Baden-Baden: „PIQUE DAME“ – 09.04.2022
Elena Stikhina (Lisa), Arsen Soghomonyan (Hermann). Foto: Monika Rittershaus
Die diesjährigen Osterfestspiele im Festspielhaus an der Oos wurden mit „Pique Dame“ von Peter Tschaikosky eröffnet. Das Regie-Team Moshe Leiser/Patrice Caurier inszenierte das geniale Opus des russischen Meister-Komponisten und verlegten die Handlung in ein halbseidenes Etablissement geführt unter dem strengen Regment der einst legendären verruchten „Moskauer Venus“. Ich zitiere zunächst die Aussage von Moshe Leiser: Gemeinsam lässt sich schneller herausfinden, was geht. Und vor allem was nicht geht. Zum Missfallen der wenigen Buh-Rufer muss ich persönlich gestehen es geht, pourquoi pas? Wurde die Story so vortrefflich ästhetisch von Agostino Cavalca kostümiert, die eigentlichen sieben Handlungsabschnitte optimal auf einer Zweietagen-Konstruktion (Christian Fenouillat) in Szene gesetzt. Video-Installationen ( Etienne Guiol ) sowie das stilvoll illuminierte Lichtdesign (Christophe Forey) rundeten die ansprechende Optik vorteilhaft ab. Nun zur eigentlichen ins Bordell verlegten Handlung: Hermann der Spieler liebt Lisa (wenn auch teils eigennützig um hinter das Geheimnis der verhängnisvollen drei Karten der Gräfin zu gelangen), glaubte ohne sie nicht mehr leben zu können, im Gegensatz zu Fürst Jelezki welcher sie mehr oder weniger besitzen regelrecht kaufen möchte. Hermann scheitert an seiner Spielsucht verliert alles, Lisa und schließlich sein Leben. Mit spitzer ironischer Feder zeichnete das Regieteam das Portrait einer dekadenten fürstlichen Aristokratie um Katharina die Große. Vortrefflich charakterisiert wurden die Präsentationen der Protagonist*innen sowie der in Nostalgie schwelgenden Gräfin, von delikatem besonders optischem Reiz choreographierte Beate Vollack die „Mozartiana“, frech-frivol von sechs graziösen Tänzerinnen aufgepeppt, sowie die maskuline finale Spielszene.
Doch nun zum eigentlichen Aufsehen erregenden Kernpunkt der exzellenten musikalischen Wiedergabe: Nach dutzendfachen Aufführungen meiner Tschaikowsky-Favoritin, hatte ich heute das genussvolle Vergnügen im Festspielhaus die dritte Inszenierung der „Pique Dame“ und insbesonders von allen die musikalisch Beste erleben zu dürfen. Kirill Petrenko am Pult eines der weltbesten Orchester den Berliner Philharmonikern versprach akustische Wonnen, übertraf die kühnsten Erwartungen bei weitem, bescherte dem Rezensenten die brillanteste Interpretation seines Lebens. Hatte ich je zuvor diese Musik in derart vollkommener Präzision wahrgenommen? Ich muss verneinen, das war heute die absolute unübertreffliche Vollendung. Petrenko ein wahrer Taktstock-Magier entlockte dem Berliner Spitzenorchester elementare Klangbilder der Superlative, schien vom Geist der magischen Schönheit regelrecht beflügelt. Was sollte man mehr bewundern, die Präzellenz der Tongebungen des Instrumentariums, das dramatische Ausmusizieren der Partitur (u.a. Gewittermusik) ohne jeglicher überdimensionierter Forte-Eruptionen, die zart-elegischen Intermezzi, die feinen stilistisch atemberaubenden Nuancierungen? Genüssliche Akzente in mitreißender Formation, subtil-berauschender Qualität schenkte der elitäre Klangkörper dem atemlos lauschenden Auditorium, dem lässt sich nichts mehr hinzufügen.
Vom Klangrausch fasziniert, vom Dirigenten sprichwörtlich auf Händen getragen formierte sich das Ensemble zu sanglichen Höchstleistungen. Die Partie des Hermann gehört zweifellos zu den anspruchsvollsten Extrembeispielen im Tenorbereich, jedoch waren heute alle Befürchtungen diesbezüglich unbegründet, denn man hatte einen Rollenvertreter der Sonderklasse zu Gast. Arsen Soghomonyan schien für Tschaikowskys schwerblütigen Belcanto geradezu prädestiniert, begegnete den sich aufbäumenden Legato-Bögen mit schier selbstverständlicher Akkuratesse, unerschütterlicher ruhiger Stimmführung, absolvierte die Partie gleich einem vokalen Spaziergang. Seine zu Beginn lyrisch anmutende herrlich timbrierte Stimme steigerte sich allmählich ohne oneröse Kraft in atemberaubende Höhenbereiche. Zudem beeindruckte der armenische Tenor mit betörenden Piani, maskulinem und dennoch weichem Mittelbereich ohne Verlust von substanziellem Kolorit. Zur brillanten Vokalise gesellte sich zudem ein immens-dramatisches darstellerisches Potenzial – die absolute Traumbesetzung! Das Publikum war wohl meiner Meinung und überschüttete den Sänger mit lautstarken Beifallstürmen.
Alle guten Dinge sind drei, zwei Sängerinnen der Lisa-Partie sagten krankheitsbedingt ab und Elena Stikhina ward als Ersatz gewonnen. Die Sopranistin ist mir noch in bester Erinnerung als Senta-Einspringerin hier am Hause vor vier Jahren. Darstellerisch sehr intensiv charakterisierte Stikhina die Partie der unglücklich Liebenden. Ach wie sehr hat mich der Kummer mitgenommen – Tag und Nacht an ihn ich nur denke, quäl mich sind die Worte der verzweifelten Lisa und die Sängerin führte ihr wunderschönes Timbre in einsame Sopranhöhen, ihre Qual wurde spürbar in diesen lyrisch anrührenden, mit dramatischem Impetus gespickten Phrasen. Das Glück, es schien so nah und war doch nur ein Trugbild. Von hoher Musikalität geprägt, vernahm man die jugendlich-dramatische Stimme als adäquates Klangideal und wurde ebenso stürmisch gefeiert.
Zum melancholischen Bekenntnis der Polina, im Duett mit Lisa sowie als Daphnis glänzte mit volltönend-warmem Mezzosopran Aigul Akhmetshina. Darstellerisch bewegend, mit vokalen reifen Mitteln gestaltete Doris Soffel die Gräfin und schwelgte mit dem „Chanson“ anrührend in Erinnerungen.
Der Ballade um die drei Karten schenkte Vladislav Sulimsky (Graf Tomski-Plutus) mit prächtigen baritonalen Couleurs symbolisch-atmosphärische Augenblicke und glänzte zudem im Finalbild mit einem temperamentvollen Tanz auf dem Spieltisch. Wunderschön erklangen die beschwörenden Liebesbeteuerungen mit betörendem Kavaliersbariton von Boris Pinkhasovich (Fürst Jelezki) vorgetragen.
Final-Szene: Monika Rittershaus
Ohne Fehl und Tadel, schönstimmig fügten sich Yevgeny Akimov (Tschekalinski), Anatoli Sivko (Surin), Christophe Poncet de Solages (Tschaplizki-Spieler-Zermonienmeister), Mark Kurmanbayev (Narumow-Spieler), Margarita Nekrasova (Gouvernante), Cantus Juvenum (Clara-Sophie Bertram) sowie der prächtig agierende und exzellent vokale Slowakische Philharmonische Chor (Jozef Chabron) ins exquisite Ensemble.
Jubelnde Begeisterung am Ende wie bereits erwähnt, tosender Applaus, Getrampel, Standing Ovations für Petrenko und das Orchester.
Gerhard Hoffmann