Puccinis „Tosca“ im Festspielhaus Baden-Baden
PACKENDE MOMENTE IN GROSSAUFNAHME
Giacomo Puccinis „Tosca“ mit den Berliner Philharmonikern am 10. April 2017 im Festspielhaus/BADEN-BADEN
Kristine Opolais, Marcelo Alvarez. Copyright: Monika Rittershaus
Philipp Himmelmann bietet in seiner Inszenierung eine ungewöhnliche Sichtweise auf Puccinis „Tosca“, die auch stark ins Tiefenpsychologische geht. Der erste Akt spielt noch recht konventionell in der weiträumigen Kirche, wo der entflohene politische Häftling Angelotti Unterschlupf findet. Der Künstler Cavaradossi trifft sich mit seiner Geliebten, der Sängerin Tosca. Schon hier fallen ungewöhnliche Video-Großaufnahmen auf, die von Martin Eidenberger gestaltet werden. Man sieht Tosca in Großaufnahme, die auch eifersüchtig wegen eines Porträts der Heiligen Magdalena ist, die sie für das Bild einer Rivalin hält. Beim angesetzten Tedeum in der Kirche erscheint zum ersten Mal der Polizeichef Scarpia, der nicht allzu dämonisch wirkt. Immer mehr Mitglieder des Philharmonia Chors Wien treten hier auf die Bühne (Leitung und Einstudierung: Walter Zeh), was ein recht plausibler Einfall des Regisseurs ist. Hinzu kommt noch der Jugendchor Cantus Juvenum Karlsruhe. Im zweiten Akt sehen wir dann ein modernes Bürozimmer mit wandelbaren Stahlgerüsten, wo Scarpia Cavaradossi mit Foltermethoden verhört. Weil er sich von ihr verraten glaubt, stößt Cavaradossi Tosca von sich.
Die Übergriffe Scarpias gegenüber Tosca zeichnet der Regisseur Philipp Himmelmann ziemlich drastisch, schließlich sticht sie ihm das Messer in Bauch und Rücken. Der Raum verdunkelt sich. Im dritten Akt verändert sich das Bühnenbild des zweiten Aktes zunächst nicht, dann jedoch fällt ein silberner Vorhang mit Vierecken herunter. Man begreift, dass man sich in einem riesigen Gefängnis befindet. Cavaradossi singt sein Abschiedslied „Und es blitzten die Sterne“ vor trostloser Kulisse. Tosca besucht den Geliebten, berichtet ihm vom Tod Scarpias und der Ankündigung einer Scheinhinrichtung. Der Hintergrund lichtet sich. Cavaradossi wird abgeführt, man sieht im Hintergrund wiederum beklemmende Video-Großaufnahmen, wo Cavaradossi eine Schusspistole an den Kopf gehalten wird, danach sinkt er tödlich verwundet zu Boden. Tosca bemerkt zu spät, dass Cavaradossi wirklich tot ist. Sie macht aber kaum noch Anstalten, vor den Polizeischergen zu flüchten. Statt dessen hält sie sich die Pistole an den Kopf und erschießt sich. Sie stürzt sich also nicht von der Engelsburg in den Tod.
Für dieses problematische Ende findet Himmelmann dann doch zu wenig plausible Erklärungen. Überhaupt bleibt manches nur in Ansätzen stecken, das gilt auch für die Personenführung. Das Bühnenbild von Raimund Bauer und die Kostüme von Kathi Maurer zeigen einen betont „modernen“ Zuschnitt. Antoannetta Kostadinova als Roberti und Zohair Serestou als Kameramann agieren in stummen Rollen.
Marcelo Alvarez. Copyright: Monika Rittershaus
Was sich allerdings im Orchestergraben tut, ist oftmals beglückend und versöhnt mit den zuweilen etwas schwachen szenischen Lösungen. Sir Simon Rattle gelingt es, die Leitmotive der Partitur mit den Berliner Philharmonikern minuziös zu durchleuchten. Das Huldigungsmotiv an Tosca („Qual‘ occhio al mondo puo star di paro“) gelingt dem an diesem Abend am meisten gefeierten Tenor Marcelo Alvarez als Mario Cavaradossi vortrefflich. Hinsichtlich Farbe und Dynamik könnte die Tosca von Kristine Opolais noch gewinnen, dies gilt auch für die berühmte Arie „Vissi d’arte“ in es-Moll. Kantable Melodik ist bei dieser schlanken Stimme noch ausbaufähig. In ihrem knallroten Kostüm gefällt sie allerdings oftmals aufgrund ihrer darstellerischen Präsenz. Seltsam blass bleibt der Scarpia von Evgeny Nikitin, einzig beim Scarpia-Motiv mit seinem unheimlichen Ganztontetrachord gewinnt dessen Baritonstimme eine gewisse dämonische Größe.
Kristine Opolais, Evgeny Nikitin. Copyright: Monika Rittershaus
Sir Simon Rattle gelingt es mit den Berliner Philharmonikern vortrefflich, thematische Beziehungen zu verdeutlichen und Veränderungen widerzuspiegeln. Harmonik, Rhythmik und Klangfarbe sprudeln oftmals ungestüm hervor. Dem hymnischen Melos der Liebesgesänge können Kristine Opolais und Marcelo Alvarez hier gleichwohl viel abgewinnen. Hier sind sie als Tosca und Cavaradossi am überzeugendsten. Wucht und Feuer besitzt auch die „Tedeum“-Szene, wo Sir Simon Rattle die Berliner Philharmoniker mit innerer Glut anheizt. Das Glocken-Ostinato „Tosca divina“ geht unter die Haut. Ebenso imponierend gestaltet das Ensemble das gewaltige „Largo religioso“: „Tre sbirri…Una carozza“. Peter Rose als Mesner und Alexander Tsymbalyuk als Cesare Angelotti gewinnen sofort Profil, was man ebenso von Peter Tantsits als Polizist Spoletta und Douglas Williams als Polizist Sciarrone sagen kann. In weiteren Rollen passen sich Walter Fink als stoischer Wärter und Giuseppe Mantello als Knabe (Aurelius Sängerknaben Calw) dem Geschehen gut an. Unter der inspirierenden Leitung von Anette Schneider agiert außerdem der Jugendchor Cantus Juvenum Karlsruhe mit plastischer Transparenz. Beim Orchestersatz mit den Morgenglocken Roms im dritten Akt brillieren wiederum die opulenten Streicher der Berliner Philharmoniker. Und bei der Freiheitshymne Cavaradossis „L’alba vindice appar“ steigert sich der Tenor Marcelo Alvarez nochmals zur Höchstform. Weitere erregende musikalische Höhepunkte sind das Unisono von Tosca und Cavaradossi „Trionfal di nova speme“ am Schluss sowie das ungeheure Exekutions-Ostinato, wobei Sir Simon Rattle die Emotionen im Orchestergraben genau kontrolliert. Hier läuft nichts aus dem Ruder, alles ist extrem diszipliniert und formgenau. Gut gelingt Kristine Opolais außerdem der Zusammenbruch Toscas nach der psychischen Folter durch Scarpia, der ihr die Peinigung Cavaradossis per Computer in sadistischer Weise vorführt. Die kraftlos abwärts sinkenden Triolen berühren die Zuhörer. Der d-Moll-Akkord verleiht Scarpia dann bei den weiteren Auseinandersetzungen mit Tosca eine schauerliche Größe. Evgeny Nikitin hat hier seine besten gesanglichen Momente. Das Einbringen chromatischer Elemente gelingt Sir Simon Rattle zusammen mit den Berliner Philharmonikern bei dieser Wiedergabe ebenfalls sehr transparent. Das Betrugsmotiv als Hinweis der Täuschung des Liebespaares durch Scarpia gewinnt bei dieser Interpretation zudem eine grelle Präsenz. Die Entwicklung zur Emotionalisierung und theatralischen Dramatisierung arbeitet Sir Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern plastisch heraus. Der Fluss der Musik wird dadurch nicht unterbrochen. Feine Linien- und Klangbildungen kommen ebenfalls nicht zu kurz. Für durchschlagende Chorpartien sorgt vor allem der exzellente Philharmonia Chor Wien. Glühendes Streichermelos, packender Bläsereinsatz und ein dramatisierter Tremolo-Gebrauch schaffen eine elektrisierende Atmosphäre. Rattle bricht auch den statischen Charakter beim Vorspiel zum dritten Akt energisch auf.
Ovationen gab es an diesem Abend insbesondere für Marcelo Alvarez und Sir Simon Rattle.
Alexander Walther