
Patricia Nessy (Katharina), Darius Merstein-MacLeod (Petruchio). Alle Fotos: Bühne Baden / Christian Husar
BADEN / Stadttheater: KISS ME, KATE im Stil der Uraufführungszeit
19. Oktober 2024 – Premiere
Von Manfred A. Schmid
Das 1948 uraufgeführte Broadway-Musical Kiss me, Kate von Cole Porter gehört zu den großen Klassikern der der Nachkriegszeit, erhielt den ersten Tony-Award als bestes Musical und wurde über 1000 Mal aufgeführt. Die Handlung (Buch von Samuel und Bella Spewack, der Überlieferung nach übrigens ein zerstrittenes Ehepaar) verknüpft in bester Musical-im-Musical-Manier Shakespeares Komödie Der Widerspenstigen Zähmung mit den privaten Streitigkeiten des für die Umsetzung des Stücks verantwortlichen Teams: Der Regisseur Fred Graham, zugleich auch der männliche Hauptdarsteller des Petruchio, und die Musical-Diva Lilli Vanessi, Besetzung für die von Petruchio umworbene, männerfeindliche und sich einer Vermählung vehement widersetzende Katherina, haben sich vor einem Jahr scheiden lassen und treffen für diese neue Produktion zum ersten Mal wieder aufeinander. Als ein Rosenstrauß, den Fred der jungen Tänzerin Lois Lane schicken lässt, irrtümlich bei Lilli landet, wertet sie dies als erste Geste einer sich anbahnenden Versöhnung. Als sie dann, schon mitten in der Aufführung auf der beigefügten Karte den Namen der wirklichen Adressatin entdeckt, werden auch die Bühne und die Umkleidekabinen zu Austragungsorten ihres eskalierenden Konflikts.
Die turbulenten Auseinandersetzungen werden verschärft durch die Ankunft von zwei tollpatschigen Gangstern (urkomisch dargestellt von Florian Stanek und Markus Störk, die am Schluss auch den Rat „Schlag nach bei Shakespeare“ erteilen), die für ihren Boss bei Fred Spielschulden eintreiben wollen, die dieser nur bezahlen kann, wie er beteuert, wenn die Neuproduktion ein Erfolg wird. Als Lilli die Show hinschmeißen will, greifen sie daher ein, zwingen sie mit vorgehaltenen Revolvern zum Weitermachen und mischen sich – angemessen verkleidet – auch unter die Akteure auf der Bühne, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Das führt zu drolligen Situationen und trägt zum Erfolg des Musicals. Das Wichtigste ist und bleibt aber die großartige, mitreißende Musik von Cole Porter, von den auch die mit geistreichen Wortspielen und cleverste Reimen versehenen Texte der Lieder stammen, die zum Besten gehören, was in der frühen Nachkriegszeit geboten wurde. Viele der Lieder sind zu Evergreens des American Songbook geworden, man denke nur an das wunderbare „Wunderbar“, das bekanntlich auch Harald Serafin in seinen Bann ewigen geschlagen hat.

Ballett-Szene nit Niklas Schurz (ganz links)
Die fesselnde Qualität der Musik liegt auch an den explosiven Melodien, die eine Handvoll berauschender Tanznummern befeuern. Da trifft es sich gut, dass in Baden Ramesh Nair mit der Regie dieses Klassikers betraut wurde. Die hervorragend choreographierten Einlagen des Balletts der Bühne Baden sind atemberaubend und ungemein abwechslungsreich, das Lob erstreckt sich aber auf die gesamte Regiearbeit, die durchaus gelungen ist. Kiss me, Kate ist ein riesiger Publikumserfolg, das kann jetzt schon festgehalten werden. Gerade weil Ramesh Nair sich dazu entschlossen hat, die Aufführung im Stil der Uraufführungszeit, also der frühen 50-er Jahre, zu inszenieren. Damit rettet er nicht nur den einzigartigen Charme dieses Musicals, sondern dieser Entscheidung gibt ihm auch die Rechtfertigung in die Hand, an der Handlung, die heutigen Usancen schon lange nicht mehr entspricht, was im Übrigen auch für Shakespeares Stück gilt, festzuhalten. Da wird Katharinas Hintern versohlt. Das ist heute ein ebenso absolutes No-Go wie das damit verknüpfte Frauenbild. Da diese Züchtigung aber handlungsbestimmend für den weiteren Verlauf ist, wäre eine Änderung bzw. Weglassung dramaturgisch kaum zu verkraften. Das auch Katharina wild um sich schlägt, grundlos Ohrfeigen verteilt und den Männern Blumentöpfe an den Kopf wirft, sei nur nebenbei erwähnt. Wichtig ist, dass diese Inszenierung, als Blick in eine vergangene Zeit mit heute zumindest merkwürdig erscheinenden Eigenheiten, bewusst museal angelegt ist. So nehmen es, wie man bei der Premiere sehen kann, auch die Zuschauerinnen und Zuschauer auf. So war es eben anno dazumal.
Gelungen ist die Bühne von Stephan Prattes, der auf den Einsatz moderner Techniken und Effekte verzichtet und mit seiner Gestaltung der Backstage-Bereiche und Ankleideräume bis hin zu den altmodisch bemalten Kulissen der Bühnenaufführung dem Stil der Epoche ebenso gerecht wird wie die farbenfrohen Kostüme von Friederike Friedrich. Die musikalische Leitung hat Michael Zehetner inne, der mit dm Orchester der Bühne Baden den in der Orchestrierung von Don Sebesky aus dem Jahr 1999 etwas transparenter gemachten, mit jazzigen und lateinamerikanischen Rhythmen angereicherten Broadway-Big-Band-Sound der 50-er Jahre schwungvoll wiederaufleben lässt. Zu den musikalischen Highlights der Badener Premiere gehört der prickelnde Showstopper, mit dem der zweiten Akt eröffnet wird: „Too Darn Hot“ (Es ist zu heiß) beginnt mit einem Soloklarinettisten, der auf der Bühne ein paar träge Takte spielt. Dann steigert er sich von Paul, Fred Grahams Garderobier (Niklas Schurz), gesanglich angeführt, zu einer wild athletischen Ensembledarbietung, die Elemente aus Stepptanz, Swing und Jazz einbezieht.

Patricia Nessy (Lilli Vanessi) und Marina Petkov (Lois Lane)
Die wichtigsten Rollen sind vortrefflich besetzt, aber auch in den Nebenrollen gibt es viele positive Überraschungen, was dem gesamten Ensemble zugutekommt. Patricia Nessys widerspenstige Katharina und zutiefst beleidigte Lilli Vanessi ist von entfesselter, glühender Wucht. Wie sie in „Kampf dem Mann“ als Shakespeares Katahrina ihre Verachtung und Abscheu gegenüber der Männerwelt hinausschleudert, ist geradezu schockierend, während sie sich als Privatperson nach Liebe und Wertschätzung sehnt, ohne dabei auf ihre künstlerischen Ambitionen verzichten zu wollen. Dass sie am Schluss dann doch auf die Heirat mit dem Ordnungs- und Kontrollfanatiker, dem General Harrison Howell (in seiner Pedanterie unübertrefflich Franz Josef Koepp) verzichtet und zur Bühne und eventuell auch zu Fred zurückzukehren, ist durchaus nachvollziehbar und plausibel. Was sie in einer mit hellem Sopran Liebeserklärung auch klar ausdrückt.
Darius Merstein-MacLeod als Fred Graham ist ein schwer aus der Ruhe zu bringender Fels in der von ihm mitausgelösten Brandung. „The show must go“ ist die Maxime seines Lebens, aber auch die Entschlossenheit, nie aufzugeben, die er auch als Petruchio verfolgt, was ihm in seinem Doppeljob als Theaterleiter und Schauspieler die nötige Autorität verleiht. Ohne dabei an Sympathie einzubüßen. Sein anspruchsvollstes gesangliches Glanzstück ist Petruchios nostalgischer Rückblick „Wo ist die liebestolle Zeit“, in dem er von seinen Abenteuern in vielen italienischen Orten schwärmt.
Eine wichtige Rolle hat auch das junge Liebespaar Bill Calhoun (Steven Armin Novak) und Lois Lane (Marina Petkov, die nicht nur gut singen uns spielen, sondern – als Dance Captain – auch hervorragend tanzen kann) zu erfüllen. Sie kommen auch in der Shakespeare-Inszenierung als Lucentio und Bianca, Katharinas jüngere Schwester, zum Einsatz. Bill ist von seiner Spielsucht geplagt, und Lois ist in ihren Flirts nicht gerade wählerisch. Was sie aber auszeichnet, ist ihre Bereitschaft, über die Schwächen des anderen hinwegzusehen. Nicht nur Petkov, auch Novak ist ein fantastischer Tänzer und legt einen starken Stepptanz aufs Parkett.
Beppo Binder ist ein ein umtriebiger Harry Trevor und ein komödiantischer Baptista, ein vermögender Kaufmann und Vater von Katharina und Bianca. Tini Kainrath hat bühnenpräsente Auftritte als Hattie, Lilli Vanessis Garderobiere, und ist auch sängerisch zu erleben.
Die ausgiebig beklatschte, überaus gelungene Aufführung eines Musical-Klassikers, der bei eventuellen Änderungs- und Anpassungsbestrebungen gewiss nur an Charme eingebüßt und kaum etwas dazu gewonnen hätte. Der Bühne Baden ist zu diesem respektablen Erfolg und Mut zu Authentizität nur herzlich zu gratulieren. Wer sich gut unterhalten will: Auf nach Baden!