Baden-Baden:

Zubin Mehta, Pinchas Zukerman. Copyright: Monika Rittershaus
Baden-Baden: „PINCHAS ZUKERMAN – BERLINER
PHILHARMONIKER – ZUBIN MEHTA“
Konzert am Ostersamstag 15. 4.2017

Zubin Mehta, Pinchas Zukerman. Copyright: Monika Rittershaus
Nach dem grandiosen Konzert des Vorabends wartete das Festspielhaus mit einem weiteren Schmankerl auf. Wiederum musizierten die Berliner Philharmoniker jedoch unter der Leitung von Zubin Mehta mit dem Solisten Pinchas Zukerman.
Bereits im Jahre 1961 debütierte der internationale Violinist Pinchas Zukerman und begeisterte seitdem Konzertbesucher in aller Welt. Als Ostergeschenk präsentierte der charismatische Künstler das seltener aufgeführte „Violinkonzert“ von Edward Elgar.
Der englische produktive Komponist schuf nicht nur die heimliche britische Nationalhymne „Pomp and Circumstance Marches“ sondern auch eine Vielzahl ausgezeichneter Werke. Elgar baute seine Konzerte zwar eigenwillig, doch zertrümmerte er kaum traditionelle Harmonie-Strukturen. Als geniales Beispiel seiner immensen Instrumentalkunst belegt das elegante monströse h-Moll-Violinkonzert, welches nicht von ungefähr entstand, war der Komponist selbst ein begnadeter Geiger.
Nicht nur die ungewöhnliche Länge des Werkes, auch die technischen Finessen verlangen von Solisten und gleichwohl dem Orchester ein Höchstmaß technischer Versiertheit. Diesen Voraussetzungen schien Pinchas Zukerman in jeder Form erhaben, bewundernswert in welch emotionaler Reichhaltigkeit der Solist die unterschiedlichsten Farben der Exposition des ersten Satzes vortrug. Wie Destillate gingen die süffigen vollmundigen Klänge des Auskostens in die Ohren, die gefühlvoll -wärmende Anschaulichkeit Zukermans die Impulse der Gefühlswelten auf den Hörer über.
Der exzellente Virtuose schien im zweiten Satz einer typischen Elgar-Idylle in Nostalgie und Sentiment über dem Klangteppich des traumhaft begleitenden Orchesters regelrecht zu schweben. Träumerisch, versonnen dann sich wiederum hymnisch aufschwingend versah Pinchas Zukerman gleichermaßen die geforderte Emphase verbunden im blühenden Ton des Instruments.
Der letzte dritte Satz von vielen Interpreten als der schwierigste und anstrengendste Teil des Konzerts verteufelt, meisterte der Solist in meisterhafter Souveränität. Die musikalische Linienführung der Partitur bot dem Solisten zur Steigerung der Tempi wenige Ruhemomente. Hörner, Pauken sowie pizzicato tremolando spielende Streicher betteten die Solo-Violine in elegische Klangsphären, sodann zu schweigen und der meditativen solistischen Kadenz Zeit und Raum zu lassen. Ja und wie Zukerman die Akzente in natürlichem Fluss, motiviert, differenziert modelliert, solitär formt, klangtechnisch intensiviert reißt förmlich (pardon) vom Hocker.
Das Publikum ließ seiner Begeisterung freien Lauf.
Nie zuvor erlebte ich im Festspielhaus nach einem Konzert derartige Bravo-Orkane wie nach der folgenden Darbietung der „Fünften Symphonie“ von Peter Iljitsch Tschaikowsky. Doch muss ich voraus bemerken: Unzählige Male von den elitären Orchestern dieser Welt interpretiert durfte ich das Werk erleben, doch wähnte ich das heute Gehörte stellte alles Bisherige in den Schatten.
Wie der Vierten liegt auch der Fünften Symphonie die poetische Schicksals-Idee zugrunde. Musikalisch erhält das marschähnliche Thema seine pathetische Expression, welche das Werk eröffnet und von Tschaikowsky selbst als Motiv der vollständigen Beugung vor dem Schicksal gedeutet wurde und in allen vier Sätzen wiederkehrt. Breit, leise schier versonnen ließ Zubin Mehta das motivische Thema des Andante mit den exzellenten Berlinern regelrecht weben, von den Klarinetten in tiefer Lage angestimmt und vom prächtigen Orchesterapparat zum vielschichtigen Erblühen gebracht. Mir schien der versierte Dirigent mit der erfrischend minimalen Zeichensprache nahm diesem Satz, seiner unglaublich bedeutungsvollen Struktur die sonst so bleierne Schwere.
In punktierter Rhythmik stimmten Klarinette und Fagott das walzerartige Thema des Andante cantabile an, die Violinen schwelgten, die Holzbläser intensivierten die musikalische Entwicklung, im Tutti entfalteten die traumhaft aufspielenden Berliner Philharmoniker Klänge zum niederknien. Schemenhaft entwickelten sich nach und nach die Seitenthemen um regelrecht im Fortissimo zu explodieren. Mehta beleuchtete zwar formell weiche Konturen doch versah er die von den Blechbläsern akkurat geschmetterten Ecksätze mit unglaublich dargebotenem Brillantglanz. Zielstrebig formierten sich die geballten Kräfte zu beruhigendem Intonieren zurück und im herrlichen Pianissimo klang der Satz aus.
Auf ganz besondere Art und Weise schien mir Zubin Mehta mit dem qualifizierten Klangkörper das dreiteilige Allegro moderato mit seiner choralen Einleitung der tiefen Streicher und der schwärmerischen Hornmelodie zu prägen. Im Wechselspiel der Oboen, Celli, Violinen steigerten sich die melodischen Bewegungen allmählich zu pastoraler Intensität und entwickelten drängend die hereinbrechende Introduktion. Wie Mehta platzieren des Öfteren Dirigenten die Bässe auf die linke Seite und erzielen dadurch neue und reizvolle Klangperspektiven. Transparent, filigran, virtuos, kapriziös erklang die Walzermelodie.
In einer Hymne eröffnet das berühmte Schicksalsmotiv das finale Andante maestoso, wogende Triolen umspielen die Wiederholungen, drängend erhebt sich der Streichersatz. Stampfend erhebt sich der flotte Marsch, die Holzbläser führen das Seitenthema an, in spannender voranstürmender Entwicklung entfaltete sich das vom Blech in akkurat geschmetterter Brillanz, von jagenden Läufen begleitete Schicksalsthema. Das melodramatische Geschehen erschien in unbändiger Wildheit und strebte in orchestral unübertroffener Präzision, dem brillanten glanzvollen Trompetenwirbel zu.
Ich wähnte mich regelrecht erschlagen wie betäubt, bar dieser denkwürdigen unvergleichlichen Interpretation. Das Publikum riss diese von den Stühlen und feierte Mehta und die Berliner Gäste mit Bravochören und Beifallsstürmen in Orkanstärke.
Gerhard Hoffmann