Pfingstfestspiele Baden-Baden
„MEFISTOFELE“ 16.5.2016 (Pr.13.5.) – Magie in Silberglanz
Erwin Schrott, Charles Castronovo, Alex Penda. Copyright: Andrea Kremper
Schon das Öffnen des leuchtend roten Bühnenvorhangs nach dem dankenswerterweise nicht verinszenierten Orchestervorspiel und die Freigabe eines in unzähligen Schnüren herab hängenden Silbervorhangs ist Theatermagie, die nicht nur ein Versprechen für das Kommende bleibt, sondern bis zum Ende durchgehalten wird. Und auch dazwischen immer wieder für Höhepunkte sorgt: wenn sich die in ebenfalls glänzend prachtvolle Brokatgewänder und teilweise Masken gehüllte Chormasse immer mehr nähert und sich schließlich durch die Schnüre Bahn bricht, wenn der als einzige Ausstattung zentral die Bühne beherrschende Totenschädel mit Video-Bildern passend zur jeweiligen Szene überblendet wird, Faust und Mephisto als Kontrahenten ihre Posten in den bekletterbaren Augenhöhlen einnehmen, wenn zum Hexensabbat Irrlichter über den Schnurvorhang flimmern oder wenn sich zur klassischen Walpurgisnacht links und rechts beleuchtete Treppen durch die seitlichen Vorhänge schieben und einen Laufsteg für Helenas in bunten Abendkleidern und Perücken auftretendes Gefolge unter herab schwebendem Goldflitter bilden. Johannes Leiackers Bühnenraum ist sicher ein Großteil des faszinierenden Gesamteindrucks dieser Festspiel-Produktion zu verdanken, und doch ist es auch Regisseur Philipp Himmelmann, der mit einer eher statisch ausgerichteten, aber dennoch subtil bewegten und akustisch vorteilhaft entwickelten Regie mit vielen Frontal-Positionen das stark ausgeprägte theatralische Element in Arrigo Boitos Faust-Vertonung musikalisch treffend einfängt. Gesine Völlms Aufwand an 500 Kostümen ist ebenso phantasievoll wie es keine zeitliche Verortung gibt. Faust (in Hemd und Pullover) und Mephisto (in glänzend schwarzem Sakko, brusttiefem T-Shirt sowie Trend-Frisur) sind genauso Zeitgenossen wie auch Repräsentanten der Zukunft, also des immerwährenden menschlichen Kampfes von Gut und Böse. Wesentlich beteiligt an diesem magischen Gesamteindruck waren Bernd Purkrabek (Licht) und Martin Eidenberger (Video).
Erwin Schrott, Charles Castronovo. Copyright: Andrea Kremper
Hand in Hand mit dieser zündenden Optik geht die musikalische Qualität. Erwin Schrott verfügt über die ideale Präsenz, Ausstrahlung und spielerische Eloquenz, um erstens eine aufs Wesentliche konzentrierte Personenführung ohne teuflische Beigaben wie Grinsen, höhnisches Lachen oder Augenrollen auszufüllen und zweitens das Böse allein durch eine strenge ernste Miene und der zynisch verführerischen Gewandtheit eines Dandys wirksam werden zu lassen. Vokal imponiert vor allem sein unglaublich kompakt fülliges Höhenregister und ein machtvolles Forte, die seine Äußerungen zusätzlich untermauern. Auch die etwas fahle Mittellage und nicht ganz so ergiebige Tiefe passen in ihrem spröden Charakter zu dieser musikdramatisch ausgerichteten Partie. Selbst bei seinen Solovorhängen hat Schrott seine Umgebung völlig im Griff, und wirft die Pfiffe Mephistos in Form eines Kusses ins jubelnde Publikum.
Neben einer so dominanten Figur hat es Faust doppelt schwer sich zu behaupten, auch wenn er in Boitos Oper vorerst der Sieger bleibt und sich Mephisto geschlagen geben muss. Charles Castronovo, der hier in den Vorjahren bereits als Faust in den Vertonungen von Gounod und Berlioz zu erleben war, besticht in der kleinen Welt seines Studierzimmers
( lediglich ein Stuhl unter einer einzelnen Glühbirne) von Anfang an mit seinem lyrisch grundierten, sauber geführten und hell empfindsam timbrierten Tenor und entwickelt im weiteren Verlauf eine Identifikationskraft und ungeahnte Kapazitäten an Volumen und Höhendurchschlagskraft. Ein Belcantist mit gewissen Spinto-Möglichkeiten!
Die beiden gegensätzlichen Frauen waren ebenfalls bestens ausgewählt. Die reale, bürgerliche Margarete (im üppigen grünen Dirndl), von Alex Penda (Rollendebut) mit zunächst zaghafter, im Kerker dann mit energie-geladener Sopran-Emphase, in der sie leichte Schärfen gekonnt mit dem von Schmerz und Verwirrung durchdrungenen Ausdruck kaschierte.
Klassische Walpurgisnacht: Angel Joy Blue (Helena) und Gefolge. Copyright: Andrea Kremper
Im schärfsten Kontrast dazu die Elena der aufstrebenden dunkelhäutigen Angel Joy Blue. Mit ihrer aparten Erscheinung in langer weißer Robe und ihrem sinnlich flutenden, Lyrik und Dramatik dynamisch mischenden Sopran entsprach sie vollkommen dieser traumatisierten Gestalt aus der Antike.
In den Comprimari-Rollen steuerte Jana Kurucova als Marthe im pinkfarben aufgebauschten Kurz-Kleid passend satte und leicht derbe Mezzotöne, und Luciana Mancini als Pantalis in Elenas Reich lieblich sanftere Mezzo-Farben bei. Bror Magnus Todenes machte in einer Szene als Fausts Student Wagner auf seinen feinen Tenor aufmerksam, Rudolf Schaschings heldentenorales Material ergänzte unauffällig als Ensemble füllender Nereo.
Die dritte Hauptpartie, die Scharen des Himmels und des Volkes sind beim als Festspielformation fungierenden Philarmonia Chor Wien ( Einstudierung: Walter Zeh), ergänzt durch den Cantus Juvenum Karlsruhe (Einstudierung: Anette Schneider) in besten Händen. Da stimmte einfach alles von der Präzision der Gesangslinie über die Austarierung der Stimmgruppen, eine dynamische Beweglichkeit bis hin zur noch in unsichtbarer Position plastischen Geschlossenheit. Spiritus rector dieses riesigen musikalischen Apparates war Stefan Soltesz, der mit den Münchner Philharmonikern den vielfach betörenden und überwältigenden Klangkosmos Boitos sowohl als puren melodischen Genuss wie auch in ihren feinen delikaten Zügen zur Geltung kommen ließ.
Der samten weiche Streicherklang, der in der Unterlegung mit dunkel dräuenden Pauken wie eine füllige Orgel durch das Haus tönte, aber auch das klar akzentuierte Blech setzten zumal in den hymnischen Abschnitten Glanzpunkte. Wenn sich dann noch eine Harfe mit ihren Skalen darüber schob, stellten sich Gänsehaut und der maßgebliche Moment des Stoffes ein: „Verweile doch, Du bist so schön!“
Alles in allem eine alle Wünsche erfüllende Aufführung, die auch im Nachhinein noch Schwärmen und Jubel auslöst.
Ob sich die Magie auch auf die Fernsehschirme übertragen lässt (eine DVD ist bereits angekündigt), wird sich weisen. Der Live-Eindruck war schlicht und einfach überwältigend.
Udo Klebes