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BADEN / Sommerarena: DIE BLAUE MAZUR von Franz Lehár

01.08.2020 | Operette/Musical

 

Ricardo Frenzel Baudisch (David), Sieglinde Feldhofer (Blanka). Alle Fotos: Bühne Baden / Christian Husar

BADEN / Sommerarena: DIE BLAUE MAZUR von Franz Lehár

31. Juli 2020 (Premiere)

Von Manfred A. Schmid

Nach der Uraufführung 1920 am Theater an der Wien erlebte Lehárs Operette Die blaue Mazur rund 300 Aufführungen en suite und wurde auf vielen Bühnen im deutschsprachigen Raum, aber auch in Frankreich und Italien als nachgespielt. Zur Popularität des Werks in der Zwischenkriegszeit trug vor allem die ausgeklügelte Tanzdramaturgie ihres Schöpfersbei. Ausgangspunkt ist der vielbeschworene, titelgebende polnische Balztanz – eine Erfindung der Librettisten Leo Stein und Béla Jenbach – bei dem sich das zentrale Paar, der polnische Graf Olinski und die Wiener Gräfin Blanka von Lossin kennen- und lieben lernen. Dargeboten wird er aber erst am Schluss, als das schon am Hochzeitstag auseinandergegangene Paar wieder aufeinandertrifft, allmählich erneut in leidenschaftlicher Liebe entflammt und, nach überstandener Krise wiederversöhnt, einen Neuanfang macht. Das spannungsgeladene Warten auf die Erlösung, auf das Erscheinen des Grafen beim Ball, auf das Erklingen und Tanzen der ominösen Blauen Mazur, die dem bislang tonangebenden Wiener Walzer Paroli bietet, macht den dramaturgischen Reiz dieses Werks aus.

Anlässlich des 150. Geburtstags des großen Komponisten der Silbernen Ära der Wiener Operette macht sich die Bühne Baden – mit einer vom Chef persönlich angefertigten „Neufassung“ des Werks –  an eine Wiederentdeckung der inzwischen so gut wie vergessenen Lehár-Operette. Michael Lakner, der auch für die Inszenierung verantwortlich zeichnet, belässt die Handlung im ursprünglichen Rahmen der Donaumonarchie des fin de siécle, verändert aber den dramaturgischen Ablauf: statt einer „Operette in zwei Akten mit einem Zwischenspiel“ hat man es nun mit einer „musikalischen Komödie in drei Bildern“ zu tun. Vor allem aber ändert Lakner einige Namen und damit die Biographien ihrer Träger. So macht er aus dem Grafen Olinski den jüdisch-polnischen David Graf Szpilmanski. Auch der enge Freund des Grafen – nun ein Mann mit einem Doppelleben, weshalb er sich auch zweier gesellschaftlicher Identitäten bedient – ist hier jüdischer Herkunft, was schon seine Namen Baruch bzw. Benjamin von Blumenstijn nahelegen. Außerdem ist er nun nicht mehr der Neffe des Freiherr von Reiger, sondern dessen Adoptivsohn. Lakner begründet diese Adaptierungen damit, dass er – im Einklang mit dem Motto „Religion und Glaube“ der Saison 2019/20 – den Zeithintergrund schärfen wolle. Das Stück spiele in einer Zeit, „wo die Juden großen Teils assimiliert lebten und nichts mehr ersehnten, als als religiöse Minderheit in Frieden leben zu dürfen und im Vielvölkerreich ihren unangefochtenen und noch nicht durch rechtsradikale Strömungen lebensgefährdeten Platz hatten“. Ein interessanter Ansatz, aus dem sich etwas machen ließe. Leider aber haben diese Umbenennungen und die jüdischen Wurzeln zweier zentraler Akteure keinerlei Einfluss auf die Handlung und die psychologischen und gesellschaftlichen Zwischentöne. Man muss sich einzig und allein damit begnügen, dass man jüdische Ausdrücke wie Schmonzes, Mischpoche, Chuzpah oder Schalom zu hören bekommt. Ein Ansatz also, der folgenlos bleibt. Schade, denn der Mut der Bühne Baden, in Corona-Zeiten zu den wenigen Häusern zu zählen, die es wagen, eine szenische Aufführung zu wagen – auflagengerecht ohne Ballett, Chor und Pause, mit penibler Sitzordnung und geradezu choreographiertem Auszug des Publikums nach Ende der Vorstellung – ist prinzipiell ebenso zu begrüßen wie der Versuch, eine verschollene Lehár-Operette wiederbeleben zu wollen.

Sieglinde Feldhofer (Blanka), Martha Hirschmann (Gretl), Clemens Kerschbaumer (David)

So aber nimmt sich die Neufassung dramaturgisch eher wie eine mäßig gelungene Schönheitsoperation aus. Leider lässt auch die platte Regie das Werk zu einer Klamotte verkommen. Ein so unsäglich grotesk-verschwult daherkommendes Herrentrio im Haus des Freiherrs von Reiger (mit den Knallchargen Thomas Zisterer, Thomas Weinhappel und Philippe Spiegel) sollte man heutzutage nicht mehr – auch nicht im beschwingten und unbeschwerten Theatersommer – auf die Bühne stellen. Dies als unschicklichen Missgriff anzuprangern, hat mit political correctness nichts zu tun, sondern ist eine Frage des Taktgefühls und des Anstands. Auch das verhunzte „Schönbrunnerdeutsch“ der drei Herren irritiert. Es ist natürlich karikierend gemeint, klingt aber zu wenig charmant. Positiv hingegen ist das stimmige k.u.k-Bühnenbild von Christoph Lerchmüller und die ebensolchen Kostüme von Friederike Friedrich anzuführen. Schwungvoll und anmutig auch die Choreographie von Michael Kropf sowie das Orchester der Bühne Baden unter der Leitung von Franz Josef Breznik. Was aus dem Graben kommt, klingt nach echtem Lehár. Was der Regisseur auf die Bühne stellt, weniger. Schönheitsoperation gelungen. Patient nicht tot, aber kaum wiederzuerkennen.

Der wohltönende Tenor Clemens Kerschbaumer als David Graf Szpilmanski ist ein sympathischer Schwerenöter, den seine unstandesgemäße On-Off-Beziehung zum Vorstadt-Mädel, der Balletttänzerin Gretl Aigner, unverhofft in eine schwierige Lage gebracht hat. Martha Hirschmann ist gesanglich eine gute Besetzung für die Soubretten-Rolle der Gretl. Mit den derben wienerischen Ausdrücken, die sie unverblümt von sich gibt, hat sie allerdings einige sprachliche Probleme. Daran könnte noch gefeilt werden.

Sieglinde Feldhofer ist Blanka von Lossin, die schon bei der Hochzeitsfeier der Gesellschaft den Kampf ansagt, indem sie die fröhliche Eintracht der Heiratslustbarkeiten wegen Untreueverdachts aufkündigt. Sie überzeugt vor allem in den großen Walzerszenen, mit sich allein, aber auch mit Benjamin von Blumenstijn und schließlich mit ihrem schon abgeschrieben geglaubten David. Ricardo Frenzel Baudisch gelingt es, in der Doppelrolle des nachtaktiven Benjamin und es schüchternen, eingesponnenen Tagträumers Baruch zu brillieren. In mehreren Rollen tritt auch Oliver Baier auf, der nicht nur als Conferencier mit humorigen Wortspenden durch die Handlung führt, sondern auch als adliger Gast, Chauffeur, Diener und sogar als russische Dame Galina Vodkarova für Lacher sorgt. Dass Baier bei seinen Auftritten auch auf die Corona-Situation anspielt, ist legitim, gehört die Theaterzunft doch zu den am stärksten von ihr betroffenen Branchen. Dass auch der Name Ibiza fällt, kann man hingegen kaum mehr als witzig zur Kenntnis nehmen. Hat sich längst verbraucht.

Das Publikum scheint dennoch zufrieden und lacht und applaudiert bei jeder Gelegenheit. Ist auch verständlich. Zu lange hat man auf diese Art von Unterhaltung verzichten müssen. Endlich gibt es wieder Vorstellungen. Noch dazu im feinen Ambiente der Sommerarena. Und dafür ist der Bühne Baden – allen inszenatorischen und bearbeiterischen Einwänden zum Trotz – zu danken und zu gratulieren.

 

 

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