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BADEN BADEN/ Pfingstfestspiele: MEFISTOFELE – mit immenser Schluss-Steigerung. Premiere

14.05.2016 | Oper

BADEN BADEN: „Mefistofele“ von Arrigo Boito als Premiere im Festspielhaus

EINE IMMENSE SCHLUSS-STEIGERUNG

Premiere von Arrigo Boitos „Mefistofele“ am 13. Mai 2016 im Festspielhaus/BADEN-BADEN

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Erwin Schrott in der Titelrolle. Copyright: Festspiele/ Andrea Kremper

Man könne lieber auf Verdis „Traviata“ verzichten als auf Boitos „Mefistofele“, meinte der Dichter George Bernard Shaw. Arrigo Boito ist ja vor allem als Librettist für Giuseppe Verdi berühmt geworden, mit dem er sich nach anfänglichen Missverständnissen zuletzt recht gut verstand. Die Oper „Mefistofele“ ist ungewöhnlich, besticht durch eine ganz eigene Tonsprache mit kühner Harmonik, riesigen Chorszenen und bemerkenswerten Bläsereinwürfen mit einem betont monumentalen Gestus. Das 1868 entstandene Werk ist als Chor-Oper in jedem Fall eine große Entdeckung, was die umjubelte Premiere im Festspielhaus bei den Pfingstfestspielen bewies. Die Inszenierung von Philipp Himmelmann spielt mit metaphysischen Momenten, bewegt sich zwischen Licht und Schatten, beleuchtet einen silbernen Streifenvorhang, der die gesamte Bühne bedeckt. Die Figuren schälen sich gleichsam aus diesem zuletzt golden glitzernden Vorhang heraus – eine gute Idee. Dann schiebt sich ein riesiger Totenkopf nach vorne, was fast schockierend wirkt. Dieser Totenschädel wird zu einem bewohnbaren Haus, in dem vor allem Faust und Mefistofele agieren. Den Totenschädel beleuchten aber auch rote Gehirnströme und Gartenpflanzen. Der Denkprozess scheint immer wieder in voller Bewegung zu sein. Mefistofele beklagt sich heftig bei Gott, dazwischen bricht das Volksfest zum Ostersonntag mit Faust und seinem Studenten Wagner herein. Faust schließt mit Mefistofele einen verhängnisvollen Vertrag. Dann verfällt das junge Mädchen Margherita Faust und plaudert mit der Nachbarin Marta über die Ehe.

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Copyright: Festspiele/ Andrea Kremper

Philipp Himmelmann gelingt bei seiner Inszenierung im Bühnenbild von Johannes Leiacker und den Kostümen von Gesine Völlm jeder Stimmungswechsel. Am besten glückt die diabolische Walpurgisnacht, in der alle Elemente ausufern. Hexen und Magier huldigen Mefistofele. Auch die Szene mit Margherita im Kerker überzeugt in Himmelmanns Konzept – vor allem als Margherita den Satan in Mefistofele erkennt, der sie zur Flucht bewegen will. Ein optisch-szenischer Höhepunkt ist weiterhin die klassische Walpurgisnacht als Welt idealer Schönheiten, hier werden große Treppenstufen hervorgeschoben, Elena und Pantalis huldigen der Schönheit der Nacht, Elena erhört Faust, nachdem er sie anschwärmt. Susanne Preissler bereichert als Trapezkünstlerin das unheimliche Geschehen.

Der Epilog gerät dann zu einem Triumph für diese Inszenierung, weil er zu einer gewaltigen Steigerung führt, bei der nur noch die Verdammten pfeifen. Mefistofele möchte Faust mit neuen Versuchungen locken, dieser widersteht den Verlockungen und erkennt die Vision einer besseren Welt, während sich Mefistofele geschlagen geben muss. Die Wucht des Prologs zwischen Gott und Mefistofele ist für Himmelmann sehr wichtig, die sprunghaften Szenen nach dem Prolog besitzen in seiner Inszenierung immer einen roten Faden, der nur selten durch schwächere szenische Sequenzen durchbrochen wird. Die entscheidende  Aussage Himmelmanns ist, dass man dem Tod nicht entweichen kann. Er spricht dabei auch nicht so sehr von Symbolen, sondern von einer eigenen Wirklichkeit im Bühnenbild. Der Wechsel vom pathetischen Klanggebilde ins fast Operettenhafte wirkt so umso glaubhafter. Das romantische Element wird bei der Aufführung aber auch deutlich herausgestellt. Die Walpurgisnacht ist weniger dekorativ als zerstörerisch. Grelle Bilder betören bei Philipp Himmelmanns Inszenierung das Auge. Es geht hier nicht um echte Menschen, sondern immer um Vorstellungen und Visionen, das wird bei der Inszenierung gut deutlich. Als Regisseur fühlt er sich der Partitur verpflichtet, was man wiederholt merkt.

Der umsichtige Dirigent Stefan Soltesz arbeitet mit den superb musizierenden Münchner Philharmonikern die zahlreichen Feinheiten der Partitur plastisch heraus. Walzer-, Pizzicato-, Tremolo- und Staccato-Akzente stechen grell hervor. Die Stabilität von Rhythmus und Tonart wird nicht vernachlässigt, sondern extrem betont. Ein Pluspunkt. Zuweilen wirkt die Instrumentation sogar weniger dicht. Vor allem der von Walter Zeh hervorragend einstudierte, grandiose Philharmonia Chor Wien leistet Ausserordentliches. Diese „Falangi celesti“, die himmlischen Heerscharen, empfangen Mefistofele mit einem ergreifenden „Ave Signore“ in leuchtkräftigem E-Dur.

Erwin Schrott vermag als wandlungsfähiger Mefistofele und fulminanter Bassbariton die raschen Tempowechsel gut zu verdeutlichen. Der sehr expressive Übergang von Ges-Dur nach f-Moll erreicht so ungeahnte Intensität. In freier Chromatik bewegt er sich über den harmonischen Abgründen. Das ist eindrucksvoll. Beim „Su cammina“, mit dem er Faust in die Walpurgisnacht führt, erreicht er eine erhabene Größe. Stefan Soltesz akzentuiert die rhythmischen und harmonischen Abwechslungen sehr facettenreich, auch die leidenschaftlich-deklamatorischen Momente kommen nicht zu kurz. Bei der „Fuga infernale“ und der Helena-Szene als barocker Reigen kommt es dann zu weiteren Verfeinerungen des Orchesterapparates, den Stefan Soltesz immer weiter auffächert. Die Begegnung zwischen Faust und Mefistofele durch den fast unhörbaren Gesang eines sehr fernen Chores ergreift den Zuhörer hier ganz unmittelbar. Beim Andante lento der Kerkerszene in d-Moll kommt die Reinheit von Margherita in bewegender Weise zum Vorschein, was die stimmlich voluminöse Sopranistin Alex Penda hervorragend zum Ausdruck bringt. Charles Castronovo kann dem Faust mit sensiblen Legato-Phrasen auch bei den Spitzentönen ungewöhnliche Intensität verleihen. Vor allem der neuartige sinfonische Aufbau des Prologs kommt bei dieser Wiedergabe sehr gut zum Vorschein. Als Elena begeistert ferner Angel Joy Blue mit Leuchtkraft.

In weiteren Rollen fesseln mit großer Bühnenpräsenz Jana Kurucova als Marta, Bror Magnus Todenes als Wagner, Luciana Mancini als Pantalis und Rudolf Schasching als Nereo. Bei der Bühnenmusik gefallen außerdem Studentinnen und Studenten der Hochschule für Musik Karlsruhe. Der Cantus Juvenum Karlsruhe in der subtilen Einstudierung von Anette Schneider zeigt ebenfalls Klangfarbenreichtum und gesangliche Durchsichtigkeit.

Die Premiere des „Mefistofele“ 1868 in Mailand wurde übrigens im Gegensatz zur Aufführung in Baden-Baden zum Fiasko, weil die damalige „feine Gesellschaft“ den Komponisten Boito wegen seiner Wagner-Nähe ablehnte. So ändern sich die Zeiten, denn das Premierenpublikum im Festspielhaus Baden-Baden feierte das gesamte Ensemble mit großen Ovationen (Licht: Bernd Purkrabek; Video: Martin Eidenberger).

Alexander Walther

 

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