Baden-Baden: BADEN-BADEN-GALA / „LE NOZZE DI FIGARO“ 19.07.2015
Angela Brower, Luca Pisaroni, Christiane Karg, Yannick Nezet-Seguien, Sonya Yoncheva, Thomas Hampson. Foto: Michael Gregonowits
Krönender Abschluss einer erfolgreichen, vielseitigen Opern- und Konzertsaison im Festspielhaus bildete zur „Baden-Baden-Gala 2015“ die konzertante Aufführung von „Le Nozze di Figaro“ (W.A. Mozart). Zu Recht verdiente die illustre Besetzung das Prädikat „Gala“ nein, übertraf diese Bezeichnung bei weitem. Ich gestehe, ich liebe konzertante „Inszenierungen“, denn im Gegensatz zu manchen Regie-Banausen verstehen die Sänger ihr Handwerk, kennen die Materie, wissen was und von was sie singen. Nun war es das pure Vergnügen dieses erlesene Ensemble, in der Vermittlung von Witz, leicht ironischen Zwischentönen, in unbändiger Spielfreude zu erleben.
Bereits nach dem Vorabend-Konzert war mir klar, das folgende Event wird zum musikalischen Highlight der Sonderklasse. Yannick Nézet-Séguin leitete wiederum das hochmotivierte, engagiert musizierende Chamber Orchestra of Europe und verlieh bereits der Ouvertüre den federnd-leichten Mozart-Sound. Der temperamentvolle Dirigent, stets bedacht auf effektvolle Begleitung der Protagonisten, trug diese auf Händen, bot genügend Freiraum zu metrischen Nuancen und interpretatorischen Finessen. Dennoch wirkte das orchestrale Spiel stets eigenständig, klangvoll, spritzig wie Champagner, von hoher Eloquenz, phänomenal instrumental geführt im unverkennbar aufregenden Handlungsablauf.
Mit körperreichem Fundament, im vollen Einklang der Partie durfte man einen der gegenwärtig wohl besten Figaros Luca Pisaroni erleben. Prägnant artikulierend, präsentierte der italienische Bassbariton seine wunderschön timbrierten, wohlklingenden, vokalen Vorzüge. Weiche Farbnuancen kontrastierten vortrefflich zu prachtvoll männlichen Tongebungen in stilistischer Perfektion, stets im Duktus einer bestens geführten, gesunden, prachtvollen Stimme. Mit dieser großartigen Leistung avancierte der sympathische Sänger zum Publikums-Favoriten.
Als bräutliche Susanne durfte man die kostbare Sopranstimme von Christiane Karg genießen. Vollblütig, sinnlich, keck, den Schalk im Nacken verströmt die Sängerin anmutig warme, filigrane Töne von leichter Süße, sprühender und dennoch substanzreicher Fülle, vokaler Grazie mit lyrischen, perlenden Koloraturen, gepaart mit herzerfrischender Koketterie, kurzum die derzeit konkurrenzlose Rollenvertreterin bezauberte das Auditorium.
Für die erkrankte Diana Damrau ward Sonya Yoncheva gewonnen. Melancholische Züge verlieh die bulgarische Sopranistin ihrer Contessa Almaviva im lyrisch-erfüllten Mozartgesang. Punktete mit schwebend leichten, aufblühenden Tönen, stilistischer Klangreinheit, ausgereift in individueller Durchdringung der Partie und bewies zudem souverän sängerdarstellerische Autorität.
Atemlos, im fast noch pubertären Überschwang der Gefühle begeisterte Angela Brower mit leuchtfähigem, beglückenden (Mezzo) Sopran voll strömender, erregender Emotionen den flatterhaften Cherubino. Mit ihrer farbenreichen Stimme bildete die engagierte Künstlerin einen weiteren vokalen Glanzpunkt der oberen Sängerriege.
In selbstgefälliger Abgeklärtheit und unverbindlicher Tongebung von herbem Nachklang, erschien mir der einst noble Kavaliersbariton Thomas Hampson. Sein Gesang ist absolut stilsicher, zu dramatischer Attacke geneigt, doch vermisste ich schmerzlich die weich-strömende Linie, die schnittige Eleganz, das frühere herrliche Timbre. Geben wir den Disharmonien den hochsommerlichen Temperaturen oder einer abendlichen Unpässlichkeit schuld.
Prominente Namen in den weniger tragenden Rollen zierten zudem das Besetzungsprogramm: Anne Sofie von Otter beeindruckte mit köstlichem Spiel und höhensicherer Vokalise als Marcellina. Ihr zur Seite profilierte Maurizio Muraro mit schönstimmigem Bass den Bartolo. Mit wunderschön aufblühendem Sopran entzückte Regula Mühlemann (Barbarina), baritonalen Schönklang steuerte Philippe Sly (Antonio) bei, als komischer Don Curzio gefiel Jean-Paul Fouchécourt. Die peinlich überzogenen Clownerien von Rolando Villazón (Basilio) sollten vermutlich von den vokalen Defiziten ablenken. Ausgezeichnet von hoher Klangqualität fügte sich das agile Vocalensemble Rastatt von Holger Speck bestens einstudiert, ins spektakuläre Geschehen.
Diese denkwürdige, konzertante Produktion dürfte noch lange in Erinnerung bleiben, zumindest erlebte der Rezensent seine bisher beste, schönste Figaro-Aufführung, das Publikum genoss ebenso und feierte alle Mitwirkenden zehn Minuten mit nie nachlassenden Ovationen.
Gerhard Hoffmann