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BADEN BADEN: WIENER PHILHARMONIKER – YANNICK NÈZET-SÈGUIN

13.06.2016 | Konzert/Liederabende

Baden-Baden: „WIENER PHILHARMONIKER –  YANNICK NÈZET-SÈGUIN

 

                          Konzert am 12.06.2016

Ein Schmankerl jagte das andere: am Folgeabend gastierten die Wiener Philharmoniker mit Yannick Nézet-Séguin am Pult. Die Gäste aus Wien musizierten in Emphase, frappierender Klangschönheit, dass einem schier der Atem stockte – was für ein wundervolles Orchester!

Avantgardistische  Klänge eröffneten den musikalisch aufregend gestalteten Konzertabend mit „Passacaglia d-moll“ von Anton Webern. Der Komponist war der erste Schüler Schönbergs und wird heute als dessen tonaler Nachfolger  bezeichnet. Das relativ kurze Werk von seltener kühner Konsequenz knüpft unüberhörbar an Traditionen des Lehrers an.

Das  Konzertstück beinhaltet elegische Klangmalerei so herrlich duftig im Sound der Wiener Streicher musiziert, im Aufblühen des gewaltigen Instrumentariums klingen jene musikalischen Abstraktionen in manchen Ohren nahe der Schmerzgrenze. Doch wer sich in Weberns neue Sprache einzuhören vermag, der wird in ihm auch den großen Lyriker unserer Tage begegnen und gerade besonders diese Momente bot Yannick Nézet-Séguin am Pult der Wiener Philharmoniker in tiefgründigen Details an.

Ohne Pause folgte sodann die „Neunte“ von Anton Bruckner, das geniale Kunstwerk welches der Komponist zwischen 1887-1896 vollendete und durch seine herbe Kühnheit, des frühexpressionistischen Ausdrucks, seine Steigerungen der einschüchternden Dimensionen eine Sonderstellung im Schaffen Bruckners einnimmt.

Formal erscheinen die „gotischen“ Klangstrukturen, die bizarren weitgespannten Intervalle der Melodik in ihrer imposanten Konsequenz. Nézet-Séguin verband die ungemein differenzierte Harmonik, deren polyphone Intensität meist in scharf kalkulierte unaufgelöste Dissonanzen münden um letztlich in himmelstürmendem Klimax nach „oben“ zu streben. Der Deutung stehen Tür und Tor offen, schon allein durch Bruckners Bezeichnung: „Dem lieben Gott“!

Feierlich, misterioso wird die dreigliedrige Einleitung bezeichnet, gleichsam dem latenten Programm des gesamten Werkes. Aus dem düsteren, geheimnisvollen Streichertremolo ersteht durch langsame Ballung ein erstes, mit gewaltiger Kraft aufwärtsstrebendes Hörnerthema getragen bis ins Unisono des gesamten Klangkörpers.  Im dreifachen Forte entwickeln sich die Oktavsprünge des Hauptthemas – ist es eine Anrufung Gottes, wie viele Deuter meinten?

Nun sind Interpretationen sowie deren Gehalt persönlichen Geschmacksfragen der Hörer untergeordnet. Vor einem Jahr durfte ich hier am Hause Bruckner an zwei Abenden hintereinander so auch die Neunte erleben. Damals wähnte ich bar des akustischen Erlebens, mein Sitz hebe ab! Heute jedoch hielt sich dieser Schwebezustand in Grenzen. Gewiss musizierten die „Wiener“  in höchster Vollendung, demonstrierten himmlische Streicherklänge zu lupenreinen  Blechsegmenten kurzum eine orchestrale Ideal-Kombination zum niederknien. In meinen Ohren wählte Yannick Nézet-Séguin straffere Tempi, überspitzte Fortissimo-Eruptionen grell in dynamischer Effekt-Manier und ließ somit so manche subtile Binnenartikulation vermissen.

Pizzicato-Töne leiten das Scherzo ein, vermitteln nach wenigen Takten eine unheimliche Klangsphäre welche in raschen Fortewellen die ganze Klangfülle Bruckners Tonkunst offenbaren. Impressionistisch erscheint der Dialog der Streicher mit den akkuraten Holzbläserführungen im sich steigernden Tuttiklang.

Schwerlich lassen sich die Eindrücke zum letzten Satz dem Adagio in Worte fassen, sie sind angesichts dieses aus tiefstem Innern kommenden Gefühlsausbruchs auch schier unnötig. Ein musikalischer Rückblick auf ein erfülltes Künstlerleben, letzte und tiefste Weisheit, innigstes Erleben, Sehnsucht. Töne die nicht mehr aus dieser Welt zu kommen scheinen, zelebrieren die Violinen im reizvollen Crescendo der Holz- und Blechbläser. Den leisen zarten Stimmungen setzte der versierte Dirigent gewaltige Instrumentalausbrüche entgegen im gemeinsamen akribisch präzisen Ausmusizieren von höchster Intensität. Gleichsam als Abschied von den Menschen, in entrückter Schönheit endlos verhallend verhaucht das Werk.

Ohne Innehalten entlud sich die relativ kurze lautstarke Begeisterung des Publikums.

Gerhard Hoffmann

 

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