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BADEN-BADEN/ Osterfestspiele/ Festspielhaus: OTELLO

Magie und knappe Form

16.04.2019 | Oper


Foto: Lucie Jansch

Giuseppe Verdis „Otello“ am 16. April 2019 im Festspielhaus/BADEN-BADEN

MAGIE UND KNAPPE FORM

 Der Sturm nimmt bei dieser minimalistischen Inszenierung von Robert Wilson einen sehr breiten Raum ein. Man sieht hinter geheimnisvollen Vorhängen einen riesigen sterbenden Elefanten (Video: Tomasz Jeziorski). Es ist ein Synonym für den mächtigen afrikanischen Feldherrn Otello, der zu Beginn von Verdis Oper „Otello“ auf der Insel Zypern vom Volk beobachtet wird, wie er als venezianischer Gouverneur nach seinem Sieg über die türkische Flotte gegen einen gewaltigen Sturm ankämpft. Robert Wilson taucht die Bühne hier in blau-magische Bilder, die zwischen unheimlichen Nebelbänken immer wieder schemenhaft aufleuchten. Dazwischen sieht man auch elektrisierende Blitze. All dies wird der knappen Kompositionsform Verdis durchaus gerecht. Nach dem Sturm schwören sich Desdemona und Otello ihre gegenseitige Liebe. Doch Jago ist auch hier von Anfang an ein dämonischer Störenfried, der in seinem nihilistischen „Credo“ die Nichtswürdigkeit des Menschen beschwört. Er redet dem unter krankhafter Eifersucht leidenden Otello ein, dass seine Frau Desdemona ihn mit Cassio betrogen habe. Dabei verwandelt sich immer wieder die Säulenhalle mit ihren historischen venezianischen Motiven (Co-Regie: Nicola Panzer; Co-Bühnenbild: Serge von Arx; Co-Lichtdesign: Solomon Weisbard). Auch die Kostüme von Jacques Reynaud und Davide Boni unterstreichen den unnahbaren Charakter der einzelnen Figuren, was von Manuela Halligans Haar- und Make-up Design noch intensiviert wird. Der am Horizont zu sehende Mond färbt sich blutrot und dann wieder schwarz, einzelne Teile der Säulenhalle fliegen plötzlich unvermittelt im Raum herum. Stark ist die Szene in Desdemonas Gemach im vierten und letzten Akt. Da wölbt sich in fast gespenstischer Weise ein riesiger Vorhang im Hintergrund, denn es weht bei dieser Szene ein seltsamer und tödlicher Wind. Man sieht Otello, der aus dem Hintergrund heranschleicht und der erwachenden Desdemona eröffnet, dass er sie töten werde. Sie liegt auf einer Art Schrein – zunächst ganz im Gebet versunken. Doch auch später bleiben die Emotionen eher spärlich. Der Mord an Desdemona wird nur zaghaft angedeutet. Auch der anschließende Selbstmord des verzweifelten Otello zeigt sich in schemenhaften Hinweisen. Eine starke Position bekommt jedoch Emilia, die die Machenschaften ihres intriganten Gatten Jago lückenlos aufdeckt.

Natürlich vermisst man in dieser Inszenierung von Robert Wilson zuweilen die psychologische Personenführung und die Emotionen der Protagonisten untereinander. Immerhin haben wir es hier mit einem Drama von William Shakespeare zu tun, für das Arrigo Boito ein fesselndes Libretto geschrieben hat. Doch Magie und knappe Form entschädigen den Zuschauer bei dieser ungewöhnlichen Inszenierung immer wieder. Ein weiterer positiver Aspekt sind die Berliner Philharmoniker unter der souveränen Leitung von Zubin Mehta, der das Meisterwerk betont langsam dirigiert. Dafür blühen die unvergleichlichen Schönheiten der Partitur aber voll auf, was auch den Sängerinnen und Sängern zugute kommt. Die Idealform der durchkomponierten Oper kommt hier nicht zu kurz. Der vergeistigte Charakter der harmonischen Struktur erhält so neue Akzente. Zwischen den vielen strukturellen Gliederungen besteht bei Zubin Mehta durchaus ein Band des inneren Zusammenhalts. Deklamation und Arioso verschmelzen bei den einzelnen gesanglichen Leistungen in dieser Vorstellung problemlos. Luxuriös und makellos klingt die opulente Besetzung der tiefen Bläser bei den Jago- und Otello-Sequenzen. Und auch die Streicher erstrahlen bei Desdemonas Auftritten mit überirdisch-sphärenhafter Leuchtkraft. Und die Wucht von Otellos „Liebestod“ besitzt eine unmittelbare Klarheit und Leuchtkraft.


Stuart Skelton, Sonya Yoncheva. Foto: Lucie Jansch

Trotz mancher Intonationstrübung gelingt es dem Tenor Stuart Skelton als Otello, die ungeheure Strahlkraft seiner Partie in den Spitzentönen zu beschwören. Noch überzeugender ist Sonya Yoncheva als Desdemona, die die bewegenden Klangfarben ihrer Rolle vor allem bei der Sterbeszene fesselnd herausarbeitet. Vladimir Stoyanov kann als Jago die Dämonie seiner Rolle gut beschwören, während Anna Malavasi mit ihrem robusten Mezzosopran die ungeheure Verzweiflung seiner Frau packend verdeutlicht. Auch Francesco Demuro ist ein eindrucksvoller Cassio, der den Vorwürfen aber weitgehend machtlos  gegenübersteht.

In weiteren Rollen überzeugen Gregory Bonfatti als Rodrigo, Federico Sacchi als Lodovico, Giovanni Furlanetto als Montano und Mathias Tönges als Herold.


Sonya Yoncheva, Stuart Skelton. Foto: Lucie Jansch

Zubin Mehta hebt als Dirigent die Gesangslinien der einzelnen Partien sensibel hervor, die Berliner Philharmoniker sind hier immer ein hilfreicher Begleiter. Die Klangflächen besitzen etwas Durchsichtiges und Übersinnliches. Auch der gewaltige Beginn der Sturmmusik mit den Tönen C-Cis-D beschwört bei dieser Wiedergabe eine unmissverständliche Klarheit, die den späteren tiefen Fall des Titelhelden irgendwie schon unsichtbar andeutet. Der Philharmonia Chor Wien (Einstudierung: Walter Zeh) sowie der Kinderchor des Pädagogiums Baden-Baden (Einstudierung: Uwe Serr und Anja Schlenker-Rapke) bieten eine voluminöse Leistung mit imponierender Intonationskraft. Als Desdemona den Namen „Cassio“ ausspricht, brechen die Erinnerungen des Chores deutlich ab. Otellos Seele wird wieder vollkommen bezaubert, was Stuart Skelton überzeugend betont. Die modalen Wendungen und der aus Terzen aufgebaute Akkord im Sturm und im Flammenchor werden von Zubin Mehta geradezu genüsslich ausgekostet, die Berliner Philharmoniker folgen ihm hier in allen Details. Parallele Akkorde unterstreichen die „Eifersuchts“-Passagen sehr präzise. Vor allem die harmonische Entwicklung erhält hier immer wieder einen unaufhaltsamen Fluss, der die Sänger trotz der langsamen Tempi ungemein beflügelt. Dies zeigt sich ebenso in der Bündelung der dissonanten Sturmmotive in einer a-Moll-Melodie. Sonya Yoncheva vermag ihrer schmelzenden Kadenz im Zusammenhang mit Cassio ungewöhnlichen Farbenreichtum zu verleihen. Auch die fallenden Nonen der vier gedämpften Celli vor dem Liebesduett und das Kussmotiv im Orchester besitzen minuziöse Präzision. Zubin Mehta seziert Verdis Partitur bei vielen Passagen, entschlüsselt geheimnisvolle Tonsymbole neu und entlockt dieser Musik zwischen fragenden Spaltklängen ungewöhnliche Antworten.

Das Publikum im Festspielhaus feierte vor allem den Dirigenten und die Sänger mit „Bravo“-Rufen und Beifallsstürmen.

Alexander Walther     

 

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