BADEN / Sommerarena: FRÜHJAHRSPARADE von Robert Stolz
30. Juli 2023 – Premiere
Von Manfred A. Schmid
„Es sind Erzählungen aus der sogenannten guten alten Zeit, die die Menschen gerade in Zeiten wie diesen dringend brauchen,“ ist im Programmheft zu lesen. Für Michael Lakner, Intendant der Bühne Baden, Grund genug, die „so herzerwärmende, so schön und sentimentale“ Geschichte vom ungarischen Mädel Marika, das nach Wien zu ihrer Tante, einer Bäckermeisterin, kommt, sich in den Deutschmeister-Korporal und Komponisten Willi Sedlmaier verliebt und – als widrige Umstände eine Aufführung von dessen neuestem Militärmarsch verbieten – die Noten des Musikstücks in ein Salzstangerl einbacken lässt, das der Kaiser Franz Joseph zum Frühstück serviert bekommt, wieder aufzuführen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Eskapismus, die Flucht aus der tristen, bedrohlich empfundenen Realität in die verklärte Traumwelt – hier in die operettenselige k.u.k. Vergangenheit – als Trost angeboten wird. Wer die Programmgestaltung von ORF 3 verfolgt, dem wird aufgefallen sein, dass Dokumentationen und Filme über die Habsburger in letzter Zeit stark zugenommen haben, ebenso Filme über das Leben auf der Alm, als Sennerin oder Hüttenwirt: Archaische Lebensmodelle als Alternative zu der auf den Abgrund zulaufenden modernen Zivilisation? – Da ist es dann durchaus konsequent, dass die Badener Premiere zeitversetzt ausgestrahlt wird: „Jung samma, fesch samma!“ ist eben Balsam für Ohren und Herz.
Das waren halt noch Zeiten. Herrschaftszeiten, in denen der gute alte Kaiser (leutselig und verständnisvoll Günter Tolar) noch selbst als deus ex machina in Erscheinung tritt und in seiner unendlichen Güte Ordnung schafft. Im vorliegenden Fall hebt er das Aufführungsverbot auf und ordnet stattdessen an, dass der Marsch in Zukunft bei jeder Frühjahrsparade erklingen solle. Dass der Korporal zum Tambourmajor befördert wird, ist ohnehin Ehrensache.
Robert Stolz komponierte die Musik zunächst für die 1934 uraufgeführte Filmoperette Frühjahrsparade, die dann 1955 mit Romy Schneider, Josef Meinrad, Hans Moser und Paul Hörbiger unter dem Titel Die Deutschmeister neuverfilmt wurde. Später arbeite Robert Stolz das Werk zu einer Bühnenoperette um, welche, nun wieder Frühjahrsparade genannt, 1964 in der Wiener Volksoper uraufgeführt wurde. Die Geschichte spielt in Wien, Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Welt noch heil war und keiner davon ahnen oder wissen wollte, dass ein gutes Dezennium später der I. Weltkrieg ausbrechen werde.
Michael Lakners Regie geht „historisch“ vor, wie er schreibt, allerdings „mit heutigen Mitteln“, worunter er wohl die effektvoll genützten Möglichkeiten der neu gebaute Drehbühne meint. Die Bühnenbilder (von Erich Uiberlacker) in der Sommerarena zeigen das Riesenrad, Schloss Schönbrunn und ein fidel-gemütliches Heurigenlokal. Die Kostüme (Friederike Friedrich) sind bunt, fantasievoll und dem Zauber der Montur verpflichtet. Hinterfragt wird hier nichts. Hie und da ein Augenzwinkern, das sanft vermitteln will, dass man sich durchaus bewusst sei, dass die schöne heile Welt, die hier gezeichnet wird, nicht unbedingt ernstgenommen werden muss. Die Regie ist unterhaltsam und flott. Langeweile kommt nicht auf. Die Balletteinlagen von Anna Vita sind zündend und elegant choreographiert. Der Tanz vor der Kulisse von Schloss Schönbrunn könnte durchaus als Pausenfilm bei der Übertragung des Neujahrskonzerts eingespielt werden.
Zum Lachen gibt es viel. Dafür sorgen zum einen die witzigen Auftritte von Beppo Binder als Friseur Swoboda und als Ketterl, Kammerdiener des Kaisers, allesamt ausgefeilte Glanzstücke komödiantischer Entfaltung. Dazu gehören auch die himmelschreiend komischen Interventionen der Klothilde von Laudegg, der allmächtigen Gemahlin des Obersthofkämmerers. Gerald Pichowetz ist in dieser Rolle eine gelungene, urkomische Lachnummer. Roman Frankl als ihr Ehemann blüht auf, als er sich letztendlich von ihr lossagt und es satt hat, noch länger von ihr herumkommandiert zu werden. Ein humoristisches Gustostückerl liefern auch die zunächst mit steinerner Miene dastehenden beiden Wachsoldaten vor dem Schloss Schönbrunn, die sich schließlich von der Musik hinreißen lassen und mitzuschunkeln beginnen, sowie Fritz, der muntere, schlagfertige Bäckerlehrling aus Berlin (Jonas Zeiler).
Eindeutig zu den komischen Figuren zählt auch Oliver Baier als etwas verklemmter, schüchterner Hofrat Arthur Neuwirth, der aber hie und da bissige Bemerkungen zu gesellschaftlichen Missständen, vor allem zur Politik, einstreut. Er ist der Mann, der jeden Morgen im Laden der Bäckersfrau auftaucht, um die zwei Salzstangerln für den Kaiser abzuholen, sich alsbald aber als glühender Verehrer der feschen, reschen, ansteckend frohgemuten, tanzend und singend über die Bühne wirbelnde Bäckermeisterin Therese Hübner (phänomenal einnehmend Kerstin Grotrian) zu erkennen gibt. Seine Avancen werden vom Friseur Swoboda zwar nachhaltig sabotiert, aber es kommt dann beim Heurigen doch zu einem Happyend.
Das Beste an der Frühjahrsparade ist die melodienselige Musik von Robert Stolz, mit ihren zu Schlagern gewordenen Liedern wie „Im Frühling, im, Prater, in Grinzing, in Wien“, „Wien wird bei Nacht erst schön“, „Ich freu mich, wenn die Sonne lacht“ und „Du bist mein ganzes Dasein“, die längst schon als Wienerlieder gelten. Die Hauptrollen sind dementsprechend exzellent besetzt, sowohl gesanglich wie auch darstellerisch. Verena Barth-Jurca ist eine entzückend herzerfrischende Marika, die das naive Mädel vom Land mit einem liebenswerten ungarischen Akzent auf die Bühne bringt. Beim ersten Auftritt noch etwas zu zurückgenommen und eine Spur zu leise, sehr bald aber voll überzeugend mit ihrer Natürlichkeit, stimmlichen Präsenz und Tanzfreudigkeit. Als ihr geliebter Willi Sedlmaier, Korporal und Komponist, bewährt sich Ricardo Frenzel Baudisch. Ein etwas zerstreuter, schusseliger, liebenswerter junger Mann.
Es gibt noch ein weiteres Liebespaar, das zunächst sehr unter der Fuchtel der Klothilde zu leiden hat, weil diese die Verbindung ihres Neffen, Oberleutnant Gustl von Laudegg (Clemens Kerschbaumer, mit feinem, vibratoreichem Tenor), mit der Sängerin Hansi Gruber für nicht standesgemäß hält und eine Verlobung partout verhindern will. Miriam Portmann ist eine ideale Besetzung für diese Rolle und verleiht der Sängerin die Aura einer allseits beliebten und verehrten Volkssängerin und Wienerliedinterpretin mit Ausstrahlung und Wärme.
Das Orchester der Bühne Baden unter der Leitung von Michael Zehetner führt vor, wie vielfältig gestaltet die Musik von Robert Stolz ist, und serviert die gefälligen Walzer und Märsche mit Eingühlungsgabe. Der Opernkavalier Marcel Prawy hat den Komponisten Stolz sehr verehrt und seinerzeit mit einem Galakonzert im Theater an der Wien (noch mit Nicolai Gedda) gewürdigt. Das Publikum ist begeistert dankt mit stehendem Beifall. Die lustige, kurzweilige, unbeschwerte Sommerunterhaltung steht noch bis Ende August auf dem Programm der Sommerarena. Dem guadn oidn Kaisa bleibb nix erspart.