitet. Alice Necsea meint: „Balletttradition ist für mich sehr wichtig, aber vielleicht bin ich da ein wenig altmodisch. Das Alte bewahren und offen sein für das Neue. Ich habe viele verschiedene Choreografen getroffen und ihre Werke als Ballettmeisterin einstudiert, als Tänzerin habe ich viele Klassiker und zeitgenössische Stücke getanzt  Ich bin immer offen für Neues – ich bin immer bereit zu lernen.“

Was sind ihre nächsten Pläne? Ich habe viel vor in meinem neuen Leben. Ich will viel reisen und Sprachen lernen. Ich werde mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Und – da ich am Abend dann nicht mehr in den Ballettvorstellungen bin – werde ich endlich Zeit haben, mehr in die Oper, ins Konzert oder ins Theater zu gehen,“ freut sie sich auf das Kommende.

Ist ihr ein besonderer Moment in Erinnerung geblieben  in ihrem Leben für den Tanz? Sie überlegt: „ Es gab viele schöne Momente in meiner bisherigen Karriere. Es fällt mir schwer, hier etwas als besonderes Ereignis auszuwählen. Wunderbare Erlebnisse waren es für mich, wenn Choreografen für die letzten Proben nach Wien kamen und sie zufrieden mit meiner Probenarbeit für die Einstudierung ihrer Werke waren. Gerlinde Dill ist mir auch in lieber Erinnerung, weil sie mich damals sehr unterstützt hat, als ich neu in Wien war. Natürlich erinnere ich mich besonders gern an meine erste Hauptrolle – ich habe in Bukarest als Tänzerin begonnen und dort schon Halbsolistinnen-Partien getanzt, aber in  Sarajewo war die Phrygia in „Spartacus“ meine erste Hauptpartie, das war in der Choreografie von Slavko Pervan. In Sarajewo habe ich auch die Giselle getanzt und nach der Aufführung kamen Leute zu mir und haben gesagt, dass sie geweint haben, weil sie von meiner Wahnsinnsszene so beeindruckt waren. Darüber habe ich mich natürlich sehr gefreut zu hören, dass mein Tanz, mein Ausdruck, eben die gesamte Rollengestaltung das Publikum berührt hat. An meinen letzten Auftritt als Tänzerin erinnere ich mich dafür gar nicht richtig – da war der Übergang fließend. Renato Zanella hat mir die Chance gegeben, Probenleiter-Assistentin zu sein, später wurde ich Proben- und Trainingsleiterin. Während ich noch Tänzerin war, arbeitete ich bereits als Pädagogin in der Ballettschule. Ich bin noch in Zanellas „Sacre“ aufgetreten und in Nurejews „Schwanensee“, da habe ich schon Proben geleitet. Meine erste Probe in meiner neuen Aufgabe ist mir sehr gut im Gedächtnis geblieben. Das waren die vier Solisten-Männer in Zanellas „Bolero“ und danach war gleich eine Probe mit der ganzen Gruppe für Balanchines „Thema und Variationen“. Ich war zwar sehr gut vorbereitet, aber natürlich aufgeregt. Es ist alles gut gegangen und alle haben mir danach viel applaudiert. Auch die Zeit der Einstudierung von „Sylvia“ in der Choreografie von Manuel Legris in Milano war eine wunderschöne Erfahrung.“

 Immer wieder ist es für sie ein erhebendes Gefühl, wenn sie dann in einer Tänzerin oder einem Tänzer sieht, dass ihre Arbeit in Erfüllung geht und der Erfolg auf der Bühne da ist. Sie erzählt: „Erst vor kurzem war so ein besonderer Moment für mich während einer Probe im Ballettsaal, als Davide Dato meinte, wir sollten ein Foto machen, da dies vielleicht das letzte Stück ist, das wir gemeinsam erarbeiten.“ Als Ballettmeisterin wirkt sie ja mehr im Hintergrund und umso mehr freut es sie dann, wenn das Publikum von der Compagnie begeistert ist und damit die Vorbereitungsarbeit erfolgreich umgesetzt wurde. „Als Tänzerin oder Tänzer bringt man eine wichtige Leistung. In meiner Funktion bin ich viel mit der Compagnie im Ballettsaal und lerne sie dabei gut kennen. Ich spüre, wenn es ihnen gut oder nicht so gut geht. Ich bin stolz, dass ich diese Verantwortung trage, sie bestens zu betreuen und vorzubereiten, auch wenn wir Ballettmeister in der Öffentlichkeit meist weniger beachtet werden“, meint sie.

Nach ihrem Resümee in Zahlen gefragt, bedauert sie, ihre Auftritte nie gezählt zu haben: „Ich tanze auf der Bühne seit meinem 18. Lebensjahr, oft hatten wir vier Vorstellungen in der Woche. Ich war sieben Jahre in Bukarest, dann vier Jahre in Sarajewo, bevor ich nach Wien gekommen bin. Ich habe auch viel gastiert, wie in Zagreb oder in Graz. In Wien habe ich neun Jahre getanzt. Danach war ich zwei Jahre Pädagogin in der Ballettschule, dann 23 Jahre Proben- und Trainingsleiterin und jetzt die letzten Jahre bin ich Ballettmeisterin. Ich habe das Pensionsalter erreicht. Ich habe in vielen Stücken getanzt, habe viele Ballette einstudiert und geprobt. Es waren wirklich sehr viele, aber ich habe sie nie gezählt. Gezählt habe ich nur die Ballettdirektoren in Wien – es waren sieben von Gerhard Brunner über Elena Tschernischova, Anne Woolliams, Renato Zanella, Gyula Harangozó und Manuel Legris bis Martin Schläpfer.“

Derzeit bereitet sie „Grand Pas Classique aus Paquita“ für die abschließende Nurejew-Gala vor, die Proben sind voll am Laufen. Martin Schläpfer hat ihr gleichsam als Geschenk zum Abschluss ihrer Tätigkeit als Ballettmeisterin dieses Stück zur Einstudierung gegeben. Mit dieser letzten Vorstellung in der laufenden Saison verabschiedet sie sich in den wohlverdienten Ruhestand. Es war Alice Necsea immer wichtig, die  Tänzerinnen und Tänzer zu unterstützen, sie zu motivieren und zu bestärken: „Das gebe ich allen mit – dem Ballettnachwuchs wie der Compagnie. Man sollte jeden Tag mit viel Liebe und Leidenschaft für den Tanz angehen und nie auf die Disziplin im Leben vergessen.“

Ira Werbowsky

 

 

 

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