Baden-Baden / Festspielhaus: „NORMA“
Eine bemerkenswerte konzertante Aufführung am 24.08.2025
Sonya Yoncheva, Karine Deshayes. Foto: Michael Gregonowits
Nach dem elementaren Ereignis anno 2004 der konzertanten Produktion der „Norma“ von Vincenzo Bellini mit Edita Gruberova und Elina Garanca avancierte die lettische Mezzosopranistin zum Weltstar, danach folgte die abstruse Inszenierung im Jahre 2016 mit Cecilia Bartoli in der Titelpartie und heute erlebte man im Festspielhaus erneut eine wunderbare Aufführung fernab jeglicher Mätzchen des zeitgenössischen Musik-Theaters. Die Künstlerinnen und Künstler kannten ihre Partien, setzten diese darstellerisch dezent und ebenso vokal vortrefflich in Szene und bescherten dem andächtig lauschenden Publikum einen Belcanto-Abend der Sonderklasse.
Mit der erstrebenswerten italienischen Glanzpartie aller Soprane dieses Genres gastierte nun Sonya Yoncheva an der Oos, man kann es so formulieren: Sie kam, sang und siegte! Um ehrlich zu sein zählt die Dame nicht zu meinen Favoritinnen jedoch war ich von ihrer bemerkenswerten Leistung freudig überrascht und zolle ihrem Engagement hohen Respekt. In vorzüglicher Gestaltung erschloss sich Frau Yoncheva ein bewegendes Frauenportrait der Opernliteratur, beeindruckte zudem mit einer individuellen Vocalise, führte nachdrücklich vor, wie ausdrucksstark in nuancierten Gegensätzen diese Partie ausgelotet werden kann, wenn man sich traut, das Berühren stimmlicher Grenzen ganz bewusst einzusetzen. Der Sängerin gelang so eine tiefgehende bewegende Interpretation, dank ihrer Atemtechnik ebenso wunderschöne Piani bei Casta diva oder zur finalen Bitte Deh!Non volerli vittime. Vortrefflich vertiefte Yoncheva die Fähigkeiten im Weben lyrischer Legatobögen, beweglicher Koloraturketten, neben den Einsätzen schonungsloser Dramatik-Attacken während Duetten und atemberaubenden prestissimo Finali.
Variabel, warmgetönt, herrlich strömend in dunklen Farben floss der ruhig ganz auf Atem geführte Mezzosopran der exzellenten Karine Deshayes dahin. Ohne jegliche Mühen erfüllte die sympathische Sängerin den anspruchsvollen Part der Adalgisa, war zudem Norma die darstellerisch mitfühlende Freundin und brachte ebenso den Zwiespalt ihrer Gefühle glaubwürdig über die Rampe. Herrlich erblühte ihre Stimme bei Sgombra é la sacra im Wohlklang der kräftigen, schön timbrierten Mittellage auch selbst während der dramatischen Momente und expressiven Höhen-Anflüge auf. Mit dieser exemplarischen Leistung avancierte Deshayes zum Publikum-Liebling und heimlichen Star des Abends.
Fehlte dem Spinto-Tenor Stefan Pop zwar das durchschlagende Stimmvolumen verstand es der rumänische Sänger bestens sein lyrisches italienisch gefärbtes Material allmählich steigernd einzusetzen. Klangschön entfaltete sich sein Timbre, erstrahlte sein Tenor während der Höhenflüge des Pollione und bot seinen Partnerinnen bemerkenswert Paroli während den Duetten und Terzetten.
Auftrumpfend mit hellem, keineswegs schönem Bass verlieh Alexander Vinogradov dem Oroveso imponierende Autorität. Kristina Klein (Clotilde) sowie Marin Yonchev (Flavio) gaben den kleinen Nebenrollen ihre Stimme. Aufgereiht präsentierten sich die Herren vom Chor der Bühnen Bern vor dem Orchester, die Damen fügten sich in seitlicher Aufstellung neben dem Instrumentarium dazu und formierten sich in ausgezeichneter Klangqualität zu optimaler Präsenz.
Bereits die ersten Takte ließen das Gelingen eines musikalisch aufregenden Opern-Abend erahnen. Mit Esprit, schäumend wie Champagner, wunderschönen elegischen Tongebungen erklang die Ouvertüre, markant-temperamentvolle Akzente setzte Maestro Domingo Hindoyan mit dem prachtvoll aufspielenden Gstaad Festival Orchestra. Der in Caracas geborene, international renommierte Gast-Dirigent und Chef europäischer sowie amerikanischer Elite-Orchester entlockte mit wenig Gestik, jedoch hochmusikalischem Gespür dem bestens in allen Gruppen disponierten Schweizer Klangkörper belkantische typische Italiana wie sie nördlich der Alpen selten zu vernehmen ist und war dem Gesangsensemble ein kongenialer Partner.
Foto: Michael Gregonowits
Ein Abend der Sonderklasse fand viel zu früh sein berauschendes Ende und alle Beteiligten wurden dankbar und begeistert mit Bravo-Chören und tosendem Beifall gefeiert.
Gerhard Hoffmann