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BADEN-BADEN: TRISTAN UND ISOLDE – Impressionen auf dem Kriegsschiff. Premiere

20.03.2016 | Oper

Richard Wagners „Tristan und Isolde“ bei den Osterfestspielen im Festspielhaus Baden-Baden

IMPRESSIONEN AUF DEM KRIEGSSCHIFF

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Stuart Skelton, Eva Maria Westbroek. Copyright: Monika Rittershaus

Premiere von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ bei den Osterfestspielen im Festspielhaus am 19. März 2016/BADEN-BADEN

Der ganze Tristan war die prachtvollste Belcanto-Oper, nach dem die Herrn Hanslick und Spießgesellen stets so vergebens seufzen„, bemerkte Richard Strauss im Jahre 1888 nach einem Probenbesuch. In Baden-Baden befindet man sich in Mariusz Trelinskis Inszenierung auf einem Kriegsschiff. Tristan tritt als Waise und Kind auf, der schließlich zum Kommandanten eines Kriegsschiffes mit vielen Matrosen und Seeleuten wird. Das Maskenspiel nimmt seinen Lauf. Vergeblich sind seine Bemühungen, sich den Zwängen des Militärlebens anzupassen. Viel eindrucksvoller wie dieses Konzept sind aber die Bilder, die Mariusz Trelinski erfindet und die stark ins Unterbewusstsein führen. Da ist zunächst der langsam entstehende Ring im Vorspiel, der sich mit Wasser, einem sinkenden Schiff, Wolken, Landschaften und Menschen füllt. Aus dieser geheimnisvollen Luke scheint es zunächst kein Entrinnen zu geben. Jemand greift nach einer Pistole. Immer spürt man auch die große Sehnsucht nach Göttlichkeit. Tristan wird von tiefster Hoffnungslosigkeit beherrscht. Isolde bedeutet für ihn die Unmöglichkeit des Lebens, sie öffnet ihm aber eine Pforte zu einer anderen Dimension. Man sieht zwischen Nebelfetzen gewaltige Video-Explosionen auf der Bühne (Video: Bartec Macias), Fische, Vögel. Alles wirbelt und zischt durcheinander, ist in ständiger Bewegung, flimmert unentwegt. Das sind starke und überzeugende Ideen und Bilder, auch wenn sich hier und da visuelle Schwächen zeigen. Doch Mariusz Trelinski ist Herr der Szene. Tristan und Isolde begegnen sich auf dem Kriegsschiff wie in Trance, der Zaubertrank führt sie dann plötzlich ganz zusammen. Aber sie halten immer eine gewisse Distanz zueinander.

Die Begegnung mit Isolde ermöglicht Tristans Flucht in die Welt der Selbstbestimmung. Auf der anderen Seite werden hier die mythologischen und metaphysischen Aspekte von Wagners „Tristan“ als Protest gegen die falsche Mythologie Europas geweckt. Der Widerstand des Künstlers gegen die Armee mit ihrem gnadenlosen Kapitän König Marke wird immer stärker. Tristans innere Zerrissenheit manifestiert sich zwischen dem Pflichtbewusstsein gegenüber der Obrigkeit und der künstlerischen Seele des Melancholikers. Europa wird von ihm bei dieser Inszenierung als grausames Reich der Unterdrückung erlebt. Liebe bedeutet hier nur Eigenliebe des Mannes. Sie ist zwar Antriebskraft für Staatshandlungen und Eroberungen, führt aber nur zum Liebestod. Im zweiten Aufzug ist die Begegnung zwischen Trstan und Isolde sehr heimlich, und im ersten Akt werden die einzelnen Zimmer und Stationen abwechselnd beleuchtet. Statt der Erfüllung wählen die Liebenden lieber den gemeinsamen Tod. Tristan ersticht sich, als er sich in Melots Schwert stürzt, der ihn zum Zweikampf herausfordert. Zuvor hat ihm König Marke bittere Vorwürfe gemacht. Der dritte Akt verwandelt sich nach Tristans Tat in ein richtiges Gefängnis. Er liegt auf dem Bett und wird mühsam durch eine Infusion und die verzweifelten Bemühungen Kurwenals am Leben gehalten. Sein Delirium steigert sich immer mehr – als Isoldes Schiff endlich auftaucht, reisst er sich die Verbände vom Leib und stirbt schließlich in ihren Armen. Isolde stirbt im Rausch der ekstatischen Liebe, was auf der sich ständig ändernden Bühne in immer neuen Verwandlungen und Farben deutlich wird. Mit Taschenlampen werden die Toten zuletzt von der Menge im Dunklen entdeckt. Da hat sich auch der Bühnenhintergrund gewaltig vergrößert.

Höchst elegant musizieren die Berliner Philharmoniker unter der souveränen Leitung von Sir Simon Rattle an diesem Abend. Dies gilt insbesondere für die Intonationsreinheit der Bläser. Aber auch die Brüche und Eruptionen dieser wilden Musik werden hier offengelegt. Besonders gut gelingt dem Orchester dabei das Thema der Liebessehnsucht. Verzehrende Leidenschaft und ewig neu sich gebärendes Verlangen ergänzen sich bei dieser Interpretation deutlich. Unerfüllte Sehnsucht entwickelt sich vom scheuen Bekenntnis über Hoffen, Bangen, Wonnen und Qualen zu immer höheren Steigerungen. Das Zurücksinken in das zaghaft werbende Motiv gelingt Sir Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern besonders eindrucksvoll. Die aufstrebenden und absinkenden chromatischen Halbtonschritte mit ihrer unlösbaren Verschmelzung und erregenden Harmonik werden präzis getroffen. Der sieglose Kampf gegen die innere Glut wird auf die Spitze getrieben. Im weiträumigen Bühnenbild von Boris Kudlicka und den Kostümen von Marek Adamski (Choreographie: Tomasz Wygoda) können sich auch die Sängerinnen und Sänger überzeugend profilieren und fantasievoll agieren. Die Herren des Philharmonia Chors Wien (Leitung und Einstudierung: Walter Zeh) entfalten als glücklose Matrosen einen geradezu unheimlichen gesanglichen Sog, dessen Intenität sich immer mehr verstärkt.

Feinste seelische Emotionen vermag Eva-Maria Westbroek als Isolde mit voluminöser Ausdruckskraft hervorzuzaubern, was sich insbesondere bei Isoldes Liebestod zeigt. Der romantische Unendlichkeitsdrang und die Ekstatik der Tonsprache kommen gerade bei ihr mit wunderbarer Schönheit zur Geltung. Ähnliches kann man vom Tristan Stuart Skeltons sagen, der sich vor allem im dritten Akt in einen atemberaubenden Verzweiflungswahn hineinsteigert, ohne dass die Stimme brüchig wird. Aus vielen Keimzellen des Liebesmotivs wächst bei dieser konzentrierten Wiedergabe eine vielfältige harmonische Blüte, die den Sängern viele Freiräume schenkt. Das macht sich auch bei der mit weitausschwingenden und strömenden Kantilenen agierenden Sarah Connolly als Brangäne bemerkbar (sie wird im Juli und August als Fricka in „Das Rheingold“ und „Die Walküre“ bei den Bayreuther Festspielen auftreten). Im Sinne von Richard Strauss entfalten die Sänger dabei durchaus Belcanto-Qualitäten. Michael Nagy als Kurwenal identifiziert sich ganz mit seiner Rolle, sein kerniger Bariton füllt den Raum aus. Fulminant kann sich Stephen Milling als betrogener König Marke behaupten. Seine abgrundtiefe Verzweiflung bleibt mit des Basses Grundgewalt im Gedächtnis. Roman Sadnik verleiht Melot eine forsche Unerschütterlichkeit, während Thomas Ebenstein als Seemann/Hirt und Simon Stricker als Steuermann mit ebenmäßigen Kantilenen aufwarten.

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Eva Maria Westbroek, Stuart Skelton. Copyright: Monika Rittershaus

Man versteht angesichts Sir Simon Rattles Wiedergabe, dass hinter dieser Musik etwas Unerforschliches und Ungeheuerliches steckt – sie hat nicht umsonst das Tor zur Atonalität aufgestoßen. Man spürt bei Mariusz Trelinskis Inszenierung auch, was eigentlich zwischen den Liebenden steht. Die eheliche Vereinigung wird schon mit den ersten Takten des Vorspiels unmöglich gemacht. Der Wille zum Tod zeigt sich auch angesichts der Leidenschaft zur Nacht. Tristan zerbricht hier ganz im Sinne Wieland Wagners in der Hölle der Einsamkeit. Gerade diese panische Angst vermittelt Stuart Skelton mit strahlkräftigem Tenor glaubwürdig. Er kann zusammen mit Eva-Maria Westbroek als Isolde die variierenden Empfindungen ausgezeichnet verdeutlichen. Den dissonanten Akkord im Vorspiel akzentuiert Sir Simon Rattle bei dieser Interpretation überdeutlich. Die innere Seelenbewegung bei der Brautwerbung kommt ebenfalls nicht zu kurz. Für die Sängerinnen und Sänger gab es bei dieser Premiere einhelligen, begeisterten Schlussapplaus, vereinzelte „Buh“-Rufe musste statt dessen das Regieteam einstecken. Tristan als Kind spielen abwechselnd Kosma Los und Mateusz Broda. 

Alexander Walther   

 

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