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BADEN-BADEN/ Festspielhaus: MARIINSKI-ORCHESTER, VALERY GERGIEV und DANIIL TRIFONOV

Glühende Klangfarben und feurige Glut

23.07.2018 | Konzert/Liederabende


Daniil Trifonov und Valery Gergiev bzw. das Mariinski-Orchester. Copyright: Manolo-Press/Michael Bode

Das Mariinski-Orchester, Valery Gergiev und Daniil Trifonov im Festspielhaus Baden-Baden. 22.7.2018

GLÜHENDE KLANGFARBEN UND FEURIGE GLUT

 Ein rein russisches Programm präsentierte der erfahrene Dirigent Valery Gergiev im gut besuchten Festspielhaus. Über Alexander Skrjabins vierte Sinfonie „Le poeme de l’extase“ op. 54 echauffierte sich einst Nikolai Rimsky-Korssakoff und bezeichnete sie als „obszöne Musik“. Dieses „Lied der Verzückung“ dirigiert Gergiev aber anders als andere Dirigenten, er beachtet nicht nur Rubato-Akzente, sondern arbeitet auch die tranceartigen Passagen meisterhaft heraus. Mit feuriger Glut und  Pathos werden hier die erotischen Situationen beschrieben, die aber auch sehr stark kosmische Momente einschließen. Darauf legt Gergiev großen Wert. So präsentiert er mit Präzision ein genaues Elektrokardiogramm, das die Gefühlsregungen in harmonisch vielschichtiger Weise offenlegt. Das Flötenmotiv erinnert deutlich an Wagners „Tristan“, andere Motive kommen hinzu und bieten eine schillernde Skala. Skrjabin hat diese Partitur unter das Motto „Erhebt euch, ihr Elenden der Erde“ stellen wollen. Und so wirkt das Werk unter Gergiev auch: Hier erhebt sich ein ungeheurer erratischer Block aus dem Nichts.

Sehr überzeugend interpretiert anschließend Daniil Trifonov (Klavier) das zweite Klavierkonzert in c-Moll op. 18 von Sergej Rachmaninow. Aus den beiden Themen, aus denen sich der erste Satz nach den wuchtigen Einleitungsakkorden entfaltet, erwächst Rachmaninows Tonsprache bei dieser Wiedergabe in ekstatischen Farben. Das Mariinsky Orchester musiziert unter Gergiev aus einem Guss und voller Emotionen. Der zweite Satz greift hier ausladend die lyrischen Reserven des zweiten Themas auf. Und die rhythmischen Energien explodieren in gewaltiger Weise beim prachtvoll gesteigerten Finale Allegro scherzando. Da entfaltet Trifonov tausend Kaskaden und Arabesken mit exzellenter Akribie. Als Zugabe war noch eine Piece von Robert Schumann zu hören.

Von Franz Liszts pompöser Tonsprache der „Dante“-Sinfonie deutlich beeinflusst ist Alexander Skrjabins dritte Sinfonie c-Moll op. 43 „Le Divin Poeme“, wo Valery Gergiev vor allem die Bläser-Kaskaden in hervorragender Weise glänzen lässt. Debussy und der Impressionismus sind hier nicht zu überhören, das Mariinsky Orchester fasziniert mit klanglicher Durchsichtigkeit. Obwohl meist eintaktige Motive einen breiten Themenfluss verhindern, kommen die melodischen Schönheiten dieses Werkes in den einzelnen Sätzen bei dieser geglückten Wiedergabe voll zum Vorschein. Dabei gelingt es dem Dirigenten, einen riesigen Bogen über die drei Teile „Kämpfe“, Genüsse“ und „Göttliches Spiel“ zu spannen. 


Valery Gergiev und das Mariinski-Orchester. Copyright: Manolo-Press/Michael Bode

Krönender Abschluss dieses Konzerts sind Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, wo das Mariinsky Orchester aus dem Vollen schöpfen kann. Die Orchesterbearbeitung von Maurice Ravel gilt auch hier als erfolgreichste Version. Die kuriosen Verrenkungen des „Gnomus“ kommen unbeholfen sprunghaft daher, während die elegische Monotonie des alten Schlosses schroff erklingt. Wie in Pastelltönen spielen dann die Kinder vor den Tuilerien – und die russische Volksweise „Bydlo“ prägt sich tief ein. Zart und zerbrechlich wirkt dagegen das „Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen“. Und der groteske Dialog zwischen einem reichen und einem armen Juden besitzt viel Charakterisierungskunst. Als rastloses Scherzo kommt der „Marktplatz in Limoges“ daher, während die dunklen Klänge der „Katakomben“ gespenstisch nachklingen. Das „Promenade“-Thema blitzt grell auf. Gergiev agiert hier als großer Meister des Klangfarbenreichtums. Wilde Staccato-Attacken prägen den unheimlichen Gespensterritt der Hexe bei „Die Hütte der Baba Yaga“ – und beim „großen Tor von Kiew“ lässt sich der unglaubliche dynamische Spannungsbogen des Mariinsky Orchesters nicht mehr überbieten. Eine goldschimmernde Kathedrale grüßt das Publikum majestätisch. Es gab zuletzt stehende Ovationen für dieses Meister-Orchester, aber keine weiteren Zugaben. 

Alexander Walther

 

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