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BADEN-BADEN / Festspielhaus: PARSIFAL. Premiere

Kundry steht im Zentrum des Geschehens

24.03.2018 | Oper


Stephen Gould (Parsifal), Gerald Finley (Amfortas), Franz-Josef Selig (Gurnemanz) und Chor. Copyright: Andrea Kremper

„PARSIFAL“  bei den Osterfestspielen im Festspielhaus Baden-Baden (Premiere am 24.3. 2018)

KUNDRY STEHT IM ZENTRUM DES GESCHEHENS

Dieter Dorn inszeniert Richard Wagners „Parsifal“ bei den Osterfestspielen am 24. März 2018 im Festspielhaus/BADEN-BADEN

Im weiträumigen Bühnenbild von Magdalena Gut wirft Dieter Dorn in seiner Inszenierung von Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ einen zentralen Blick auf Kundry, die schon beim Vorspiel sichtbar und von zahlreichen Figuren bedrängt wird. Das Schicksal hat sie dafür ausersehen, von Parsifal erlöst zu werden, der als „reiner Tor“ die Gralsburg betritt. Auf seine Erlösung hofft auch der kranke König Amfortas, dessen Wunde sich nicht schließen will. Kundry ist zugleich eine Ausgestoßene dieser Gralsgemeinschaft, was Dieter Dorn facettenreich herausarbeitet (Kostüme: Monika Staykova). Die Knappen trauen ihr nicht. Zahlreiche Holzgerüste erinnern hier schemenhaft an mittelalterliche Fachwerkhäuser. Auf dem höchsten Thron sitzt Titurel, dessen Sohn Amfortas unter größten Qualen das Gralsritual vollzieht. Dieser Gral ist hier bei seiner Enthüllung tatsächlich ein leuchtendes Gefäß, das auch in der Dunkelheit in geheimnisvoller Weise strahlt.

In einem blauen Saal steht dann im zweiten Akt auf einer hohen Empore der Zauberer Klingsor, der Kundry an seine Seite ruft. Mit Blumengebinden erscheinen tatsächlich die Blumenmädchen, denen Parsifal widersteht. Die Szene gleicht eher einer seltsamen Idylle, anschließend wird Kundry in einem verführerischen hellen Gewand aus der Tiefe nach oben gefahren. Sie möchte Parsifal verführen, seinen Schmerz mit tröstender Liebe stillen. Doch dieser stößt sie von sich. Die Inszenierung Dieter Dorns erreicht hier trotz mancher szenischen Schwächen ihre besten Momente. Kundry und Parsifal nähern sich trotz der Gegensätze sehr stark einander an. Schließlich zerstört Parsifal Klingsors Zauberreich. Der Speerwurf des Zauberers trifft ins Leere, abrupt geht das Licht aus. Im Lichtkegel auf der anderen Seite wird plötzlich Parsifal sichtbar, der Kundry zurück lässt. Ein interessanter Regieeinfall.

Im dritten Akt sieht man wieder die riesigen Holzgerüste, die immer wieder hin- und herbewegt werden. Gurnemanz preist Parsifals Ankunft als ein Wunder. Parsifal erscheint in einer schweren Ritterrüstung, die er schließlich ablegt. Amfortas vollzieht das Gralsritual nicht mehr, Titurel ist darüber gestorben. Kundry wäscht Parsifal die Füße, Gurnemanz preist ihn als neuen König. Es kommt zu einer berührenden Szene des Verzeihens zwischen Kundry und Parsifal. Ein Höhepunkt dieser Inszenierung ist zuletzt die ergreifende Totenfeier für Titurel, bei der der verzweifelte Amfortas von den Rittern den Todesstoß fordert. Als Parsifal den Speer in seine Wunde legt, stirbt er. Während der Gral enthüllt wird, fällt plötzlich der Vorhang und Kundry bleibt vor diesem allein zurück.

Dieses Regiekonzept ist durchaus plausibel. Sir Simon Rattle lässt die Berliner Philharmoniker stellenweise mit sphärenhafter Leichtigkeit musizieren, davon profitiert vor allem auch die harmonische Inspiration. Die Reife des Alterswerks kommt trotzdem voll zum Zug. Einfachheit und Klarheit der Parsifalmusik stechen auch bei der diatonischen Entwicklung hervor, die die überirdische Sphärenhaftigkeit des Grals beschreibt. Klingsors Gegnerschaft wird in wilden chromatischen Bewegungen sichtbar. Vor allem die Chorszenen mit dem von Walter Zeh sehr gut einstudierten Philharmonia Chor Wien überzeugen als packendes Musiktheater.


Gerald Finley (Amfortas) und Chor. Copyright: Andrea Kremper

Überaus durchsichtig musizieren die Berliner Philharmoniker unter der souveränen Leitung von Sir Simon Rattle vor allem die hier überaus berührende Musik des Karfreitagszaubers, die man so noch nicht gehört hat. Heroisch entschlossen tritt das Motiv des Glaubens hervor, dessen Struktur Rattle mit dem Orchester genau erfasst. Auch die Gralsmelodie des Vorspiels in As- und Ces-Dur bis zur Wendung nach d-Moll bleibt stark im Gedächtnis, denn es wird tröstlich in das Bußmotiv weitergeführt. Die heilige Stätte erhält hier auch musikalisch eine gewisse Nähe zu „Lohengrin“. Ruxandra Donose als durchaus stimmgewaltige Kundry lässt schon das Motiv der Verzweiflung hell aufleuchten. Auch wenn sie nicht alle Spitzentöne trifft, steigert sich ihr darstellerisches Profil im zweiten Akt noch ganz erheblich, wo sich das mit unheimlich zuckenden Rhythmen daherkommende Klingsor-Motiv wuchtig behauptet. Als jugendliche Frau tritt hier Kundry tatsächlich vor Parsifal. Beim Wort „lachte“ springt die Singstimme nuancenreich vom hohen H aufs tiefe Cis. Stephen Gould als stimmgewaltiger Parsifal betont das Motiv der Verdammnis ergreifend. Seine heftige Selbstanklage fesselt mit bemerkenswerter Intensität. Die Seelenläuterung dieser Figuren berührt den Zuhörer bei dieser Aufführung in besonderer Weise. Auch den Übergang des Verzweiflungsmotivs über das Lockmotiv zum Mitleidsmotiv gestalten die Berliner Philharmoniker sehr überzeugend. Sir Simon Rattle ist vor allem ein Meister der harmonischen Übergänge. Davon profitieren auch die männlichen Sänger – allen voran der voluminöse Gurnemanz des Bassisten Franz-Josef Selig. Gerald Finley gestaltet Amfortas mit wandlungsfähigen Klangfarben seines Baritons – etwas dämonischer könnte allerdings der Klingsor von Evgeny Nikitin sein. Robert Lloyd ist ein imponierender Titurel, der mit seinem Bass das gesamte Festspielhaus ausfüllt.


Ruxandra Donose (Kundry). Copyright: Andrea Kremper

Mit harmonischer Leuchtkraft und Durchsichtigkeit agieren Klingsors Zaubermädchen in der subtilen Darstellung von Iwona Sobotka, Kiandra Howarth, Elisabeth Jansson, Mari Eriksmoen, Ingeborg Gillebo und Kismara Pessatti. Die beiden Gralsritter sind mit Neal Cooper und Guido Jentjens ebenfalls opulent besetzt. In weiteren Rollen überzeugen noch die vier Knappen Ingeborg Gillebo, Elisabeth Jansson, Neal Cooper und Iurie Ciobanu. Eine markante Stimme aus der Höhe ist Kismara Pessatti.

Obwohl die Dekorationsumwandlung beipielsweise „Siegfrieds Traumermarsch“ aus der „Götterdämmerung“ an Reichtum der Motive nachsteht, arbeitet Sir Simon Rattle die erschütternde Wirkungskraft dieser Musik mit den Berliner Philharmonikern aufwühlend heraus. Die Totenklage steigert sich in Intervallschritten zu einem ungeheuren Motiv der Öde, das die Berliner Philharmoniker mit bewegender Emphase musizieren. Gustav Mahler sagte einmal: „Als ich, keines Wortes fähig, aus dem Festspielhaus hinaustrat, da wusste ich, dass mir das Größte, Schmerzlichste aufgegangen war, und dass ich es unentweiht mit mir durch mein Leben tragen werde.“ So, wie die Berliner Philharmoniker vor allem den dritten Aufzug musiziert haben, gewinnen diese Worte nochmals eine ganz besondere Bedeutung.

Zuletzt gab es Jubel für Sänger, Dirigent und Orchester, aber auch Widerspruch und „Buh“-Rufe für das Regieteam. Es ist eine Inszenierung, die zwar nicht in allen Punkten gelungen ist, aber in vielen Details überzeugt. Gelegentlich wünscht man sich eine stärkere Betonung des Überirdischen und Sphärenhaften. 

Alexander Walther

 

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