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BADEN-BADEN/ Festspielhaus/ Sommerfestspiele: LIEDERABEND ANNA NETREBKO (Elena Maximova, Malcolm Martineau)

Sinn für Klangfülle

15.07.2019 | Konzert/Liederabende

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Liederabend Anna Netrebko (Elena Maximova, Malcolm Martineau am 14.7. 2019 bei den Sommerfestspielen 2019 im Festspielhaus Baden-Baden

Sinn für Klangfülle

Slawische Melancholie und leidenschaftliche Aufschwünge beherrschten gleich zu Beginn Anna Netrebkos Interpretation der Lieder „Flieder“ op. 21/5, „Vor meinem Fenster“ op. 26/10 und „Hier ist es schön“ von Sergej Rachmaninow. Und man spürte dabei auch ganz unmittelbar, dass sich ihre Stimme hinsichtlich der voluminösen Fülle und der gesanglichen Reife weiter verändert hat. Malcolm Martineau (Klavier) begleitete sie dabei mit lyrischer Emphase und ausgesprochen sensiblem Anschlag. Der Sinn für große Klangfülle und bewegenden Ausdruckszauber kam so nicht zu kurz. Romantisch-schwärmerisches Gefühl prägte ferner „Morgen“ op. 27/4 von Richard Strauss mit der ausdrucksvollen Violinbegleitung von Giovanni Andrea Zanon, die die Gesangsstimme von Anna Netrebko einfühlsam unterstützte. Dem drängenden Überschwang verlieh Anna Netrebko ausgesprochen berührende Töne, die sich tief einprägten. „Es weint in meinem Herzen“ von Claude Debussy bestach aufgrund der subtilen Verfeinerung der Nuancen und der formalen Vollendung. Poetischer Ausdruck paarte sich hier mit zartesten Gebilden. Das aneinandergereihte motivische Material führte zu einer Abfolge von Spannung und Entspannung. Die Schönheit des reinen Tons stand hier immer wieder in beeindruckender Weise im Mittelpunkt, wobei sich Anna Netrebko und Malcolm Martineau sehr gut ergänzten. Die Arie der Louise „Seit dem Tage“ aus der Oper „Louise“ von Gustave Charpentier bestach einmal mehr durch innere Aufgewühltheit, die sich nur schwer bändigen ließ. Hier wurden gesanglich und harmonisch immer wieder Grenzen überschritten. Eine ähnliche Erfahrung machte man dann bei „Das war im ersten Frühlingsstrahl“ und „O sprich, wovon singt die Nachtigall“ von Peter Tschaikowsky, wobei das aufrührerisch-wilde Melos bei diesem klar timbrierten Vortrag nur ganz entfernt zu spüren war. Auch hier erwies sich Malcolm Martineau als kongenialer Begleiter dieser Ausnahmesopranistin, die das Publikum an ihren unbeschreiblichen gesanglichen Höhenflügen ganz unmittelbar beteiligte. Dies ist der eigentliche Erfahrungswert von Anna Netrebkos Liedinterpretationen. Mit instrumentalen Effekten und reizvollen Spielformen schmückte Malcolm Martineau seine pianistische Begleitung, die der Singstimme aber immer genügend Freiraum ließ. Die rhythmischen Finessen von „Go Not, Happy Day“ von Frank Bridge sowie der große mediterrane Zauber von „Mattinata“ von Ruggero Leoncavallo erfasste Anna Netrebko mit der ihr eigenen Klarheit für tänzerisch-spielerische Bewegungskraft. Elena Maximova (Mezzosopran) als Polina begleitete Anna Netrebko dann beim Duett Lisa/Polina „Abend ist’s“ aus der Oper „Pique-Dame“ von Peter Tschaikowsky. Man begriff bei dieser berührenden Interpretation auch, dass „Pique Dame“ tatsächlich einen noch größeren dramatischen Nerv besitzt wie etwa „Eugen Onegin“. Entfesselte Liebesempfindung und Aufruhr der Leidenschaften waren hier nicht mehr zu bremsen.


Malcolm Martineau, Anna Netrebko. Foto: Andrea Kremper

Malcolm Martineau besaß dabei als Liedbegleiter immer die richtigen Impulse und ein genaues Gespür für dynamische Veränderungen. „Wolkenzug“ von Nikolai Rimsky-Korsakow und Peter Tschaikowskys „Schlaflose Nächte“ verbanden sich bei der Wiedergabe durch Anna Netrebko und Malcolm Martineau auf harmonisch geheimnisvolle Weise. Einen weiteren hervorragenden Eindruck gewann man bei den drei Richard-Strauss-Liedern „Die Nacht“ op. 10/3, „Wiegenlied“ op. 41/1 und „Ständchen“ op. 17/2, wo Anna Netrebko einen riesigen dynamischen Bogen spannte, der die Gesangsstimme mit starker Energie erfüllte und auch der Klavierbegleitung von Malcolm Martineau ganz eigene Konturen verlieh. Impressionistische und slawische Facetten bildeten bei „Nach einem Traum“ op. 7/1 von Gabriel Faure und „Als die alte Mutter“ op. 55/4 von Antonin Dvorak reizvolle Gegensätze. „Traum“ von Sergej Rachmaninow entführte die gebannten Zuhörer noch einmal in melancholische Gefilde. Dass sie auch die Welt von George Gershwin und Frederick Loewe in unnachahmlicher Weise zu beschwören vermag, bewies Anna Netrebko dann bei „Gold ist eine feine Sache“ als Arie der Elisabeth „Baby“ Doe aus der Oper „“The Ballad of Baby Doe“ von Douglas Moore. Bei Jacques Offenbachs Barcarole „Schöne Nacht, oh Nacht der Liebe“ aus der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach waren Anna Netrebko als Giulietta und Elena Maximova (Mezzosopran) als Nicklausse ganz in ihrem Element. Die glutvolle Landschaft einer venezianischen Nacht wurde so lebendig. Wechselnde Formen und Farben begeisterten ferner bei „Ob der Tag regiert oder die Nacht“ op. 47/6 von Peter Tschaikowsky.

Als Zugabe interpretierte Anna Netrebko zusammen mit Malcolm Martineau unter anderem noch „O mio babbino caro“ aus der Oper „Gianni Schicchi“ von Giacomo Puccini mit einer grandiosen Atemtechnik, die den Tönen eine endlose Weite und überwältigende sphärenhafte Leuchtkraft verlieh. Ovationen.

Alexander Walther                   

 

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