BADEN / Sommerarena: Premiere von WIENER BLUT
4. August 2024
Von Manfred A. Schmid
In der Fledermaus ist es der Champagner, dem am Schluss die Schuld an den turbulenten Verwechslungen Missverständnissen, Täuschungsmanövern und Untreueversuchen gegeben wird. In der Operette Wiener Blut, ebenfalls von Johann Strauß Sohn, allerdings mit dessen Billigung von Adolf Müller jun., damals Hauskompositeur am Theater an der Wien, aus dem reichen Schaffen des Meisters für ein Libretto von Victor Léon und Leo Stein zusammengestellt und 1899 uraufgeführt, ist es das Wiener Blut, das an den poly-amorösen Verstrickungen schuld sein soll, in die Graf Balduin, Gesandter des deutschen Fürstentums Reuß-Schleiz-Greiz in Wien, hineingeratene ist. Gemeint ist damit wohl die wienerische Leichtigkeit, mit der hierzulande ans Werk gegangen wird, wenn es sich um Pantscherln, Gspusis, Seitensprüngen und dergleichen handelt. So gesehen ist der Herr Graf ein Opfer der hier herrschenden Verhältnisse, wenn er neben seiner Gattin Gabriele seit Jahren ein Verhältnis mit der Tänzerin Franziska Cagliari unterhält und sich dann auch noch um die Gunst der Probiermamsell Pepi zu bemühen beginnt. Um dieses schlampige Beziehungsgeflecht auf Dauer aufrecht zu erhalten, wäre allerdings ein phänomenales logistisches Organisationstalent erforderlich. Damit ist der Graf Balduin aber nicht gerade gesegnet, weshalb er sich in eine allmählich immer heikler werdende Lage hineinmanövriert. Verkompliziert wird das alles noch, als sein Chef, Fürst von Ypsheim-Gindelbach, Premierminister von Reuß-Schleiz-Greiz, zum Wiener Kongress 1814 angereist kommt, alles durchschauen will und dabei alles durcheinanderbringt. Auch Kagler, Karusselbesitzer und Musiker, sorgt für Verwirrung, wenn er sich für einen legitimeren Status seiner Tochter Franziska einsetzen will. Und schließlich ist da noch Josef, der umtriebige Kammerdiener des Grafen, der, wie einst Leporello, seinen Herrn aus so mancher Bredouille zu retten versteht. Bei einem großen „Remasuri“ in Grinzing treffen dann alle Beteiligte aufeinander, die Lage spitzt sich zu und löst sich dann – dank des rettenden Entschuldigungsgrunds „Wiener Bluts“ – in mehr oder weniger Wohlgefallen auf.
Michael Lakner, Herr des Hauses, inszeniert die Operette mit leichter Hand und viel Sinn für die komischen Momente in der von vielen Techtelmechteln und Tabubrüchen heimgesuchten Handlung. So liefert er ein pralles Sittenbild, das sowohl die Zeit des Wiener Kongresses wie auch Zeit des Entstehens der Operette am Ende des 19. Jahrhunderts umfängt. Auch das Bühnenbild von Erich Uiberlacker, das von drei Bögen dominiert wird, die in den wechselnden Schauplätzen abgewandelt präsent bleiben, entspricht diesem Zeitrahmen, ist aber, wie die entzückenden Kostüme von Friederike Friedrich, eher dem Biedermeier zuzurechnen als der Jahrhundertwende.
Michael Zehetner und das Orchester der Bühne Baden zeigen einmal mehr, dass wienerische Klänge, vor allem Walzer und Tänze, in der Kaiserstadt zur musikalischen Grundausstattung gehören und bestens gepflegt werden.
Von den drei Frauenfiguren, auf die es der Herr Graf abgesehen hat, ist Sieglinde Feldhofers als seine allzu lange vernachlässigte Gattin Gabriele die weitaus interessanteste. Sie kann die Intention des Regisseurs, mit ihr eine Frau auf die Bühne zu bringen, die selbstbewusst und selbstbestimmt im Leben steht und sich, wohl als Folge persönlicher Erfahrung, als „Verfechterin der freien Liebe und einer offenen Beziehung“ entpuppt, hervorragend umsetzen. Auch gesanglich vermag Feldhofer mit ihrem strahlend klingenden Sopran voll zu überzeugen.
Nicole Lubinger als Franziska Cagliari lässt keinen Zweifel daran, warum der Herr Graf an ihr als Dauergeliebte Gefallen findet. Ihrem Gesang mangelt es aber, vor allem anfangs, etwas an Textverständlichkeit.
Verena Barth-Jurca erfüllt ihre Soubretten-Rolle der Pepi Pleininger mit akrobatischer wie auch komödiantischer Wendigkeit. In den Szenen, wo Pepi, von Beruf „Probiermamsell“, eine Art Vorläuferin heutiger Mannequins und Models, als Tänzerin einspringen muss (Choreografie Anna Vita), brilliert sie mit absichtlich herbeigeführten tollpatschigen Szenen und sorgt für viele Lacher. Stellenweise aber auch schon sehr nahe eines Overactings.
Clemens Kerschbaumer verfügt über einen kräftigen, einschmeichelnden Tenor und ist auch darstellerisch eine gute Besetzung für den etwas überforderten Schmalspur-Don-Giovanni Balduin Graf Zedlau. Besonders die Duette, in denen seine Frau Gabriele ihm emotional langsam wieder etwas näherkommt, werden von beiden mit zunehmender innerer Beteiligung dargeboten.
Der Bariton Franz Frickel als Fürst Ypsheim-Gindelbach bereichert in kuriosen Szenen, wenn er, der Sachse, den Wiener Dialekt zu entschlüsseln versucht, die allgemeine Heiterkeit und wird dabei vom stets präsenten Kammerdiener Josef (Beppo Binder) ausgiebigst unterstützt.
Eine Bomben-Überraschung ist Andy Lee Lang als exzellente Besetzung für den urwienerischen Prater-Karrusselbesitzer Kagler, Vater von Franziska Cagliari. Der als österreichischer „Botschafter des Rock ’n‘ Roll“ bekannte Musiker kann zwar in einer kurzen Einlage auch seine Kunst als Pianist demonstrieren, beeindruckt aber vor allem mit seiner ausgefeilten schauspielerischen wie auch gesanglichen Leistung in der Wiedergabe von „Verkauft‘s mei G’wand, i fahr in Himml“, begleitet von Christian Höller auf dem Akkordeon.
Kleinere Auftritte vergnüglicher Art haben Mario Fancovic (Fiakerkutscher), Russi Nikoff (Graf Bitokowski) und Daniel Greabu (Kellner Leopold).
Die Bühne Baden liefert mit dieser gelungenen Inszenierung von Wiener Blut, gemeinsam mit der ebenfalls aktuellen Csardasfürstin, nicht nur eine willkommene Sommerunterhaltung (Aufführungen noch bis 1. September), sondern leistet für die Operette das, was man an der Wiener Volksoper seit der Amtsübernahme durch Lotte de Beer vermisst: eine angemessene Pflege dieses Genres mit ansprechenden Aufführungen.