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BADEN-BADEN: PARSIFAL. Festspielpremiere

25.03.2018 | Oper


Ruxandra Donose (Kundry). Copyright: Andrea Kremper

Baden-Baden: „PARSIFAL“ – 24.3.2014

Die hochinteressante Neuproduktion der diesjährigen Osterfestpiele im bereits in voller Frühlingspracht erblühenden schwäbischen Kurort zeichnete sich durch etliche Spezifika aus, die ein eindrucksvolles Ganzen ergaben.

Das Festspielhaus, das vor 20 Jahren durch Umbau des ehemaligen Stadtbahnhofs entstand, bietet eine derart gute Akustik, dass kein Sänger je auch nur versuchte, durch übermäßigen Krafteinsatz Eindruck zu schinden. Durch klare und klangvolle Diktion in den Solopartien, den Dialogen und vom Chor wurde der gesamte Wagnersche Text mustergültig vermittelt. Auf dem  musikalischen Sektor gelang Sir Simon Rattle – wie man weiß, kein routinierter Operndirigent –  mit „seinen“ Berliner Philharmonikern (und offensichtlich ausreichenden Proben) eine überzeugende, feinsinnige Wiedergabe des vielschichtigen Werkes.

Am Rande des Schwarzwalds, in Sagen- und Mythen-reicher Umgebung, haben Regisseur Dieter Dorn und seine Bühnenbildnerin Magdalena Gut wohl auch auf dieses Natur-Ambiente Bezug genommen. Diverse Holzgerüste, auf der Drehbühne leicht wandelbar, bildeten die Szenerie. Und die Regie rückte die immer rätselhaft bleibende Figur der Kundry so stark in den Mittelpunkt des Geschehens, wie es mir noch nie untergekommen ist. Die gegenseitige Anziehungskraft des Guten und des Bösen, des Kollektivs der Gralsritter einerseits, den weit individueller gezeichneten Blumenmädchen andererseits, kommt auch in den Kostümen von Monika Staykova zum Ausdruck. Während die Männer bescheidene Gewänder in den Farben grau und braun und Überhänge mit einem an sakrale Darstellungen früherer Zeiten gemahnenden Faltenwurf tragen, wartet jede „Blume“ mit einem eigenen Kleidchen, kürzer oder länger und unterschiedlichen Zuschnitts in freundlichen hellen Farben auf. Dieter Dorns detailreiches Regie-„Konzept“ bezweckt nichts weiter als eine möglichst individuelle und glaubwürdige Zeichnung aller Charaktere im Einklang mit der Musik. Die widerspruchsreiche Inszenierung entspricht dem Werk, das immer wieder Fragen aufwirft und zugleich beglückt.

Das beginnt mit dem Vorspiel. Simon Rattle lässt die Musiker sehr dezidiert in den ersten 4 Takten das Abendmahlsmotiv crescendieren und zurücknehmen und uns bereits in den folgenden 14 pp bis ppp-Takten das Wagnersche Mysterium erleben, angesichts dessen jede Realität verstummt und ein wohl zielbewusst angereistes Publikum kein Flüster- oder Hustbedürfnis mehr verspürt. Das Glaubensmotiv der Bläser ertönt fest und klar, ohne falsches Pathos – die Gralsgemeinschaft wird Standfestigkeit benötigen! Bis diese nach 5 Stunden innerer und äußerer Kämpfe aller Beteiligten endlich wiedergewonnen ist, sind auch wir Besucher der letztlich werkgerechten Aufführung um einiges an Welthellsichtigkeit reicher geworden. Doch zurück bleibt Kundry – auf der leeren dunklen Bühne.

Zwischen Bühne und Orchester sowie zwischen den Akteuren und unter den Instrumentalisten erleben wir durchwegs spannende Dialoge, zu denen die Orchestervor- und Zwischenspiele, vor allem bei den Überleitungen zu den Gralsszenen im 1. und 3. Akt imposante Kontraste darstellen, wobei uns die tutti-Fortissimi nicht niederschmettern, sondern aufrütteln.

Früher als von Wagner festgehalten, lässt Dieter Dorn uns über dessen rätselhafteste Figur sinnieren. Eine Frau liegt zusammengekauert inmitten der Bühne, schon während des Vorspiels – wohl mitten im Wald…Sie kann es nicht lassen, sich in der Nähe der Gralsgemeinschaft aufzuhalten. Verschiedene männliche Interessenten nähern sich ihr, von ihr angezogen und zugleich abgestoßen – wir nehmen an, dass es die Knappen aus dem Gralsbereich sind. Ruxandra Donose, die nach ihrem Ausscheiden aus dem Wiener Staatsopernensemble (noch in der Holender-Ära) Weltkarriere gemacht hat und von den Donna Elvira bis zur Carmen, von der Norma bis zum Octavian,  von Rossinis Arsace in „Semiramide“ bis zur Marguerite in „La damnation de Faust“ so ziemlich das gesamte Mezzofach abdeckt, vermochte nahezu alle Aspekte der Kundry-Figur zu vermitteln. Zu ihrer attraktiven Erscheinung und körperlichen Agilität kam ein vokaler Farbenreichtum, der nach ihrem Rollen-„Vorleben“ in aller Welt eigentlich kaum mehr überraschte. Von sachlich-verhaltenen Mitteilungen oder Fragen („Sind die Tiere hier nicht heilig?“) bis zu wilden Aufschreien (auch noch im 3.Akt, wenn Gurnemanz sie erweckt), Verführung pur („War dir fremd noch der Schmerz) und  den Wahnsinnsausbrüchen Klingsor und Parsifal gegenüber vermochte sie zu fesseln. Stimmliche Überbeanspruchung lag nicht vor.

Von allen anderen Sängern des Abends wusste man im vorhinein, dass sie in dieser ihrer Welt zuhause sind. Stephen Gould (ohne Bart um ein paar Jährchen jünger aussehend) braucht seine Prachtstimme natürlich schon gar nicht zu forcieren. Er singt die gesamte Partie als großer Lyriker, der seinen über alle Lagen gleichmäßig klangvollen Tenor hochexpressiv einsetzt. Es gelingt ihm überdies, bereits als naiver „Knabe“ das Entwickulungspotential dieser Figur durchblicken zu lassen – mit Tönen, Blicken, Wendungen…Die Wandlung vom „Tor“ zum „Wissenden“ gegenüber Kundry im 2. Akt gelingt vehement. Er ist plötzlich zum Visionär geworden, des ihm auferlegten Schicksals bewusst. Das kommt dann wunderbar im 3.Akt zum Ausdruck, sobald er die gewichtige Rüstung abgelegt hat, wo sein heilsam-visionärer Blick die kommende Führungsposition erahnen lässt. Wenn er nach Berührung und Erlösung des Amfortas mit dem heiligen Speer das zentral positionierte Holzgerüst besteigt und auf dem Thron des Gralskönigs (wo im 1. Akt noch Titurel saß) Platz nimmt, so hält kein zufällig Erwählter das leuchtende Gefäß in Händen.

Großartig – nicht erst seit heute – auch Franz-Josef Selig als ein Gurnemanz, der nicht bloßer Erzähler ist, sondern eine wissende Autorität, aber auch ein Suchender und Dienender, Beobachtender und, wo nötig („Suche dir Gänser die Gans!“), Strafender. Seinem wie Balsam strömenden, keines Forcierens bedürftigen Edelbass ist prägnante Diktion eine Selbstverständlichkeit. Damit beherrscht er zunächst den 1. Akt. Gerald Finley leidet in Baden-Baden noch mehr als anderswo, so sehr, dass er auch seinen geschmeidigen Bariton kaum je zu höchster Lautstärke anschwellen lässt. Der wunde Gralskönig hat in dieser Interpretation wohl schon jede Hoffnung auf Linderung aufgegeben und der Regisseur lässt ihn nach Parsifals Erscheinen am Ende nach der lange erduldeten Qual denn auch gnädig sterben. Vater Titurel, in Gestalt von Robert Loyd auf seinem Thorn erschaubar, hörte man bei den ersten Wortmeldungen („Mein Sohn Amfortas“) noch ein wenig sein Alter an, aber dann ließ der Sänger seinen Bass sehr angenehm strömen.Etwas mehr böser Nachdruck hätte der Stimme von Evgeny Nikitin für den Klingsor gutgetan. Man hörte nichts Dämonisches aus seinem Gesang heraus, trotz der markanten Textvermittlung.

Die Solo-Gralsritter (Neal Cooper, Guido Jentjens)  und Knappen (Ingeborg Gilleo, Elisabeth Jansson, Neal Cooper, Iurie Ciobanu) zeigten sich als persönlich interessierte BeobachterInnen am Geschehen mit klar vernehmbaren Einwürfen. Kismara Pessatti gab der Stimme von oben Gewicht.

Viel zu tun gab es für den Philharmonia Chor Wien, dem sein Gründer und Leiter Walter Zeh (früher Mitglied des Wiener Staatsopernchores) nicht nur die erwartete vokale Perfekton abverlangte, sondern der auch die innere Anteilnahme am Gesungenen vermitteln konnte. Die detaillierten Spielaufgaben, die Dieter Dorn jedem Einzelnen aus diesem vortrefflichen Plenum übertrug, hauchten dem Drama „Parsifal“ zusätzliches Leben ein. Es schien, als ginge es jedem Mitwirkenden um sein eigenes Leben wie auch das  der Gemeinschaft.

Die Inszenierung, die durch gute Beleuchtung (Tobias Löffler) sehr gewann, ist nicht unbedingt als „schön“ zu bezeichnen, denn die ständig hin- und hergefahrenen, umgefallenen und wieder aufgestellten, großen und kleinen Holzgerüste, die für alle Schauplätze herhalten mussten, mochte man nach und nach als ermüdend empfinden, zumal ihr vor allem farbliche Varianten fehlten. Leider stellten diese sich auch am Karfreitag nicht ein. Es gab keine grünende Aue, nur ein paar weiße Papierfetzchen fielen vom Schnürboden. Da musste die Musik allein alles sagen, was allerdings in Gemeinschaft mit der Bühne noch aussagekräftiger geworden wäre. Ich nehme jedoch an, dass dem werk- und theaterkundigen, inzwischen über 80 gewordenen  Regisseur die Menschen und ihre Beziehungen zu den „Übermächten“ in diesem Musikdrama das Wichtigste waren.       

Sieglinde Pfabigan

 

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