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BADEN-BADEN: ORPHÈE ET EURYDICE

28.09.2019 | Oper


Arianna Vendittelli (Eurydice), Dmitry Korchak- (Orpheus)-©-Kiran-West.

Baden-Baden: „ORPHÈE ET EURYDICE“ – 27.09.2019

Die glorreiche Ära von Andreas Mölich-Zebhauser endete im Sommer, der rührige erfolgreiche Intendant am Festspielhaus ging  in seinen wohlverdienten Ruhestand. Möge ihn im neuen Lebensabschnitt Gesundheit, viel Freude und alles Gute stets begleiten, wir wünschen es Herrn Mölich-Zebhauser  von Herzen.

Zu neuen Taten, teurer Helde singt Brünnhilde in Wagners „Götterdämmerung“ – sollten doch diese Worte  dem neuen Intendanten als Slogan dienen.  Benedikt Stampa wünschen wir während seiner Amtszeit im Festspielhaus  unzählige aufsehenerregende künstlerische Erfolge und stets volle Kassen.

 Das Festspielhaus an der Oos eröffnete die Spielzeit 2019/20 mit einer ungewöhnlichen Premiere: „Orphée et Eurydice“  (Christoph Willibald Gluck) als Ballett-Oper  für dieses Gesamt-Kunstwerk anders kann man es nicht nennen zeichnete sich John Neumeier verantwortlich. Der großartige geniale Choreograph vom  Hamburg Ballett führte Regie, kreierte die Kostüme und übernahm die komplette künstlerische Leitung. Die Produktion hatte bereits im Februar mit sehr großem Erfolg in Hamburg Premiere. Während meiner Opern-Jahrzehnte erlebte ich das Werk bisher nur in deutschen und italienischen Fassungen und nun heute erstmals die französische Version.

Die richtige Wahl der Fassung zu treffen beschäftigte den Komponisten gar selbst, bereitete ihm zu Lebzeiten mancherlei Probleme. Im Jahre 1762 erfolgte in Wien die UA von „Orfeo e Eurydice“, wurde mehrfach den jeweiligen Bedingungen angepasst und geändert. Grundlegend überarbeitet hatte sodann die franz. Version 1774 in Paris ihre Aufführung. Wie CD-Einspielungen belegen war Orphée von diversen Stimmen wie Bariton, Altistin, Tenor  oder von einem Counter-Tenor besetzt – in Baden-Baden wählte man die Tenorstimme, eine für mich wunderbare Entscheidung.

John Neumeier verlegte die mythologische Handlung in unsere Zeit in ein Ballettstudio: Orphée und Eurydice, Ballettchef und Primaballerina geraten während der Ouvertüre in Streit, sie verlässt den Saal und kommt bei einem Autocrash ums Leben. Der erste Akt beginnt mit der Chor- und Orphée-Klage, hier verschmelzen bereits in ausdrucksstarken Gesten der Trauer Gesang und Tanz in bezwingender Prädikation. Zunächst tanzte die Company in konventionellen Schrittkombinationen, in der Unterwelt wirkte sodann der moderne Street-Dance schon gespenstiger. Weichere Bewegungen der Tänzer erwahrte man sodann um Eurydice im Totenreich zum „Tanz der seligen Geister“, einer der eindrucksvollsten Szenen überirdisch verklärt, man wähnte sich wahrhaftig in einer anderen Welt. Die Bühne in zart helles blau getaucht, eine Gruppe des Ensembles bewegte sich unmerklich verspielt und ob der Leichtigkeit schwerelos erschien es technisch umso schwieriger. Großartig und dennoch dezent setzte Neumeier das Titelpaar Edvin  Revazov (Orphée) Anna Laudere (Eurydice) in Szene, wunderbar flossen die „Duette“ in herrlichen Hebe-Figuren und Bewegungsstrukturen in den Ablauf. Von Noblesse, Ästhetik und Schönheit waren die Ensembles der gesamten großartigen Tanzcompany geprägt im vielfältigen choreographischen Gesamtbild. Wenige Interieurs offene variierte Elemente, eine Bank, ein Baum dienten zur Bühnendekoration,  im teils diffusen atmosphärischen Licht-Design schloss sich wiederum der Kreis beim Finalbild im Probensaal,  alles nur ein Traum, reine Improvisation? Gleich aus welcher Sichtweise, die optischen Eindrücke waren einfach genial, ein klassisches Element in den Kosmos moderner Tanzsprache transponiert.

Am Pult des Freiburger Barockorchesters waltete Allessandro De Marchi und vermittelte einen teils trockenen aber dennoch authentischen Orchesterklang. Unter dem italienischen Dirigenten erklangen zwar praktikable detaillierte Kniffe der Instrumentation und steigerten die Partitur zum abwechslungsreichen dramatischen Fluss, kombinierte  Feinabstimmungen der Musik erschienen in enormer Transparenz und es gelang ihm eine frische moderne Gluck-Deutung. Starke orchestrale Akzente setzte Maestro De Marchi besonders nicht nur bei lyrischer Melodik, nein auch während der effizienten Klang-Affekte, welche die vortrefflich disponierten Freiburger  umzusetzen verstanden. Mich störten lediglich die moderato Tempi besonders im ersten Teil welche zu Lasten der fesselnden Innenspannung des Werkes gingen. Ebenso ungewohnt erschienen in meinen Ohren die dominanten überproportionierten Einschläge.

Mit feinnervigem Spiel verband Dmitry Korchak seine exzellente Vokalise und überzeugte als Orphée der Sonderklasse. Zu minimaler Gestik verstand es der Sänger ein Maximum ausdrucksstarker Darstellung zu vermitteln. Mit effektvoll eingesetztem kultiviertem Legato , schmeichelndem Timbre gesegnet vermittelte Korchak geradezu eine tenorale Traumbesetzung der Partie. Virtuos verstand es der Sänger Koloraturen mit klangschönen Höhen in kernigem Vokalbild zu einen und prächtig in Emphase seine Arien und Duette zu charakterisieren.

Tänzerische Anmut schenkte in wunderschön weich fließendem Kleid die schlanke aparte Arianna Vendittelli der unglücklichen Eurydice. Die Sopranistin erlöste dank der Regie die Figur aus ihrer historisch-mythischen Erstarrung und verhalf ihr mit schön timbrierter Stimme und feinen Farbnuancen  zu fesselnden Akzenten.

Etwas verhalten im Spiel dafür vokal kokett, frisch, klar mit hellem Höhenklang kam der Sopran von Marie-Sophie Pollak als Vermittler L´Amour daher.

Ausgezeichnet disponiert agierte in packender Energie und Plastizität das von Holger Speck bestens vorbereitete Vocalensemble Rastatt und trug ebenso zum vortrefflichen Gelingen der Performance bei.

Mit prasselndem Szenenapplaus, Ovationen und Jubel ohne Ende feierte das Publikum alle Beteiligten und ganz besonders euphorisch John Neumeier. Ein glanzvoller Auftakt der neuen Saison und Intendanten-Ära.

Gerhard Hoffmann

 

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