Baden-Baden / Festspielhaus: „JAN LISIECKI – BERLINER PHILHARMONIKER – TUGAN SOKHIEV“ – 24.03.2024
Zu den „Osterfestspielen 2024“ im Festspielhaus war erneut das Elite-Orchester Berliner Philharmoniker geladen, spielt(e) dreimal „Elektra“ von Richard Strauss sowie fünf Konzertabende. Der festliche Konzert-Auftakt oblag Jan Lisiecki dem kanadischen Pianisten welcher gestern seinen 29. Geburtstag feierte, begleitet von den Berliner Philharmonikern unter der Stabführung des russischen Dirigenten Tugan Sokhiev.
Foto: Monika Rittershaus
Zur Eröffnung des vortrefflichen Konzertabends musizierten die Gäste das „Klavierkonzert Nr. 3“ von Ludwig van Beethoven, der junge Pianist meinte über den Komponisten Beethoven ist, ich will nicht sagen wütend, aber sehr drängend. Dem noch relativ jungen jedoch bereits sehr erfahrenen Pianisten von internationalem Renommee begegnete ich schon mehrmals und immer wieder verstand er es, mich aufs Neue zu begeistern. Mit beherztem Anschlag eröffnete Lisiecki das Allegro con brio, vereinte beherrscht die „maskulin“ wirkenden charakteristischen Hauptgedanken mit den „feminin“ konträren innigen Themen des ersten Satzes. Großartig, nein hinreißend harmonisierten Piano und Orchester im lebensvollen Dialog der Partitur, welche bereits die Vorstufe zur „Eroica“ erahnen lässt. Voluminös, klar im Anschlag zu beispielhafter Fingertechnik perlten die strukturellen, den Ansätze, der kraftvollen Kadenz verlieh Lisiecki atemberaubende Virtuosität gleich einem Kaskadenfeuerwerk.
Tonal rein erhob sich das Largo in seiner dreiteiligen Formation von der ersten Grundstimmung ab. Feinste Schattierungen, zarte Empfindungen, nuancierte Phrasierungen verschenkte der exzellente Pianist in stilistischem Raffinement. Dem Hörer erschloss sich ein Kaleidoskop entfesselter Töne von umgesetzten Spiegelungen und Effekten. Lisiecki sprang mit überwältigender musikalischer Souveränität von einem Idiom zum Nächsten.
Im lebhaften Rondo schienen die Geister in übermütiger Freude entfesselt, im dialogischen Wechselspiel zwischen Solist und Orchester herrschte eine Unität auf hohem Niveau und wurde in pointierter Akzentuierung dargeboten. Tugan Sokhiev am Pult der in jeder Phase prächtig musizierenden Berliner Philharmoniker bereiteten geradezu überirdisch anmutende Musikwonnen. Den Solisten schien es im Finale in brillanter Perfektion fortzureißen. Eine absolute musikalische Sternstunde, vom Publikum frenetisch gefeiert.
Jan Lisiecki bedankte sich für die Ovationen mit dem traumhaft sphärisch interpretierten „Prelude op. 28 Nr. 15“ (Chopin).
Nach der Pause erklang wiederum ein besonderes Highlight die „Siebte Symphonie“ von Anton Bruckner, welcher ich in schier unbändiger Erwartung sowie großer Freude entgegen fieberte, alle Stimulationen wurden erfüllt bzw. überreich belohnt. In keiner Weise, so hatte ich den Eindruck, versuchte sich Tugan Sokhiev als Neuerer, sein Bruckner-Stil blieb stets Traditionen treu quasi der Partitur verpflichtet.
Der versierte Dirigent schien sich während des Allegro moderato mehr auf die Struktur der Klangarchitektur zu konzentrieren, wobei er allerdings nahmen es meinen Ohren gewahr die Partitur einer gewissen Instrumental-Analyse unterzog, somit den sinfonischen Klangfluss etwas schmälerte. Differenziert entwickelten sich die Spannungen zwischen zart eingefangenen Piani und bezwingenden Tutti-Gipfeln in noblem Vortrags-Aufbau. Grandios hingegen fächerte Sokhiev mit den prächtig disponierten Berliner Philharmonikern die kompakte Palette des Brucknerschen Mysteriums auf, animierte u.a. die brillanten Bläserfraktionen zu atemberaubender Präzision und überschäumender Musizierfreunde.
Sehr bewegend, überreich an Emotionen erklang das Adagio, welches Bruckner beeinflusst erschüttert über Richard Wagners Tod komponierte. In dessen Zentrum nicht nur die harmonische Grundeinstellung zwischen Tonika und Dominante basierten, sondern auch Dimensionen diverser Melodiemodelle verknüpft erschienen. Damit wurde der formale Aufbau der Infiltration von einfachem Rondo- und Sonatensatz dermaßen akustisch verschleiert, dass der Zuhörer ein emotional motiviertes Klangbild von überwältigender Schönheit zu vernehmen glaubte, welches natürlich unweigerlich unter die Haut ging. Breit steuerte der Dirigent diesen Gänsehaut erzeugenden Satz dem Höhenpunkt entgegen, diese Musik bewegte, strebte zum Himmel empor und offenbarte den phantastischen Kosmos des Melodienreichtums dieser Komposition aufs Wunderbarste.
Schemenhaft fast disharmonisch wirkten die Mischklänge des Scherzo beim Miteinander der Violinen und dunklen Streichern, der Flöten im kalkulierten Überschwang und dennoch atmete das komplexe Musizieren einen Hauch von luftiger Leichtigkeit. Immer wieder überraschte die hohe frappierende Qualität des Berliner Klangkörpers aufs Neue und präsentierte sich im akustischen Gesamtbild zum musikalischen unübertrefflichen Hochamt dieser traditionsreichen Institution von Weltformat.
Lebendig im Ausdruck, vorwärts drängend fügte Tugan Sokhiev im Finale die harmonischen, thematischen Tendenzen Bausteinen gleich zur alles überstrahlenden Homogenität der gesamten Symphonie-Entwicklung zusammen. Konzentriert in bestem Sinne mobilisierte der sensible Dirigent sein hervorragendes Instrumentarium nochmals im orchestralen Pomp zu bedeutungsvoller Prachtentfaltung. Ohne sekundäre Besinnungspause entlud sich relativ kurz aber sehr heftig die lautstarke Begeisterung des Publikums..
Gerhard Hoffmann