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BADEN/ Bühne: CARMEN. „Verschmähter Liebe Pein”: eine neue „CARMEN”. Premiere

26.02.2023 | Oper in Österreich

25.02.2023: „Verschmähter Liebe Pein”: eine neue „CARMEN” in Baden

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Thomas Weinhappel,  Natalia Ushakova. Foto: Christian Husar/Bühne Baden

Shakespeare schriftlich auf Deutsch zitieren? Darf man das als seriöser Zeitgenosse noch, wo wir doch allenthalben süchtig nach dem ,Original‘ sind? Warum nicht, schließlich spielt man nicht nur ihn, den sonst allein Erlesenste verstünden, sondern auch Opern von Mozart bis Bizet (eigentlich müsste das heißen: von Da Ponte bis Meilhac/Halévy) an manchem Theater noch auf Deutsch – und wo die Musik unerschütterlich kommuniziert und Stimmung malt, schindet das Korsett ihres Taktes und der übersetzerischen Fantasie die Textbücher oft bis zur Misshandlung, was nicht nur dem Geschmack übeltut: Wenn beim Soldatenchor gleich zu Beginn aus den „drôles de gens” ein „närrisches Volk” wird, wundert es, dass die Sänger bei solch überzähliger Silbenspuckerei gleich einmal hinter dem Orchester her sind? Deutscher Text mag im Sinn der Verständlichkeit sein, nicht selten hat er jedoch den paradoxen Effekt, dass einem erst bewusst wird, wie undeutlich die Sänger, auch jene deutscher Zunge, zum Großteil artikulieren (früher mag das anders gewesen sein), was Sinnsuche mit gespitzten Ohren erfordert, die angesichts des zwischen umständlich und inflationär pathetisch rudernden Papierdeutsch, das an ein jüngeres Musical erinnert, aber wenig ergiebig ist (so muss Escamillo ernstlich das Wort „hilfreich” singen).

Sei’s drum, dem Regie führenden künstlerischen Leiter der Bühne Baden Michael Lakner (der auch die Übersetzung bearbeitete) gelang eine überwiegend stimmige Neuproduktion dieser wahrscheinlich meistgespielten und musikalisch wie szenisch deutungsrobusten Oper. Irgendwie stimmt sie, was man mit ihr auch macht, immer, was das hier Geleistete aber nicht schmälern soll: Lakner, der mit Gerhard Nemec auch die Bühne entwarf, bediente sich einer frontal gestellten Treppe (wie sie die Stilisierung der Zwischenkriegszeit wesentlich begleitete) als szenischem Grundbaustein, auf dem in jedem Akt mit geringem Aufwand das für die Fabel Nötige ruht: die schlicht beschrifteten Fassaden von Tabakfabrik und Wachstation, ein kleiner Ausschnitt der Schenke von innen (von Holzbalken gerahmtes Fenster und Tür), die Ansicht einer Schlucht unterm Mond und der schlichte Eingang zur Arena. Mängel machen sich bei den Massenszenen (Christa Ertl) bemerkbar, an die man heute (eigentlich wohl schon seit Albert Carrés spektakulärer Neuinszenierung an der Pariser Opéra-Comique 1898, die den Weltruhm des Stückes anschob) doch den Anspruch stellt, sie sollten ein glaubhaftes Bild sozialen Lebens zumindest skizzieren: Hierin geraten Akt eins und vier zu glatt, weil der Eindruck homogener Gruppen entsteht, was weder beim Flanieren in der Stadt noch beim Volksvergnügen des Stierkampfes sein dürfte: Warum nur tragen praktisch alle Zivilisten hier Hemden, wo das doch längst nicht mehr dem Alltagskonsens entspricht, die Welt zugleich (Hoverboard und Smartphone zeigen es an) von heute sein soll? Kein Korn Staub, kein Schweißtropfen, keine Mittagsglut wird hier ruchbar, obwohl man das Volk spätestens im Schlussakt, wo es schwarz-weiße Anzüge und Kleider trägt, bemitleiden müsste. Zu wenig markant, um realistisch, aber auch nicht schlicht genug, um als Reduktion eindringlich zu sein. Der Stimmungsschummer der nächtlichen Mittelakte bekam da besser, vor allem der zweite, wo herbst- und hennafarbene Kostüme (Mareile von Stritzky) und Licht (teils durch Aussparung) mit den Tanzschritten (Choreographie: Anna Vita) eine innig-spielerische Symbiose eingingen: Spuren von Film noir. Sparen könnte man sich die an zwei Stellen auf den Zwischenvorhang projizierten Handlungskommentare: bei der Kartenszene und bei Josés Arie, zu der ein Regen von roten Blütenblättern entweder unsäglicher Kitsch oder ironischer Kommentar ist (zu vermuten leider Ersteres).

Die vier Protagonisten entsprachen sämtlich jenen Stimmtypen, die man von ihnen als Opernmensch nach Treu und Glauben erwartet: Natalia Ushakova ist eine mit leichter Schärfe girrende Carmen, deren Tiefe allerdings nicht ganz ausreicht (wofür sie aber mit aufschießenden Spitzentönen entschädigt) – billigerweise lässt die Regie sie jedoch schon förmlich in der Tür der Fabrik ihr Oberteil lüften, womit Erotik nicht knistert, sondern mit ihr geschwengelt wird; Vincent Schirrmacher ein nicht sehr schönstimmiger, aber technisch und kraftmäßig beeindruckender José (leider recht steif agierend); Thomas Weinhappel ein höhensicherer, rassiger, ja urgewaltiger Escamillo, fast zu viel davon, denn der tiefe Stimmsitz und die folglich massive Deklamation machen ihn geradezu furchterregend, was vielleicht eher Absicht des Regisseurs (und Dirigenten?) als seine Eigenart ist – und manchmal blitzt bei ihm ein Lächeln, eine Freundlichkeit auf, die das grobe Rollenprofil konterkariert; schließlich Ivana Zdravkova als zarte Micaëla, der es, man missverstehe dies nicht als boshaft, ganz gemäß dem Drama nicht gelingen kann, mit ihrer subtilen Innerlichkeit im hochprozentigen, zunehmend vergifteten Brand der drei anderen mitzumischen, obwohl sie für einen Sopran erstaunlich textdeutlich singt.

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Schlussapplaus. Foto: Gregor Schima

Gezim Berisha gibt dem Zuniga zwar eine wahrlich wohltönende Stimme, deren samtige Helle ihn allerdings zu sehr wie eine fadere Version seines Untergebenen José klingt lässt: nicht bassig, nicht buffonesk, auch nicht drastisch genug – könnte ihm Weinhappel nur eine Scheibe von sich abgeben. Über die restlichen Solisten lässt sich nur Gutes sagen: Thomas Zisterers (Moralès und Dancaïro!) fast schon tenoraler Spielbariton, Beppo Binders (Remendado) damit harmonierender, weil nicht zu lichter, sondern charaktervoll herber Tenor sowie Loes Cools (Frasquita) und Domenica Radlmaier (Mercédès), die sich nicht lumpen ließen und gleich ihrer Freundin Carmen manchen glühenden Spitzenton ins Rund schickten.

Dirigent Michael Zehetner gab ordentlich Stoff und feuerte seine Kapelle zu zischendem Bizet an; dass sich dabei immer mehr Streicher wünschen ließen, braucht man kaum zu erwähnen. Er sparte nicht mit Risikofreude, nahm etwa das Schmugglerquintett halsbrecherisch, was die Solisten, ging es auch auf Kosten der Beredtheit, erstaunlich gut meisterten. Was manche Publikumssitte angeht, walte die Regel, dass man zuerst mit jenen am Tisch gesessen sein sollte, die man zu tadeln wünscht. Die Prominentendichte war an diesem Abend hoch: die epochal kultivierte Sopranistin Gundula Janowitz (einziger echter Star des Abends), die Faktoten Harald Serafin und Birgit Sarata, der Expertensohn Adrian Hollaender und etliche weitere, nicht zuletzt Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die in ihrer Rede beim Premierenempfang betonte, wie sehr „Kunst und Kultur“ bewegen könnten. Hoffentlich schafft es die Kunst allein – denn auch ein Blumentopf ist Kultur…oder ein Schießstand…oder eine Privatstiftung.

Gregor Schima

 

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