Baden-Baden: „LEONIDAS KAVAKOS – GEWANDHAUSORCHESTER LEIPZIG –
HERBERT BLOMSTEDT“ – 27.10.2017
Der inzwischen 50-Jährige mit Preisen überhäufte Geiger Leonidas Kavakos beehrte das Festspielhaus und hatte das „Violinkonzert e-moll“ (Felix Mendelssohn Bartholdy) im Gepäck. Völlig unkonventionell der Auftritt im Twenty-Freizeit-Look widmete sich der charismatische Künstler seinem exemplarischen Vortrag und musizierte in hinreißender Emphase, ließ sich in keiner Weise zu schwerblütiger Deutung der Partitur verleiten, seine kraftvolle Interpretation wirkte elegant und dennoch mit einem Hauch poetischer Gefühlstiefe versehen. Ausdrucksstark eröffnete Leonidas Kavakos das Allegro molto appasionato in gelöstem Passagenspiel, führte in technisch mühelosem Aufschwung zu höchsten Regionen gleichwohl die ganze Bandbreite des Instruments ermessend um zur Kadenz atmosphärische Kantilenen zu zaubern. In wohliger Ermattung wurde den Holzbläsern die Führung des zweiten Themas überlassen, fein profilierte sich die Violine versonnen gesponnen im Ton ohne primär zu erscheinen.
In perfekter Balance singt das herrliche Instrument, sinnlich stereoskopisch konzipierte Kavakos die traumhafte Melodie des Andante. Zum klassischen Rondo des Allegro molto vivace welches sich äußerst kunstvoll der Sonatenform nähert, ließ der exzellente Geiger die melodische Musik ganz aus sich heraus sprechen. Die heiklen Vorgaben dieses Finale löste der Solist virtuos in atemberaubender Dynamik, nobler Eleganz und bestechender Bravour.
In bewundernswerter Noblesse entfaltete Leonidas Kavakos die formal klangliche Schönheit seines instrumentellen Vortrags und versetzte die Zuhörer in einen Rausch der Verzückung.
Ohne Frage leistete zum gemeinsamen intensiven Gelingen das Gewandhausorchester Leipzig unter der fachkundigen Leitung von Herbert Blomstedt besonders großen Anteil. In teils moderaten Tempi, in Verbindung von dramatischer Intensität führte der versierte Dirigent das prächtig aufspielende Orchester zu überzeugend-begleitender Klangschönheit. Wohltuend spielte Blomstedt die drei Sätze ohne Generalpausen und ließ den Abgesandten der Husten-Crescendi keine Chance zur obligatorischen Entfaltung.
Das elektrisierte Publikum ließ seiner Begeisterung freien Lauf und wurde mit einer schlicht-kurzen, atmosphärisch gespielten Bach-Zugabe belohnt.
In großer Erwartung fieberte ich natürlich einer meiner Lieblingswerke von Anton Bruckner entgegen nämlich der „Siebten Symphonie“. Herbert Blomstedt ein Dirigats-Grandseigneur versuchte sich in keiner Weise als Neuerer, sein Bruckner-Stil blieb stets traditionell getreu der Partitur verpflichtet und lenkte beim Schlussapplaus den Verdienst auf den Komponisten, demonstrativ auf die in seiner Hand befindlichen Partitur klopfend.
Blomstedt schien sich während des Allegro moderato mehr auf den Aufbau der Klangarchitektur zu konzentrieren, wobei er allerdings in meinen Ohren die Partitur einer befremdlichen Instrumental-Analyse unterzog, somit den sinfonischen Klangfluss erheblich beeinträchtigte und sich somit hörbare Diskrepanzen im Holzbläserbereich einschlichen. Grandios hingegen fächerte der erfahrene Dirigent sein prächtig disponiertes Gewandhaus-Orchester in die kompakte Palette des Brucknerschen Mysteriums und animierte u.a. die vorzüglichen Bläserfraktionen zu atemberaubender Präzision.
Sehr bewegend erklang das Adagio , wurde den Emotionen gerecht, welches ja unter dem Eindruck von Richard Wagners Tod beeinflusst komponiert wurde. In dessen Zentrum nicht nur die harmonische Grundeinstellung zwischen Tonika und Dominante basiert, sondern auch Dimensionen diverser Melodiemodelle verknüpft erscheinen. Damit wurde der formale Aufbau der Infiltration von einfachem Rondo und Sonatensatz dermaßen akustisch verschleiert, dass der Zuhörer ein emotionell motiviertes Klangbild zu vernehmen glaubt, welches natürlich unweigerlich unter die Haut geht. Breit steuerte Blomstedt diesen Satz zum unter die Haut gehenden Höhepunkt an. Diese Musik bewegt, strebte zum Himmel und offenbarte den phantastischen Kosmos dieses Melodienreichtums auf das Wunderbarste.
Schemenhaft fast disharmonisch wirkten die Mischklänge des Scherzo, wie beim Miteinander der Violinen und tiefen Streicher, der Flöten im kalkulierten Überschwang und dennoch atmete das komplexe Musizieren einen Hauch luftiger Leichtigkeit. Immer wieder überraschte die hohe symptomatische Qualität des Leipziger Klangkörpers aufs Neue und präsentierte sich im akkuraten Gesamtklang zum musikalischen Hochamt dieser traditionsreichen Institution.
In lebendigem Ausdruck setzte Herbert Blomstedt im Finale die harmonischen und thematischen Tendenzen Bausteinen gleich zur alles überstrahlenden Homogenität der gesamten Symphonie-Entwicklung. Konzentriert in bestem Sinne mobilisierte der erfahrene Altmeister sein hervorragendes Instrumentarium nochmals in orchestralem Pomp zu bedeutungsvoller Entfaltung. Beschwörend blieb die rechte Hand oben um die kurze Besinnungspause vor dem überschwänglichen Finaljubel nicht zu stören.
Gerhard Hoffmann