Baden-Baden: „NORMA“ 10.11.2016
Peter Kalman (Oroveso), Cecilia Bartoli (Norma). Norman Reinhardt (Poliione). Copyright: Toni Suter/T&T-Fotografie
Das Regie-Duo Moshe Leiser/Patrice Caurier verlegte die Handlung um die Druiden-Priesterin „Norma“ (Vincenzo Bellini) sinnigerweise in die Résistance während des Zweiten Weltkrieges und sorgte im Festspielhaus für widersprüchliche Furore. Die Titelheldin eine Widerstandskämpferin in Liaison mit dem deutschen Besatzer Pollione hat mit ihm zwei Kinder, es kommt wie es kommen muss, Verrat, Eifersucht, eineHorde „Barbaren“, die einer Druiden-Gottheit hörig sind (pardon Résistance-Kämpfern) verurteilen den gefesselten Gefangenen durch Tod auf dem Scheiterhaufen. Hilfe! Das Mobiliar brennt. Das Einheitsbühnenbild (Christian Fenouillat) zeigt eine Schule, dient ebenso als Lazarett, Stühle und nochmals Stühle, Tische (die unerlässlichen Interieurs des modernen Regie-Theaters), ein Zwischenvorhang schafft Spielraum intimer Momente, Christophe Foreys Lichtregie unterstrich die Mansarden-Atmosphäre. Detaillierte zeitgemäße Kostüme steuerte (Agostino Calvaca) bei. Man würde diese (geist?)reichen Ideen gerne vergessen und ist schon sehr decouragiert. Meiner Meinung nach dient die obskure Szenerie lediglich der Provokation und sollte vom dramaturgischen Dilettantismus ablenken, somit konnte die Übernahme der Salzburger Festspiele 2013 in keiner Weise überzeugen. Unfreiwillig komische Momente ergeben sich zwangsläufig zwischen Text und Action abgesehen von wenigen dramaturgisch geglückten personellen Konstellationen. Das Regie-Team wurde entsprechend mit Pro und Contra bedacht, das Publikum von heute derlei Neudeutungen längst satt und möchte wenigstens für wenige Stunden dem Alltagsstaub entfliehen.
Erfreulicher dagegen geriet die musikalische Komponente. Als Norma glänzte mit kleinen Einschränkungen Cecilia Bartoli, in steter und unermüdlicher Visitation der Musikarchive.
Hatte Bellini u.a. die Norma dereinst Giuditta Pasta in die Kehle komponiert, Maria Malibran sang sie auch und beide Sängerinnen wurde in ihrer Zeit als Soprane bezeichnet, obwohl man sie nach heutigen Verständnis als Mezzos einstufen würde. Dank der entschlackten Orchestrierung hatte man hier Gelegenheit annähernd den Originalklang zu erleben – ein wahrer Glücksfall.
Nun war ich bereits von Bartolis „Sonnambula“ und ihrer prägnanten Amina-Version im Festspielhaus überrascht. Bei der Norma ergeben sich für mich einige vokale Einschränkungen, denn meine Sopran-Favoritin Maria Callas wird unweigerlich nicht mehr gleich Phoenix aus der Asche steigen. Cecilia Bartolis Gesang erscheint mir von einem nervösen Ausdruckswillen gezeichnet, ihre eigenartige Verzierungstechnik, die Ausformungen der Töne und Koloraturen klingen für meine Ohren gewöhnungsbedürftig. Doch kann man sich der intensiven Vokalleistung der Sängerin keineswegs entziehen – ihren betörenden Piani, den klangvollen Höhenflügen sowie den Couleurs ihrer prächtig fundierten Mittellage. Die absoluten Stärken Bartolis liegen in ihrer atemberaubenden Darstellung – einfach faszinierend mit welcher Vehemenz sie die Norma spielt, die Qualen der Liebenden, Enttäuschten, Eifersüchtigen und deren archetypischen Gefühlswelten – gleichsam eine dynamische Psychoanalyse.
Der Urfassung entsprechend war auch die Adalgisa mit einem Sopran besetzt u.zw. mit der jungen Rebeca Olvera. Mit schlank und bruchlos geführter , stets flexibler Stimme formt die mexikanische Sängerin die weiten Legatobögen, die klaren Spitzentöne. Eher für leichtgewichtigere Rollen prädestiniert, war sie jedoch zum Bartoli-Mezzo ein aparter Kontrast. Wir verdanken den beiden Damen während der Duette traumhaft schöne Momente.
Entsprechend leichter besetzt auch die Tenor-Partie des Pollione durch Norman Reinhardt. Sein zuweilen blechern wirkendes Timbre war meine Sache nicht, doch verstand es der amerikanische Tenor mit Aplomb, schonungslosem Einsatz, imposanter Balance zwischen selbstbewusstem Schmettern der Spitzentöne und klangvollen Piani für sich einzunehmen.
Mit sonorer kräftiger Bassbariton-Tongebung verlieh Péter Kálmán dem Druiden Oroveso Autorität. Mit runden Leistungen ergänzten in den Nebenrollen Liliana Nikiteanu (Clotilde) und Reinaldo Macias (Flavio) das Sängerteam.
Hervorragend die Intonation und Diktion, die melodisch rhythmische Präsentation des szenisch stark geforderten Coro della Radiotelevisione Svizzera von Donato Sivo präzise einstudiert.
Doch für mich das Beste zum Schluss: In vorbildlicher Weise gab Maestro Gianluca Capuano dem Belcanto weiten Raum. Er lässt Bellinis Melodien ausschwingen, nimmt die Tempi, wenn notwendig zurück und trumpft mit bestens akzentuierten, mitreißenden Crescendi auf. Transparent, dynamisch, mit großer Sorgfalt offeriert der junge Dirigent mit dem bestens disponierten I Barocchisti duftige Spielkultur und orchestral-solistische Brillanz. In der richtigen Mischung aus elegischen Melismen, zupackender Dramatik und atemberaubenden Tempi dürfte man diese herrliche Musik nicht mehr hören. Zudem gewährte Capuano den Solisten genügend Spielraum zur farbenreichen vokalen Entfaltung.
Bravo-Orkane für die drei Hauptpartien und prasselnder Applaus für das Ensemble und Orchester.
Gerhard Hoffmann