Ovationen für Paolo Rumetz, Anna Ryan, Fabio Armiliato, Tiziano Duca und das Schlossorchester. Foto: Andrea Masek
BADEN/Schloss Weikersdorf: Italienische Operngala als großes Gefühlskino
4.7. 2018 – Karl Masek
Ein Höhepunkt der Saison ist es für den Merker-Kunstsalon, wenn er Anfang Juli traditionell zu einer Operngala in die Kurstadt Baden bei Wien einlädt.
Der prachtvolle und akustisch besonders sängerfreundliche Innenhof des Schlosses Weikersdorf bietet ein besonders schönes Ambiente – Ausführende wie Publikum fühlen sich sichtlich und hörbar wohl. Auch vor Wetterkapriolen muss man nicht zittern. Die Glasüberdachung macht’s möglich.
Der umtriebigen Impresaria des Kunstsalons, Elena Habermann, gelingt es jedes Jahr aufs Neue, mit einem attraktiven, spannenden Programm aufzuwarten und mit renommierten Künstlern zusätzlich Neugier beim Opernpublikum zu wecken.
Fabio Armiliato mit einem Ausschnitt aus „Otello“. Foto: Andrea Masek
Stargast war heuer Fabio Armiliato. Der aus Genua stammende Tenor (und Bruder des an der Wiener Staatsoper hoch geschätzten Dirigenten Marco Armiliato) hat im Haus am Ring zwischen 1998 und 2014 68 Abende gesungen und 13 Rollen verkörpert. Das persönliche Erinnerungsblatt nennt als besondere Erlebnisse seine Wiener Auftritte als Andrea Chenier, als Don Carlo sowie als Alvaro („Macht des Schicksals“). Eine attraktive Bühnenerscheinung, groß, sportlich, drahtig wirkend. Ein ausdrucksstarker Schauspieler, ein Höhenjäger mit gesunder baritonaler Grundlage. Ein Spintotenor, gleichermaßen kraftvoll und geschmeidig. Ein Stilist mit erstklassiger Technik. Und ein Sänger, der Musik „visualisieren“ kann.
Seine Karriere währt nun mehr als ein Vierteljahrhundert. Er ging offensichtlich sehr klug mit seiner Stimme um, betrieb keinen Raubbau. Sein Repertoire ist überschaubar geblieben. Verdi und Verismo-Opern sang er all die Jahre„Sänger sind keine Zitronen“, sagte er einmal in einem Interview, und er wollte sich nie im Opernbetrieb auspressen lassen. Eine (auch stimmliche) Krisensituation, die der Krankheit und dem tragisch frühen Tod seiner langjährigen Lebenspartnerin, der Sopranistin Daniela Dessi, geschuldet war, hat er gottlob überwunden.
Otello: Fabio Armiliato und Anna Ryan beim großen Liebesduett. Foto: Herta Haider
Die Stimme, das „bronzene“ Timbre des mittlerweile 61-Jährigen klingt urgesund, wird nach wie vor effektvoll und „im vollen Saft“ eingesetzt. Registerwechsel meistert er mit technischer Perfektion. Ob allein (die Szene „Dio mi poteviscagliar“ aus Verdis „Otello“ mit singdarstellerischer Potenz ), ob im großen Liebesduett „Gia della notte“, gemeinsam mit der armenischen Sopranistin Anna Ryan als Desdemona: Da findet großes Gefühlskino statt. Und die Bühne geht überhaupt nicht ab, so sehr sind beide in ihren Rollen „drin“!
Rückblickend ist es sehr schade, dass Armiliato nie für ein Otello-Gastspiel an der Wiener Staatsoper eingeladen wurde. Und „E lucevan le stelle“aus dem III. Akt Tosca habe ich selten mit derart glaubhafter Leidensfähigkeit im stimmlichen Ausdruck gehört.
Paolo Rumetz (nicht als Falstaff, sondern als Giordano-Bariton). Foto: Andrea Masek
Der in Triest geborene Bariton Paolo Rumetz erfreut sich seit dem spektakulären Einspringen während der Wiener „Rigoletto“-Premiere 2014 großer Beliebtheit beim Stammpublikum. Und auch Dominique Meyer setzt das wertvolle Ensemblemitglied nun nicht nur in Bassbuffo-Rollen, wie dem „Barbiere“-Bartolo, dem Dulcamara oder dem Mesner in „Tosca“ ein. Mittlerweile darf er den Rigoletto auch angesetzt verkörpern, oder den Amonasro, oder den Padre Germont.
An diesem Abend setzt er mit Verdi (Eri tu, „Unballo in mascera“) und Umberto Giordano (Nemico della patria im „Andrea Chenier“) markante sängerische Ausrufezeichen. Kraftvoll strömt dieser Bariton, mit langem Atem und gekonnter Legatokultur, mit dramatischen Reserven und ungeahntem Höhenglanz! Ohne jetzt leichtfertige Vergleiche herstellen zu wollen: Für einen Moment fiel mir ein anderer Triestiner ein: Piero Cappuccilli, was aber Rumetz nicht herabsetzen, sondern ihm im Gegenteil zur Ehre gereichen soll. Da scheint auch im Haus am Ring noch einiges an Rollenentwicklung möglich. Vielleicht sogar bis hin zum „Falstaff“ oder bei Puccini einmal ein „Gianni Schicchi“ (den hat der Vielseitige mit viel Lust am Buffonesken schon mit Erfolg im Merker-Kunstsalon ausprobiert). Aber auch das Duett aus Verdis „Il Trovatore“, Leonora/Luna, Ah, dove sei crudele, war mit Stretta-Wildheit „nicht ohne“. Auch hier ging’s mit Gefühlskino zur Sache. Rumetz dramatisch auftrumpfend, Anna Ryan mit gewürzten Spintotönen (ein Hauch Chilli, eine Prise Pfeffer) und obendrein geläufiger Koloratur-Gurgel. Ein fulminantes Finish!
Fabio Armiliato, Anna Ryan. Foto: Herta Haider
Zuvor bewies Anna Ryan bereits große stilistische Bandbreite von Rossini (die schwierige Arie Sombre foret… aus „Guillaume Tell“ bewältigte sie mit der Souveränität einer stilistisch „wissenden“ Sängerin) bis Giordano (La mamma morta war ein weiteres Highlight eines an Höhepunkten reichen Abends).
Nach jeder Nummer temperamentvolle Bravi-Rufe. Ja, es waren immer alle gemeint! Das Schlossorchester, eine glückliche Mischung aus viel studentischem Nachwuchs und einigen Routiniers, ist inspiriert bei der Sache. Tiziano Duca, seit Jahren bewährter Dirigent bei den Operngalas, ist auch diesmal wieder ein ruhiger Sachwalter am Pult, der keine dirigentischen Showeinlagen nötig hat. Er strahlt Sicherheit aus. Schon die Ouvertüre zu Rossinis „La Scala di seta“ erweiterte die Gefühlspalette um das komische Element. Sprudelnde Fröhlichkeit, sprühender Witz im Orchester. Gut aufgelegt die Soli von Oboe und Klarinette. Und auch der einzige Ausreißer vom Italienischen, Camille Saint Saëns‘ Bacchanale aus „Samson et Dalila“, bringt dem Orchester verdienten Jubel ein.
Anna Ryan, Tiziano Duca. Foto: Herta Haider
Das begeisterte Publikum erklatscht sich ausdauernd eine Zugabe: Das Intermezzo aus „Cavalleria Rusticana“, klangsinnlich und auch innig gespielt.
An diesem Abend hätten sich Elena Habermann und alle Mitwirkenden einen Opern-Oscar verdient. Gibt es eine Fortsetzung, auch im Juli 2019?
Karl Masek