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BADEN-BADEN/ Osterfestspiele: „DIE FRAU OHNE SCHATTEN“ (Premiere) – instrumentales Nonplusultra, vokale Solidität, szenisch überfrachtete Psychologie

02.04.2023 | Oper international

Osterfestspiele Baden-Baden 2023

„DIE FRAU OHNE SCHATTEN“ 1.4. 2023 (Premiere) – instrumentales Nonplusultra, vokale Solidität, szenisch überfrachtete Psychologie

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Elza van den Heever, Michaela Schuster, Vivien Hartert. Foto: Martin Sigmund

Nicht immer gehen höchste Erwartungen in Erfüllung, aber das was Kirill Petrenko mit seinen Berliner Philharmonikern bei der Eröffnungspremiere der diesjährigen Osterfestspiele in Baden-Baden hören ließ, war Luxus in Vollendung, der den Ansprüchen in dieser Top-Klasse in höchstem Maße gerecht wurde. Ein riesig besetztes Werk wie Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthals 1919 in Wien uraufgeführte Märchenoper (hier in ungekürzter Version) in all ihrer üppigen Instrumentierung so transparent, ja gläsern bis in die kleinste Nebenstimme zu hören zu bekommen, dass selbst in den symphonisch aufrauschenden Phasen nie der Eindruck einer die Sänger bedrängenden Lautstärke entstand, ist ein kaum zu fassendes Ereignis. Da stellte sich unwillkürlich – um eine andere Gemeinschaftsarbeit des Autoren-Gespanns zu zitieren – in anderem Sinne die Frage: „Wie macht denn das der liebe Gott?“. Petrenko schafft mit diesem immer wieder erstaunenden und bewundernswerten Ergebnis eine ideale Grundlage für die vokale Ebene, deren Interpreten wie eingebettet oder klar erhoben über dem Orchester schweben und zu keinerlei Forcierung verleitet oder gar gezwungen werden. Mit dieser Phonzahl-Reduzierung geht aber kein vielleicht naheliegender Verlust an Intensität und Ausdruckskraft einher. Vielmehr schafft Petrenko Inseln einer bisher ungeahnten subtilen Leichtigkeit mit warmen und zarten Soli (Cello, Violine, Holzbläser), die die nie dröhnenden, sondern exaktest und schlank gebündelten Ausbrüche des ganzen Orchesters umso wirkungsvoller kontrastierend zur Geltung bringen. Die da im Gleichmaß harmonisch miteinander verschmelzenden Instrumentengruppen zeugen sowohl von einer tonlichen Ausgewogenheit als auch von einer Feinheit des gegenseitigen Aufeinanderhörens der MusikerInnen.  

Petrenko setzt im Großen und Ganzen auf zügige Tempi, speziell auch in Pathos nahen Phasen ohne es an Raum für der Zeit enthobene Formulierungen mangeln zu lassen. Und er erzielt mit dem Orchester eine Präzision, die sich nie zu einer künstlich erzeugten, das Live-Ereignis ernüchternden Perfektion versteift.

An diese Basis höchster Qualität aus dem Orchestergraben konnte leider keiner der Vokalsolisten anknüpfen. Am ehesten noch Wolfgang Koch, der dem Färber Barak mit entspannt und in den Lagen ausgewogenem Bariton eine so selten mögliche lyrische, weniger heldenhafte, aber trotzdem potente Statur mit hinreichend Ausdruck und rollengerechter Menschlichkeit gibt. Zumindest über weite Strecken kann Elza van den Heever als Kaiserin an vorbildliche Leistungen bedeutender Vorgängerinnen anknüpfen, wenn sich ihr leicht herber Sopran in Mittellage und höchster Höhe klar entfaltet. Im Übergangsbereich schleichen sich immer wieder leichte Verhärtungen und unfreie Verlautbarungen ein. Als Figur macht sie trotz diffuser Regie-Vorgaben einen durchaus mehr und mehr an Sympathie gewinnenden Eindruck.

Abgesehen von einer geschärften Tongebung in den Forte-Höhen ist an der Färberin von Miina-Liisa Värelä kaum etwas auszusetzen. Ihr klarer dramatischer Sopran erklimmt die Klippen der Partie auch in den gern zum Keifen neigenden Momenten mühelos, entbehrt aber leider eines einprägsamen, in der Farbe persönlichen Timbres. So verbleibt trotz einer letztlich fast tadellosen Leistung kein nachhaltiger, tieferer Eindruck, den indes eine schlackenlosere Regie auf darstellerisch-interpretatorischer Seite eventuell hätte intensivieren können.

Weltweit als Amme im Einsatz ist Michaela Schuster, und diese Erfahrung ist der ausdrucksstarken Künstlerin durch ihre ganze, hier ungekürzte Partie hindurch anzumerken. Der vielfache Einsatz in solchen Kalibern mit enormem Tonumfang zollt allerdings auch einen gewissen Tribut, was sich bei ihr in einem mittlerweile harschen und die Spitzen nur noch knapp und kurz erreichenden Mezzosopran auswirkt. Mit der überwiegend geforderten Tiefe und Mittellage gestaltet sie jedoch eine in der Dringlichkeit und Zuspitzung des textlichen Gehalts wie auch in ihrer artikulatorischen Genauigkeit äußerst faszinierende Zwischenwelt-Figur ohne deren wesentliches, von der Regie versagtes Element des geisterhaft Mephistophelischen.

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Clay Hilley. Foto: Martin Sigmund

Das Rollendebut von Clay Hilley als Kaiser war hörbar von Premieren-Nervosität gezeichnet, derer zum Trotz dem im letzten Sommer durch sein Einspringen als Götterdämmerungs-Siegfried in Bayreuth auf einen Schlag bekannt gewordenen Amerikaner ein vor allem im zweiten Akt achtbarer Einsatz mit lyrischer Feinzeichnung und dynamisch gesteigerten Höhen zu attestieren ist. Im ersten Akt rang sein an sich recht klangvoller, nicht unattraktiver Tenor um eine freiere Tongebung, die leider auch im dritten Akt durch gestemmte und teils gepresste Höhen beeinträchtigt war. Befreit von Druck und in vielleicht noch besserer Verfassung könnte er sicher ein gefragter Interpret dieser Rolle werden.

In weiteren Rollen sind Bogdan Baciu als Geisterbote mit sonorem und expressiv deklamierendem Bariton, Peter Hoare, Nathan Berg und Johannes Weisser als des Färbers essgierige Brüder mit ausgeglichenen Stimmen, Agnieszka Adamczak mit ordentlichem Sopran als Hüter der Schwelle und Stimme des Falken, Kseniia Nikolaieva mit pastosem Alt als Stimme von Oben (+Stimme der Ungeborenen und Kinderstimme), Gerrit Illenberger, Thomas Mole und Theodore Platt (als Stimmen der Wächter) sowie Evan LeRoy Johnson mit klarem Tenor als Jüngling (sekundiert von einem Fitness gestählten Double namens Philip Eichhorn) zu erwähnen. Die diversen Gruppeneinsätze auf und hinter der Bühne teilten sich der Chor des Nationalen Musikforums Wroclaw und der Cantus Juvenum Karlsruhe (Einstudierung: Lionel Sow, Clara-Sophie Bertram, Lorenzo de Cunzo).

Diese Festoper ist nicht nur eine musikalisch, sondern gleichsam eine szenische Herausforderung, um Dinge begreif- und/oder sichtbar zu machen, die jenseits von Worten nur in komplexen musikalischen Schilderungen möglich sind. Ein nicht alltäglicher, eben Festspiel-Aufwand ist da durchaus gerechtfertigt, wenn er zur klaren wie auch mit der Musik faszinierend konform gehenden Erläuterung beiträgt. Die Bühnenräume von Paul Zoller, die Kostüme von Katharina Schlipf, die Maske von Rebecca Barrault, das Lichtdesign von Elana Siberski und Videos von Momme Hinrichs liefern dafür nur sehr eingeschränkt nachvollziehbare, mehrheitlich schleierhafte und mehr verwirrende denn deutliche Beiträge.

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Miina-Liisa Värelä, Wolfgang Koch, Elza van den Heever. Foto: Martin Sigmund

Denn der Ausgangspunkt der Regie von Lydia Steier ist (wie heute oft wohl unverzichtbar) die Einführung einer zusätzlichen Figur in Gestalt einer sehr jungen Mutter (Teenager-Schauspielerin Vivien Hartert), die sich mit vielen Genossinnen in einem klosterähnlichen Internat zu befinden scheint und nach dem Verlust ihres Kindes (was allerdings nur aus dem Programmheft zu erfahren ist) die Vorgänge der Geschichte träumt und abwechselnd als Spiegelbild von Kaiserin und Färberin fungiert. Ihre (eliminiert betrachtet intensiven) Aktionen werden im Laufe der Aufführung immer aufdringlicher und schieben sich mit einer störenden, weil auch die musikalische Konzentration beeinträchtigenden Dominanz zwischen die Protagonisten. Eine Schlüsselstelle wie die auf Barak und seine Frau beschränkte Szene „Mir anvertraut“ zu Beginn des 3.Aktes wird dadurch erheblich beschädigt. Als Ganzes hat die Amerikanerin eine mit unsinnig viel Statisten (weitere Internatsmädchen, Arbeitern in Baraks Puppenfabrik!, Nonnen und Paparazzi) aufgebauschte Inszenierung entworfen, die die ohnehin mit vielen Symbolen gespickte Handlung, angereichert mit Video-Einspielungen und allegorischen Erscheinungen von Heiligenfiguren – mehr psychologisch verrenkt anstatt sie unmittelbar verständlich zu machen. Trotz einiger nachvollziehbarer Elemente wie die Bedeutung der mehrfach herein gefahrenen Treppe oder die Szenen mit der Erscheinung des Jünglings ist das eine en gros unnötig weit überfrachtete Bühnenrealisierung. Ihren Gipfel an Destruktion erreicht sie im gesamten Finale nach des Kaisers Entsteinerung, wo die Bühne allein der stummen Zusatzfigur der jungen Mutter gehört, die wie besessen in mehreren Sand-/Erdhäufen wühlt (nach ihrem Kind???), während die auch musikalisch im Mittelpunkt stehen sollenden, wieder vereinigten Paare an den Seitenrändern verharren, als ob sie Nebensache wären. Hat die Regisseurin die Musik überhaupt gehört und wahr genommen??

Schade um eine solcherart erheblich konterkarierte instrumentale Sternstunde mit einigen vokalen Höhepunkten. Dafür gab es erstaunlich wenig Ablehnung aus dem Publikum, aber auch eine differenzierte Würdigung der Solisten sowie vollkommen einhellige Jubel-Ovationen für Dirigent und Orchester.

 Udo Klebes

 

 

 

 

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