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BADEN / Stadttheater: Premiere von SUNSET BOULEVARD

09.07.2022 | Operette/Musical
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Lukas Perman (Joe Gillis), Dorina Garuci (Betty Schaefer) und Ensemble. Alle Fotos: Bühne Baden / Gregor Nesvadba

BADEN / Stadttheater: Premiere des Musicals SUNSET BOULEVARD

8. Juli 2022 (Pemiere)

Von Manfred A. Schmid

Nicht in der Sommerarena, die kürzlich mit der Operette Im Weißen Rössel den Spielbetrieb aufgenommen hat, sondern im Haupthaus der Bühne Baden findet die Premiere von Andrew-Lloyd Webbers Hit Sunset Boulevard (Boulevard der Dämmerung) statt. Eine Musicalproduktion muss, um heutigen Standards zu genügen, über zeitgemäße technische Finessen verfügen, und die sind in der Sommerarena nicht realisierbar. Außerdem hat das Stadttheater ein bedeutend größeres Platzangebot. Die Besucherzahl und der stürmische Applaus bei der ersten Vorstellung lassen darauf schließen, dass mit diesem Musical, nach dem genialen gleichnamigen Film von Billy Wilder, ein weiterer Volltreffer in Baden gelandet ist.

In der ansprechenden, in den 30er Jahren angesiedelten Inszenierung von Andreas Gergen gibt es fein in die Handlung integrierte Videoeinspielungen (Projektdesign von Andreas Invacsics), die sparsam zur Anwendung kommen und zum Zeitkolorit beitragen. Zu nennen sind in erster Linie die nostalgischen Autofahrten in charmanten Oldtimern der damaligen Ära. Im Zentrum der Bühne (die Ausstattung inkl. Kostüme stammt von Christian Floerens) steht eine breit auslandende Treppe, die sich teilen lässt und so zusätzlich bespielbaren Raum eröffnet. Ein Teil der Handlung findet ohnehin auf dem Vorplatz der Treppe statt. Nur die Szenen im schon etwas heruntergekommenen Palast der vergessenen Diva Norma Desmond, die sehnlich auf ein Comeback in Hollywood hofft, an einem Drehbuch arbeitet und dafür den jungen, beruflich gerade nicht sehr erfolgreichen Drehbuchautor Joe Gillis als Helfer engagiert, spielen sich hauptsächlich auf der Treppe ab. Treppen sind typisch für das Showgeschäft, für Revuen. Norma Desmond ist allerdings ein Star aus der Blütezeit des Stummfilms. Da waren Showtreppen kaum ihr künstlerisches Betätigungsfeld. Warum wurde dieses Bühnenbild gewählt? Vielleicht um mit den Stufen, die sie von der Ebene trennen und die sie manchmal hinunterschreitet, ihre Entrücktheit vom Hollywood der Gegenwart und der Realität zu betonen. Ein Abstieg, der unumkehrbar ist und in einer Tragödie endet, als sie erfährt, dass Hollywood nur an ihrem Auto interessiert ist, dass die Fanpost, die sie täglich erhält, von ihrem ersten Mann Max, der sie seit Jahren als treuer Diener umsorgt, geschrieben ist, und dass Joe sie verlassen will.

Das seltsame Beziehungsdreieck Norma Desmond – Max von Mayerling – Joe Gillis ist in der Badener Neuproduktion optimal besetzt. Maya Hakvoort ist eine großartige Diva, die in einer Traumwelt lebt und davon überzeigt ist, dass ihr Ruhm beim Publikum andauert und alle nur auf ihren nächsten Film warten. Den Einwand, dass sie aus der vergangenen Ära des Stummfilms kommt und für den Tonfilm kaum tauge, wischt sie selbstbewusst weg: „Wir brauchten keine Stimme. Wir hatten Gesichter!“ Ergreifend und imposant ihr Bekenntnis zur Filmkunst in „With one Look“ („Nur ein Blick“) und die Schlussszene, nachdem sie Joe erschossen hat, wenn sie, dem Wahnsinn verfallen, als Salome – das ist die Hauptrolle in ihrem Filmprojekt – ihren letzten großen Auftritt zelebriert. Sie hält die Polizisten und Reportern, die ihre Kameras auf sie gerichtet haben, für die Filmcrew und ihre Fans.

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Maya Hakvoort (Norma Desmond) und Lukas Perman (Joe Gillis), garnierz mit den vier zum Leben erweckten Oscar-Statuen. Im Hintergrund Beppo Binder (Max von Mayerling).

Lukas Perman als Joe Gillis ist der in permanenter Geldnot lebende Drehbuchautor Joe, der auf der Flucht vor Geldeintreibern, die sein Auto beschlagnahmen wollen, vor der Haustür der vergessenen Diva landet und nach und nach ihrem Zauber erliegt und letztlich in ihren Armen landet. Ist es zunächst die Möglichkeit, ohne große Mühe Geld zu verdienen, kommt bald mehr ins Spiel: Neugier, Anziehung, Sympathie und wohl auch eine Portion Mitleid. Wie er vergeblich versucht, sich aus dieser ungewöhnlichen Konstellation zu befreien, seine aufkeimende und von ihr erwiderte Liebe zur Kollegin Betty Schaefer bewusst vernachlässigt, wird von Perman glaubwürdig vorgeführt. Dass er auch hervorragend singen kann, liebenswürdig und auch etwas leichtsinnig wirken kann, passt ideal für diese Rolle.

Normas geheimnisumwitterter Diener Max, der in Wahrheit ihr Entdecker, Regisseur und erster Ehemann ist, stets korrekt und emotional distanziert wirkt, am Ende aber seine starke Bindung zu Norma und seine Sorge um ihr Leben offenbart, ist bei Beppo Binder in besten Händen. Der Buffo- und Charaktertenor, der sich inzwischen eher in tiefen Stimmregionen bewegt, ist ein berührender Max von Mayerling. Er singt als einziger nicht mit einer Musical-, sondern mit einer Operettenstimme. Das trifft sich gut, denn Max ist, wie Norman, ein Fossil aus einer längst vergangenen Zeit.

Dorina Garuci ist ein fröhliche Betty Schaefer, die mit Joes Freund Artie Green (Thomas Smolej) verlobt ist, sich aber immer mehr zu Joe hingezogen fühlt.

Von Cecil B. DeMille, dem legendären Filmmogul Hollywoods, ist nicht überliefert, dass er gut singen konnte. Musste er ja auch nicht, als erfolgreicher Regisseur, Produzent und Studioboss. Ebenso verhält es sich mit Gerhard Balluch, der die kurze Episode des Wiederbegegnung mit Norma zu einem Kabinettstück feiner schauspielerischer Gestaltung werden lässt: Aufrichtige Freude am Wiedersehen, Verblüffung, als er erfährt, was sie sich von ihm erwartet, und Bedachtsamkeit, sie nicht zu verletzen, sondern sích irgendwie darüber hinweg zu schwindeln. Für den Rezensenten ist es immer eine Freude, diesem großen Schauspieler wieder zu begegnen, gehörte dieser doch zu den prägenden Theatererfahrungen, die der Gymnasiast zur Mitte der 60er Jahre am Stadttheater Klagenfurt gemacht hat.

Lobend zu erwähnen wären da noch jede Menge weiterer Mitwirkende aus dem Ensemble, vom Chor bis zum Ballett, die – in der Choreographie von Sabine Arthold – ihren Beitrag zum Erfolg erbringen. Die damit verbundenen Herausforderungen bezüglich Personenführung hat Regisseur Andreas Gergen ebenso effizient erfüllt wie die vielen Schauplatzwechsel.

Vier seltsame Personen aber geben Rätsel auf: Sie stehen oder sitzen meist dekorativ im Haus – sprich: meist auf der Stiege – herum, manchmal machen sie sich aber auch nützlich und schleppen Möbel herbei oder tragen sie wieder weg. Zu dieser Funktion passt ihre Aufmachung aber gar nicht. Sie sehen aus, als ob sie nackt wären, tragen aber enganliegende, hautfarbene Trikots. Auffallend sind Köpfe. Die leuchten nämlich in Gold. Dieser regieliche Einfall soll wohl auf die Oscar-Statue hinweisen, die Norma im Verlauf ihrer Karriere eingeheimst hat. Da sie zudem auch nützlich sind, geht das wohl okay.

Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Andjelko Ingrec. Mit dem Orchester der Bühne Baden gelingt es ihm vortrefflich, die Musik Webbers, die sich an der Unterhaltungs- und Filmmusik der 30er und 40er Jahre orientiert, schwungvoll zum Klingen zu bringen und dabei stets ein Ohr für die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne zu haben.-

Viel und begeisterten Applaus, Bravorufe und Jubelschreie gibt es schon während der Vorstellung, vor allem aber dann beim Schlussbeifall. Sunset Boulevard in Baden wird eine Erfolgsgeschichte.

 

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