„O jag dem Glück nicht nach auf meilenfernen Wegen“ – “Die Csárdásfürstin” in der Sommerarena der Bühne Baden, Vorstellung vom 06.07.2024
Copyright: Bühne Baden
Es ist so eine Sache mit der Operette. Einerseits liebt man sie für ihr Gemisch aus sehnsüchtiger Nostalgie und Walzerseligkeit, kombiniert mit klugem Witz, sorgloser Heiterkeit und doch einer gewissen Portion Lebensweisheit. Andererseits sind ihre Libretti häufig dann doch von so großer Einfältigkeit, daß sie entweder schnell zu unerträglichem Kitsch mutieren oder Opfer von Hinzudichtungen und Abänderungen zur Verbreitung politischer Ideologien und Standpunkte wird, die dann naturgemäß Lichtjahre von den eigentlichen Libretti entfernt sind. Wie sehr letzteres fast ausnahsmlos scheitert, zeigen die in den letzten zwei Spielzeiten vorgenommen Versuche an der Wiener Volksoper, mit denen sich Lotte de Beer zur Erfüllungsgehilfin linkspolitischen Agitprops machte und dafür von der grünen Staatsekretärin Andrea Meyer trotz sinkender Besucher- und desaströser finanzieller Kennzahlen unlängst in eine zweite Amtszeit verlängert wurde. Denn der Zeitgeist hat zwar meist wenig nachhaltiges zu bieten, frönt aber umso mehr der Anpreisung kurzfristiger (eben meist politisch getriebener) Ideen und Ziele. So kann es nicht verwundern, daß auch Ruth Brauer-Kvam ebenfalls dieser Linie folgt, wirkt sie doch ebenfalls an der neu ausgerichteten Volksoper und bedient sich eines ebenso zeitgeistigen, das Libretto völlig verfälschenden Konzeptes bei ihrer Umsetzung von Emmerich Kálmáns Csárdásfürstin an der Bühne Baden.
Frau Brauer-Kvam legt dabei die Geschichte aus der Zeit der Ringstrassenära in das Jahr 1934. Als Begründung entnehmen wir den Worten Frau Brauer-Kvams im Programmheft, dass man dieses tue um den jüdischen Humor hochleben zu lassen. Kálmán und seine Librettisten Stein und Jenbach seien schliesslich alle drei Juden gewesen und deshalb – so entnehmen wir dem Programmheft – nehme man jene Verlegung “in eine Zeit [vor], als die jüdische Kultur noch nicht verboten war, die Gefahr aber schon in der Luft lag. Ein bisschen so wie heute also, wo sich auf allen Seiten Gewitter auftpürmen, aber alle so weitertun wie bisher”.
Da stellen wir uns zunächst die Frage, welche Gefahr Frau Brauer-Kvam hier meint? Die Angriffe der Hamas auf Israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023? Die jüngsten Tötungen von Zivilisten auf den Golanhöhen durch die Hisbollah? Die Verweigerung von handschlägen gegenüber israelischen Olympioniken in Paris? Sich jährlich wiederholende antisemitische Parolen am so genannten “Al-Quds-Tag”? Demonstrationen bei denen sich auch eine Gruppe Namens “Queers for Palestine” hinter die Terroranagriffe auf Israel stellt [ja, die existiert wirklich, kein schlechter Witz]? Oder den Anstieg antisemitischer Vorfälle in Wien um 59,5% zum Jahr 2023? In der Tat alles höchst abstossende und unerträgliche Ereignisse und in der Tat ist es fast noch unerträglicher mitanzusehen, daß bis zum heutigen Tage eine Solidarisierung mit Israel insbesondere im Kulturbereich ausbleibt und ein “Nie wieder” hier schlicht gar nicht oder als nicht überzeugendes Lippenbekenntnis vertreten wird.
Dass eine Verlegung eines Operettenlibrettos wie jenes der Csárdásfürstin ins Ungarn und dann Österreich des Jahres 1934 hier jedoch nur bei Wohlwollen betrachtet marginale Anknüpfpunkte bietet, ist nun wirklich keine Überraschung. Frau Brauer-Kvams Umdeutung besteht dann hauptsächlich darin, der Titelheldin Sylva Varescu eine jüdische Identität zu geben und zu behaupten, dass damit ein zum Libretto hinzugefügt worden sei, “der in den 1930er Jahren die Liebe zwischen ihr und Edwin noch komplizierter” mache. Dies wird dann lediglich an zwei Stellen überhaupt durch nebensätzliche Aussagen sichtbar, was natürlich das Libretto als solches überhaupt nicht beeinflusst und von den Meisten zuschauern im Publikum kaum bis gar nicht wahrgenommen wird. Kurz gesagt, die Idee verpufft und sieht sich sogar vielmehr mit Faktum konfrontiert, daß sie historisch so einfach nicht tragbar ist. Zur Erinnerung: Unter der Reichsverweserschaft Horthys herrschte von 1921 bis 31 unter der Regierung István Bethlens zwar relative Toleranz gegenüber in Ungarn lebenden Juden. Doch bereits Bethlens näherte sich 1927 mit einem Freundschaftsabkommen an Mussolinis Italien an. Jedoch konnte Bethlen keine Antwort auf die Herausfordrungen der großen Depression Ende der 20er Jahre finden und wurde 1931 zunächst von Graf Gyula Károlyi de Nagykároly und 1932 von Gyula Gömbös, einem bekennenden Faschisten und eben auch Antisemiten ausgetauscht. In einem Akt des Appeasements handelten die ungarischen Juden einen Handel mit Gömbös aus und versprachen, seine politischen Bestrebungen zur Aufhebung des Vertrags von Trianon zu unterstützen, wenn im Gegenzug keine gesetzliche und ökonomische Diskriminierung gegenüber jüdischen Ungarn umgesetzt würde.
Eine komplizierte Sitation also, die präzise zeigt, daß Budapest im Jahr 1934 eben nicht Berlin im Jahr 1925 und eine ausufernd dekadente Partystimmung zu jener zeit in Budapest schlicht undenkbar war. Frau Brauer-Kvam versucht hingegen in ihrer Produktion ein Budapest oder zumindest ein Cabaret Orpheum zu erzeugen, welches eben mehr an Berlin in den 20er Jahren erinnert und so bietet sich stellenweise der Eindruck, als habe Barrie Kosky eine Rummelplatzversion von John Kander und Fred Ebbs Musical “Cabaret” inszeniert, jedoch garniert mit Witzen von Didi Hallervorden und Otto Waalkes. Vermutlich ist es das was Frau Brauer-Kvams meint, wenn sie davon schreibt, es sei ihr wichtig “den Slapstick- und Comedyaspekt aus dem Libretto herauszukitzeln. Musik, Kabarett, Zauberkunst: Dieses Konglomerat habe ich als Rahmen für die Handlung auserkoren, ebenso eine Conférencière, die dem Publikum die Liebesgeschichte erzählt…”.
Und so beginnt der Abend noch vor dem eigentlichen Werk mit der Ansage durch die oder den Conférencièr, zu welchem Edwins Freund Feri schlichtweg umfunktioniert wurde. Tania Golden hat die (undankbare) Rolle hier das Publikum durch den Abend zu führen. Denn was durchaus in einer gelungenen Idee hätte münden können, wird lediglich durch wirklich zähe Kalauer und einen im Laufe des Abends zunehmend anstregendem, falschen, ungarischem Akzent illustriert. Ob uns als Publikum schon heiss sei, werden wir da also zu Beginn gefragt, das mache nichts, es werde gleich noch heisser. Durch den Abend ziehen sich dann insbesondere immer wieder solche Kalauer, von denen fraglich sein darf, ob sie mit jüdischem Witz etwas zu tun haben – Georg Kreisler und Gerhard Bronner würden wohl im Grabe rotieren. Kein Wunder also, dass in der ersten Hälfte des Abends also nur auf der Bühne gelacht wird, im Publikum jedoch eisige Stille und eher zäher Applaus vorherrschen.
Hinzu kommen dann noch Verfälschungen des Librettos, die der heutigen politischen Korrektheit Tribut zollen: Gleich zu Beginn des Abends werden aus den “Mädis”, dann “die Schönen vom Chanton”, auch geht die ganze Chose dann nicht “ganz ohne Weiber” sondern “ganz ohne Liebe” nicht. Ein Werk in die Zeit absolutistischer Regime zu setzen, um die Unterdrückung von Minderheiten sichtbar zu machen, dabei aber selbst durch das umschreiben des Werkes exakt jene Methoden zu nutzen, die man gleichzeitig angprangeren will, ist schon von gewaltiger Ironie. Einmal mehr sei an George Orwells 1984 erinnert, in welchem ein umgestaktetes Neusprech die Ideologie der “Wokeness”… pardon des “Engsoz” im Unterbewusststein der Menschen verankern sollte.
Natürlich sind dann auch bei den Szenen im Orpheum die fast schon obligatorischen Männer in Frauenkleider zu sehen. Dies passt dann zwar zu den durchgeführten Textmanipulationen, führ aber zu einer völlig überfüllten Bühne auf der die durchaus sehr guten Leistungen des Ballets fast schon untergehen. Provokant ist hier allerdings nichts, denn hier kann nur noch von gähnender Langeweile geredet werden. Wieder einmal mehr wurde ein Libretto zerstört um mit Steuergeldern poltischen Meinungen zu huldigen.
So verwundert es nicht, daß nach der Pause bereits einige Plätze freibleiben – was sich allerdings als Fehler herausstellt. Offensichtlich leidet die musikalische Abstimmung unter den inszenatorischen Eskapaden des 1. Akts. Verschwinden nach der Pause aber glücklicherweise nicht nur der unnötige Regietheater-Schmafu, sondern mit ihm auch die Abstimmungsprobleme unter den Musikern, kann Maestro Victor Petrov, der zunächst noch alle Hände voll damit zu tun hatte, um Ensemble und Orchester beieinander zu halten nun aus dem Vollen schöpfen. Fast ist der Abend nun konzertant zu nennen und gibt so den Sängern die Möglichkeit, voll und ganz ihr Können zu beweisen.
Alma Sadé gelingt es von Beginn des Abends an als Sylva Varescu bereits bei „Heia, in den Bergen ist mein Heimatland“ wirklich ausgezeichnete und saubere Koloraturen zu singen und schwunghaft in den Abend zu starten. Leider wird sie stellenweise durch das lärmende Geschehen auf der überfüllten Bühne übertönt. Bei „So ein Teufelsweib“ wird dies dann so extrem, dass Frau Sadé fast völlig im Lärm um sie herum untergeht, auch hier fordert das abstruse Regie-Konzept zunächst seine Opfer.
Mit jugendlicher Unbeschwertheit gestaltet Iurie Ciobanu seinen Edwin. In Kombination mit großer Spielfreude und Spaß an seiner Rolle, wirkt er tatsächlich wie der leichtsinnige Bonvivant, als den man sich Edwin vorstellt. Es gibt kein Morgen und keine Verantwortung, nur die Liebe und den Moment und natürlich zahlreiche Mädchen – eben „wunderfeine“ was er uns mit wunderbar öligem Schmelz wissen lässt. Dass „die Rechte“ dann eben niemand anderes als Slyva Varescu ist, wird durch ihn zu einem ersten geanglichen Höhepunkt gestaltet, dessen stimmliches Strahlen keinen zweifel an Edwins Liebe offen lässt. Die rperse später im ersten Akt wird dann zu einem einfühlsamen Abscheid, der ohne Kitsch die verletzlichkeit beider Liebenden aufzeigt und auch Frau Sadé kann nun in feinen Nuancen ihre stimmlichen Facetten voll und ganz zum tragen bringen. Bei „Heller Jubel“ übernehmen Frau Sadé und Herr Ciobanu im 2. Akt dann vollends das Ruder und Edwin und endlich stellt sich richtige Operettenstimmung ein. Gemeinsam mit dem Orchester schwelgen beide in seligen Erinnerungen und wir schweben mit ihnen im plüschigen Klang von Kálmáns Musik.
Die „Sidekicks“ Comtess Stassi und Graf Bonifaziu erfüllen nun ebenfalls ihre Aufgabe und brillieren beide durch wudnerbar losgelöste Nummern und angenehm entspannten Witz. Anna Overbeck ist hier als bewusst sehr deutsche Stassi angelegt und lässt mit großer Freude westerwäldische Bodenständigkeit in die Rolle miteinfliessen, nicht ohne der Figur damit ein großes Maß an Sympathie zu verleihen. Auch sie zeigt große Spielfreude und legt zusammen mit Ricardo Frenzel Baudisch ein wunderbar schmissiges Duett „Madel, guck“ vor. Mit großem Schwung nimmt der Abend nun endlich an Fahrt auf und geht dann in den eigentlichen Höhepunkt des Abends über: Bei „Tanzen möchte ich“ verstreuen sich Varescu und Edwin ins Publikum hinein, fordern beim letzten Refrain zum Mitsingen auf und mit einem mal finden wir uns in einem Operettenkonzert feinster Qualität wieder. Die Stimmung schlägt nun vollends um und die gesamte Sommer-Arena singt von tausend kleinen Engeln. Großer Jubel zum Ende des Duetts, von nun an herrscht beste Laune für den Rest des Abends.
Zu erwähnen sind noch zwei Aspekte die zwar zusätzlich in den Abend eingebaut wurden, aber als wirklich schöne Ideen den Abend bereicherten. Zunächst in einer Proszeniums-Loge, ab dem zweiten Akt dann auf der Bühne selbst ist ein kleines Bühnenorchester platziert, bestehend aus Violine, Kontrabass und Akkordeon. Sie dienen einerseits als an Klezmer erinnernde Begleitung des Conferenciers im 1. Akt, spielen dann selbst aber auch auf und vor der Bühne. Insbesondere „Nimm, Zigeuner, Deine Geige“ wird so zum äußerst authentischen Kabinettstück dessen instrumentalische Beschaulichkeit erst eine unbändige Kraft entwickelt. „Weißt Du, wie lange noch der Globus sich dreht, ob morgen es nicht schon zu spät“ – musikalisch grandios von Sandor Javorkai und Milos Avramovic gestaltet, werden hier grundsätzliche philosophische Fragen des Lebens abgehandelt.
Und dann ist da noch Florian Stohr, der in gleich drei Sprechrollen auftritt: Einmal als Cabaret-Darsteller im 1. Akt, wo er zur Darstellung fragwürdigen Klamauks angehalten ist. Dann im 2. Akt als Oberleutnant Eugen von Rohnsdorff, dessen Aufgabe es ist, Edwin von Budapest nach Wien zu holen. Im 3. Akt schließlich agiert Stohr als zusätzlich hinzugefügter Nachtportier eines Nobelhotels in Wien (dessen Rezeption an eine Mischung aus Sacher und Imperial erinnert) und der völlig überfordert durch das vor seinen Augen stattfindende hin und her zwischen den Beteiligten nun endlich jenen feinen Humor in den Abend bringt, der insbesondere den 3. Akt einer guten Operette ausmacht. Das erinnert schon verdächtig an die Darstellungen des Frosch in den besten Tagen der Fledermaus (also jenen Vorführungen die heute nicht mehr in Wien gegeben werden) und kann nur als großartige, komödiantische Darstellung gepriesen werden, der das Publikum dann auch umfassend Applaus zollt.
Am Ende finden dann alle Liebenden zusammen und der Abend wird mit einem großen Potpourri geschlossen, welches in „Tausend kleine Englein singen“ mündet und den Saal nochmals ordentlich zum Beben bringt. Am Ende retten die exzellenten Fähigkeiten Maestro Petrovs, das Ensemble und natürlich das Orchester eine halbgare, letztlich überflüssige Regietheater-Produktion, die vollkommen überflüssig war. Umso mehr gebührt allen Musikern großes Lob dafür, unter solch widrigen Umständen doch noch einen beschwinglichen Abend geschaffen zu haben. Operette kann also doch so schön sein – bravissimi!