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Baden-Baden/Osterfestspiele: „BERLINER PHILHARMONIKER- DANIEL HARDING“   –   02.04.2023

03.04.2023 | Konzert/Liederabende

Baden-Baden: „BERLINER PHILHARMONIKER- DANIEL HARDING“   –   02.04.2023

Im Rahmen der „Oster Festspiele Baden-Baden 2023“ gaben sich erneut die Berliner Philharmoniker im Festspielhaus die Ehre und absolvieren ein elitäres Mammut-Programm. Durfte ich gestern unter Kirill Petrenko die orchestral-musikalische wohl beste meiner bisherigen X-zigsten „Frau ohne Schatten“-Aufführung erleben, verhalf heute das phänomenale Qualitätsorchester unter der Leitung von Daniel Harding mit der „Fünften“ von Gustav Mahler zu schier unbeschreiblichem Musik-Genuss.

Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufzubauen – lautete einer der Glaubenssätze des Komponisten. Mahler nahm bei seiner „Fünften“ Abstand, der Öffentlichkeit erläuternde Programme mitzuteilen. Die Sprache sei es in Form vokaler Passagen, sei es in Form erklärender Texte, war für ihn entbehrlich geworden. Es bedarf nicht des Wortes, alles ist rein musikalisch gesagt!

Ohne Vorbehalte, im Bewusstsein mit Sicherheit Außergewöhnliches zu erleben, sah ich dem gebündelten Mahler-Kosmos entgegen, welcher selbst im Kleinen stets alles enthält, was an menschlichen Grunderfahrungen zwischen Leid und Trost, Verzweiflung und Verheißung, Angstträumen und Euphorien, eruptiver Kraftentfaltung und seliger Entrückung, einfach alles beinhaltet. Ich wurde bar dieser inhaltlichen Werte des Werkes geradezu erneut überwältigt, war vom Qualitätslevel auf höchstem Niveau fasziniert, nein wähnte mich schlichtweg der Welt abhanden gekommen. Daniel Harding verlieh seiner Mahler-Interpretation eine gewisse Spontanität welche der Partitur eine fließende natürliche Dynamik verlieh, betonte auf ganz besondere Weise den so wichtigen Schleier des Mahler´schen Weltschmerzes.

Dank der hochmotivierten Führungs-Autorität des exzellenten Dirigenten sowie der kontrapunktischen Präzision des für mich weltbesten Klangkörpers (ziehe ich mir auch ewige Verdammnis der Wiener zu) durfte man eine ungewöhnlich perfekte, raffiniert instrumentierte Performance erleben. Bereits die eröffnende Trompetenfanfare zum Trauermarsch, die dimensionalen Proportionen der Blechbläserfraktionen prädestinierten die geniale Komplexität des Berliner Klangkörpers, ließ verheißungsvoll das objektive Folgende erahnen.

Virtuos leiteten die dunklen Celli, die weichen Violinen die feierlich, gemäßigte Marschrhythmik ein, zunehmend hellte sich die düstere Stimmung in wärmere Empfindungen der Holzbläser auf. Gestikulierend erhob sich das erste Trio mit grellen Trompetenmotiven, schwirrenden Streichern, leiteten zum düsteren Marsch und fand schließlich im nächsten Trio seinen disharmonisch-grotesken Höhepunkt, welcher sodann in wehmütiger Resignation verlosch.

Im stürmisch bewegten zweiten Satz scheint sich ein Mensch, in hemmungsloser Klage gegen ein unbarmherziges Schicksal aufzubäumen. Ein weit zerklüftetes Motiv geisterte beängstigend durch die beiden Themen. Zunächst schroff formte Harding die Einleitung, ließ in emotionaler Intensität den herrlichen, berauschenden Streicherklang aufleuchten, schenkte den ausdrucksstarken Frequenzen sowie den folgenden jähen Ausbrüchen eine elegische, sanfte, ruhige Motivation. Nie zuvor erlebte ich bisher die zahlreichen Nebenthemen in derart fein-filigranen, transparenten Instrumentationen ausmusiziert präsentiert.

Der ambivalente, zwischen forciertem Elan und gebrochenen Reminiszenzen (Ländler, Walzer, Hornepisoden) changierende dritte Satz beinhaltete das großdimensionierte Scherzo mit seinen Trios sowie der konturierten Burleske. Vortrefflich, markant in klangvoller Ästhetik spielten die Instrumentalgruppen auf, wurden von ihrem einfühlsamen Dirigenten sensibel geführt und erfüllten das Höchstmaß musikalischer Präzision.

Diese spürbare Flexibilität, welche bei Orchester und Führung in jedem Moment erkennbare Vertrautheit mit der Partitur voraussetzte, beherrschte auch das wundervolle Adagio, welches zwischen träumerischem Schwelgen und Aufblühen der Streicher pendelte ohne larmoyant zu wirken. Denn wie es schien sah es auch Daniel Harding wie gar selbst der Tonschöpfer, in einer innigen existenziellen Liebeserklärung an seine Frau Alma. In traumhaftem Einklang, wie der Welt abhanden gekommen, zelebrierten die weich artikulierenden Streicher und Harfe, dieses melodisch, berührende, unübertroffene musikalische Bekenntnis.

Keck stürmten die Hörner ins Rondo-Finale, von Celli verstärkt vereinten sich diverse energische Themen unter den angeregt animierten Orchestergruppen, gleich einer befreienden Überwindung von Trauer und Resignation. In kraftvollen, erfrischend klar fugierten Entwicklungen führte Harding sein hinreißend musizierendes Orchester mit kontrapunktischem Elan in die gipfelnden Steigerungen dieser grandiosen Symphonie.

Durfte ich mich sehr glücklich schätzen dieses symphonische Meisterwerk in vielfältiger Interpretation diverser internationaler Klangkörper beiwohnen, doch kann ich mich nicht erinnern, das Werk jeweils so intensiv, fein transgredient, ambivalent in pastoraler Akribie erlebt zu haben. Bravo!

Ein unglaublich stilles, aufmerksam lauschendes Publikum genoss wie der Rezensent die Gunst der Stunde und entlud sodann seine Begeisterung in euphorischen Bravostürmen.

Zum Auftakt des Konzertabends spielten die Berliner Gäste „Fünf Orchesterstücke op. 16“ von Arnold Schönberg. Es fällt mir schwer einzuordnen, zu akzeptieren weshalb man einer so fundamentalen Mahler-Symphonie, diese gewiss mit derselben Vehemenz interpretiert, eine derart teils disharmonische Komposition voran setzte? Früher erlebte Schönberg-Stücke durchaus zu positiver Zustimmung meines Gehörs, jedoch heute empfand ich die Zwölfton-Dissonanzen als qualvoll lärmend und fielen bereits in Pause der Vergessenheit anheim. Der mehr höfliche wenig begeisterte Applaus des Auditoriums, schien meine Empfindungen zu teilen?

Gerhard Hoffmann

 

 

 

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