
Jens Janke (Wilhelm Giesecke), Boris Pfeifer (Zahlkellner Leopold), Melanie Schneider (Ottilie). Alle Fotos: Bühne Baden / Gregor Nesvadba
BADEN / Sommerarena: IM WEISSEN RÖSSL
Premiere
17. Juni 2022
Von Manfred A. Schmid
Die Eröffnung der diesjährigen Sommersaison der Bühne Baden mit Ralph Benatzkys Im Weißen Rössl in der Sommerarena stößt heuer auf besonderes Interesse. Mörbisch, von Harald Serafin einst als „Mekka der Operette“ bezeichnet, hat unter dem neuen burgenländischen Generalintendant Alfons Haider als österreichweit aufgesuchte Pilgerstätte für Operettenaufführungen ausgedient. Die Seebühne wird ab dieser Saison nur noch Musicals vorbehalten bleiben. Die Oper Jennersdorf, die auf Schloss Tabor vor allem mit Deutschen Spielopern ein treues und dankbares Publikum beglückt hat, soll im Gegenzug nur noch Operetten anbieten. Mit dem zur Eröffnung dieser neuen Bestimmung ausgewählten Singspiel Sissy von Fritz Kreisler, nicht gerade ein Prunkstück des Genres, wird freilich kein großer Ehrgeiz signalisiert, sich in der österreichischen Kulturlandschaft als neue Heimstätte der Operette etablieren zu wollen. Vielmehr deutet vieles darauf hin, dass man weiterhin ein kleines, feines, in den südburgenländischen Hügeln verstecktes Festival bleiben wird. Aus dieser Situation ergibt sich eine große Chance für das Badener Stadttheater, das einst mit Recht als Hort der Operette gegolten hat. Es ist gar nicht so lange her, dass in der kaiserlichen Kurstadt vor den Toren Wiens die Operette zu Hause war.
In den letzten Jahren wurde – nach längerer Flaute – in der Ära von Michael Lakner ein neuer Anlauf gestartet. Man sucht nach Antworten auf die Frage, wie man an diese große Tradition anknüpfen und dabei doch zeitgemäß an das Genre herangehen kann. Verschiedene neue Wege werden ausprobiert, mit mehr oder weniger guten Ergebnissen. Textliches Aufmotzen der Libretti mit Neusprech und doppeldeutigen, untergriffigen Kalauern, denen es oft an politischer Korrektheit mangelt (Eine Nacht in Venedig), hat sich als ein nicht sehr probates Mittel herausgestellt. Die Operette nicht ernst zu nehmen und sie zu veräppeln, war ein weiterer gescheiterter Versuch. Rundum gelungene Annäherungen sind bisher weitgehend ausgeblieben.
Dass die Experimentierphase noch im Laufen ist, das zeigt auch die Neuproduktion der Benatzky-Operette, die ihr Schöpfer als „Singspiel“ bezeichnet hat und an der aus Zeitgründen – sehr zum Leidwesen von Ralph Benatzky – auch andere Komponisten mit insgesamt sechs wichtigen Beiträgen mitgewirkt haben. Genannt werden meist nur Robert Gilbert mit dem Schlager vom „Schönen Sigismund“, Robert Stolz u.a. mit „Die ganze Welt ist himmelblau“ und Bruno Granichstaedten mit „Zuschau’n kann i net“. Unterschlagen wird meistens das Wienerlied „Erst wenns’s aus wird sein“ aus der Feder von Hans von Frankowski, das in dieser Operette merkwürdigerweise von einem aus Deutschland an den Wolfgangsee angereisten Privatgelehrten gesungen wird.
Die diesmal in Baden versuchte Annäherung an die – eigentlich nicht Wiener, sondern Berliner – Operette, die auf das ältere Singspiel zurückweist, aber auch ein Vorgriff auf das Musical verstanden werden kann, besteht offenbar darin, dass von der Regisseurin Isabella Gregor die im Original durch Anhäufung aller möglichen Klischees anzutreffende Karikatur der überlieferten Scheinwelt der Operette hier durch Einführung zusätzlicher Klischees auf die Spitze getrieben und schließlich ad absurdum geführt wird. Unterhaltsam ist das allemal, und in der Vorlage durchaus begründbar, ist doch der Auftritt von Kaiser Franz Joseph der ohnehin nicht zu toppende Gipfelpunkt an Klischeehaftgkeit, der von Kammersänger Heinz Zednik auch genüsslich zelebriert wird. Er bekommt den ersten Applaus noch bevor er den Mund aufmacht, und man weiß nicht, ob er der Opernlegende Zednik oder dem alten Kaiser gilt, dem nichts erspart bleibt, dem alles sehr schön erscheint und stets sehr freut. Vermutlich doch dem Kaiser, den die Österreicher heute noch so sehr zu vermissen scheinen. Noch dazu wenn er, wie hier, mit einer weisen Intervention das Happyend der Rössl-Wirtin mit ihrem Zahlkellner herbeiführt: Ein Kaiser, der sich um das Liebesglück seiner Untertanen kümmert, das hat schon was.

Heinz Zednik (Kaiser Franz Joseph) und Verena Scheeizu (Rösslwirtin)
Die Kostüme (Ausstattung Tanja Hofmann) und die Balletteinlagen – sehr witzig die Szene mit den Schwimmflossen an den Füßen (Choreographie Anna Vita) – sorgen für Lacher, so auch der auf zwei Beinen daherkommende, etwas penetrante Postkasten. Am gelungensten aber ist die Kuh, die schöne blaue Augen macht, beschwingt tanzt und n i c h t singt. Beim Singen scheidet sich in dieser Badener Sommerproduktion nämlich die Spreu vom Weizen.
Mit Verena Scheitz als Rösslwirtin Josefa Vogelhuber und Boris Pfeifer als Zahlkellner werden zwei sehr sympathische Darsteller als zentrales Liebespaar aufgeboten, das gesanglich nicht besonders auffällt. Pfeifers Tenor ist eher klein dimensioniert und in der Höhe etwas eng, für die in einer warmen Sommernacht oben geöffneten Sommerarena gerade noch ausreichend. Mit erfrischendem Spiel aber gewinnen sie das Publikum doch auf ihre Seite.
Alexander Kröner rettet als relativ kurzfristiger Einspringer für den erkrankten Reinhard Alessandri in der Rolle des Rechtsanwalts Dr. Siedler die Aufführung und verfällt dem spröden Charme der Tochter des Berliner Fabrikanten Giesecke. Melanie Schneider als Ottilie in punkigem Outfit liefert die gesanglich beste Leistung des Abends.
Jens Janke ist ein ständig im überzogenen Operetten-Berlinerisch mäkelnder Wilhelm Giesecke, der in zünftiger Tracht auch eine Begabung für das Stepptanzen unter Beweis stellt.
Eine anrührend feines Paar ergeben der für Natur und Reisen schwärmende Andreas Steppan als Professor Hinzelmann und die quirlige, entzückend lispelnde Juliette Khalil als dessen Tochter Klärchen, die sich zaghaft in den „schönen Sigismund“ verliebt. Oliver Baier, der 2020 als Conférencier und Comedian durch Lehárs Operette Die Blaue Mazur führte, legt als Sigismund Sülzheimer einen schrägen Kerl auf die Bühne, wie es sich für einen bewährten Dritter-Akt-Komiker in einer Operette gehört.
Jonas Zeiler überrascht als aufgeweckter Piccolo mit einer Musikeinlage auf dem Akkordeon, Gabriele Schuchter ist als allgegenwärtige Fremdenführerin, jodelnde Postbotin und Bürgermeister der personifizierte rote Faden, der mit starker Bühnenpräsenz alles zusammenhält.
Michael Zehetner hat die musikalische Leitung über und führt das Orchester und den Chor mit Geschick und Gespür durch ein buntes Medley aus musikalischen Anleihen bei der Volksmusik bis hin zu Foxtrott-Klängen und Jazzelementen.
Die Bühne Baden hat mit dieser stark akklamierten Produktion einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung Operettenbühne des Landes unternommen. Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein.