Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BADEN-BADEN/ Festspielhaus: „DANIIL TRIFONOV-MARIINSKY ORCHESTER- VALERY GERGIEV“

23.07.2018 | Konzert/Liederabende


Valery Gergiev und das Mariinsky-Orchester. Copyright: Manolo Press/Michael Bode

Baden-Baden: „DANIIL TRIFONOV-MARIINSKY ORCHESTER-VALERY GERGIEV“ – 21.07. + 22.07.2018

Eingebettet zwischen zwei Aufführungen der Verismo-Oper „Adriana Lecouvreur“ präsentierte das Festspielhaus im Rahmen seiner Sommerfestspiele 2018 das Orchester des Mariinsky Theaters St. Petersburg unter der Leitung von Valery Gergiev mit zwei elitären Konzerten. Solist war der renommierte Pianist Daniil Trifonov. Als Folge einer Fußverletzung während eines Fahrrad-Unfalls in New York sagte Trifonov zuvor Konzerte in der AOF ab, wohl noch nicht ganz intakt, hat der Künstler offensichtlich noch Probleme mit dem Klavier-Pedal-Usus (lt. Presse-Bulletin) und stellte somit die Programm-Abfolge an beiden Abenden um.

Somit servierte Daniil Trifonov erfreulicherweise eine in Konzerten eher selten gespielte Rarität das „Klavierkonzert fis-Moll“ von Alexander Skrjabin aus der ersten Schaffensperiode des russischen Komponisten. Nach den knappen Ansatzmotiven vermittelte Trifonov den Geist dieser Musik nicht nur konkret in die Tasten gewuchtet, sondern eher improvisierend in ausgewogenen Arabesken durchleuchtend. In eleganter Fingerfertigkeit entfachte der junge Pianist das triebhaft lodernde Feuer in Skrjabins Klavierwerk, formte das Allegro zum nuancierten Farbenspiel.

Valery Gergiev am Pult des klar präzise aufspielenden Mariinsky Orchesters setzte begleitend auf sonoren Klangrausch und luxurierendes Timbre dieses famosen Klangkörpers. Zwei symphronistische Intellektuelle fanden sich auf wunderbare Weise, anders lässt es sich nicht beschreiben. Trifonovs Rezitative wirkten teils delikat versonnen, dann wieder gleich Wellen hereinbrechend und vermittelte so pianistisch umweht dem Andante strömenden Fluss.

Ohne Hektik im solistisch permanenten Werden, schier sphärischen Ergehen erklang das

Allegro moderato. Derartige Phrasen verdeutlichten spürbar, dass reservierte Intensität eindringlich mehr wirken mag als knallige Überproportion.

In überschäumender Begeisterung wurde die vortreffliche Interpretation gefeiert.

Mit dem seltener gespielten Werk ebenso in „fis-Moll“ nämlich dem „Ersten Klavierkonzert“ von Sergei Rachmaninow beglückte Daniil Trifonov die Zuhörer im Festspielhaus eines Weiteren. Im Alter von 16 Jahren begann der Komponist mit der Arbeit zu seinem ersten Klavierkonzert, legte sie aber wieder bald zur Seite um es zu einem späteren Zeitpunkt zu vollenden.

Melodisch zeigt auch dieses Werk bereits unverkennbar die wesentlichen Züge des russischen Meister-Komponisten und muss sich keineswegs vor seinen drei Geschwistern verstecken. In lebendiger Frische, durchweg raschen Tempi begegnete Daniil Trifonov emotionell, energisch mit rhythmischem Biss dem Vivace. Räumliche Weiten, sehnsuchtsvolle Akkorde mit dem Gespür für elegische Zwischentöne schenkte der Pianist dem folgenden Andante zum prächtig intonierten farbintensiven Klangbild vorzüglich von Valery Gergiev mit dem St. Petersburger Klangkörper untermalt. Konstruktiv quirlig öffnete sich das finale Allegro, dominierend in äußerster Virtuosität führend schenkte Trifonov diesen Satz eine besondere Klangdichte und rauschhafte Transparenz.

Die Begeisterung schlug hohe Wellen und der Solist bedankte sich mit den wunderbar interpretierten „Bunte Blätter“ (Schumann).

Zwischen beiden Instrumental-Konzerten eingebettet erklang ein symphonischer Gigant und zwar die „Zweite“ Rachmaninows. Hatte ich wenige Tage zuvor das genussvolle Vergnügen das Werk mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Sir Antonio Pappano zu erleben, war ich umso mehr auf die (authentische?) Wiedergabe mit einem russischen Orchester gespannt. Beim Ablauf des monumentalen Werkes könnte sich so manchem Zuhörer der Gedanke aufgedrängt haben, ob er da nicht Music minus one hörte? Nämlich ein eventuelles Klavierkonzert, zudem ja die melodisch-akustische Ähnlichkeit nahe lag.

Wie denn auch sei, mich riss bereits die exzellente Spielweise, die orchestrale Präzision des Mariinsky Orchesters bereits während des ersten Satzes (salopp formuliert) regelrecht vom Hocker. Ob nun zur lentamenten Intonation der Violinen oder die famos aufspielenden Blechformationen dieses Klangkörpers den Modus der variierten durchziehenden Themen anstimmten, gleich man erlag sofort dem weitausschwingend musizierten Balladenton.

Im kurzen Scherzo- Allegro offenbarte Gergiev die schroffen Wechsel von grimmiger Leichte und verhaltener Resignation zum geistvollen Charakter der kontrastreichen Instrumentierung des brillanten Fugato.

Zum gefühlvollen Adagio schwelgten traumhaft die Geigen, die Klarinetten führten melodisch den Substanzkern fort um sich sodann zur Largo-Einleitung in rauschhafte Klanglyrik zu steigern. Standen den gewaltigen Intentionen der Bläser auch die weichen Klänge der Streicher in nichts nach, entfalteten sie sich doch im Gesamten des sich immer wieder steigernden virtuos aufspielenden Orchester jenen unverkennbar, typischen unwiderstehlichen Rachmaninow-Narkotikum zu prächtiger tonaler Schönheit.

In ekstatischen Ausbrüchen von zündender Kraft führte Valery Gergiev die orchestralen Wege, einer Befreiung gleich aus dem Dunkel einer Reise in funkelnde Instrumental-Couleurs der blühenden Melodien des Allegro vivace. Zwangsläufig stand der weiche Streicherklang im Vordergrund, melancholisch meldete sich die Klarinette zu Wort in unvergesslicher Weise der Resignation. Ausladend, überbordend, sich rhythmisch überwältigend steigernd, melodisch reizvoll trieb Maestro Gergiev die Orchestergruppen zielstrebig in die Apotheose der finalen Hymnik.

Das Publikum zeigte sich außer Rand und Band und bedachte die russischen Gäste mit langen Beifallsstürmen.

 

22.07.

Ein weiteres Brillantfeuerwerk mit ausschließlich Werken russischer Komponisten zündeten die St. Petersburger Gäste wiederum am nächsten umjubelten Konzertabend, in dessen Mittelpunkt das „Zweite Klavierkonzert“ von Sergei Rachmaninow stand. Wurde mir bereits vor drei Jahren das Glück zuteil, Daniil Trifonov als Newcomer am Pianisten-Himmel damit zu erleben, war es für mich umso interessanter den inzwischen zum Meisterpianisten avancierten Solisten in seiner Progression zu verfolgen. Und wie es der Tastenzauberer heute spielt, in jeglicher nur wünschenswerten Perfektion!

Zum Wohle dieses Ohrwurms verzichtete Trifonov vor allem auf spektakuläres Auftrumpfen zu Gunsten eines vorbildlich kontinuierlichen, geschmeidig-dichten Musizierens. In schönsten warmen Couleurs, transparent und dennoch knackig präsentierte der Pianist das Moderato. In feinsten Details, schier traumwandlerisch versonnen gespielt erklang das Adagio und offenbarte auf wunderbare Weise die manuelle Souveränität Trifonovs, seinen Sinn, sein Empfinden die große Linie Rachmaninows Noblesse umzusetzen.

Dazu verstand es Valery Gergiev wiederum mit dem prächtig musizierenden Mariinsky Orchester die feingliedrigen Konturen, die dunklen Farben, den herrlichen melodischen untermalenden instrumentalen Samt-Sound zu produzieren.

Eine Aura des Geheimnisvollen, die dunklen Leidenschaften der Komposition akustisch zu zaubern wurde dem finalen Allegro scherzando zuteil. Bar so viel umwerfender Tastenakrobatik, technisch einwandfreier perfekter Instrumental-Kaskaden stockte einem schier der Atem. Man fühlte sich an so manche Künstler der Vorgeneration erinnert, welche ähnlich vollgriffig und energisch die Seelenbezirke des Komponisten ausleuchteten.

Ein Bravosturm wehte den genialen Interpreten entgegen und wurde vom dankbaren Solisten mit der sensibel und markant musizierten „Bunten Blättern“ wie am Vorabend bedankt.

Von drei interessanten symphonischen Werken wurde das elitär dargebotene Solo-Konzert umrankt: „Bilder einer Ausstellung“ (Modest Mussorgski) gliedern sich in zehn Abschnitten des befreundeten Malers Viktor Hartmann zu musikalischen Interludien, in welchen sich der von Bild zu Bild bewegende Betrachter bzw. Hörer sich seinen Gedanken über das jeweilige Faktum hingibt. Als ursprünglicher Auftakt vorgesehen setzte man die „Bilder“ nach der zweiten Pause als Finalpunkt des gigantischen Konzertabends.

Süffisant verband Gergiev die Orchestergruppen seines exzellenten Klangkörpers und kostete so jenes köstliche Scherzo Der Tanz der Küken in den Eierschalen in schwebender Leichte aus. Piepsig erklang die bissig-parodistische Karikatur Samuel Goldberg und Schmuyle. Das erbarmungslose vulgäre Geschnatter keifender Marktweiber vom Marktplatz von Limoges orchestrierte der Dirigent zur feinsinnigen musikalischen Delikatesse, einem Perpetuum mobile gleich.

In konstruktiver Tonsprache partikulärer Tonintervalle erzielte Gergiev mit seinem Orchester besonders klangvolle faszinierende Resultate u.a. während der schauerlichen Akkorde zu Katakomben, dem wilden Hexenritt zur Hütte der Baba Yaga. In gebündelter Instrumental-Homogenität und illustrativer Dynamik erklang der Einzug in Das große Tor von Kiew und forderte den starken Beifall geradezu heraus.

Zwei weitere illustre Werke von Alexander Skrjabin standen noch auf dem umfangreichen Programmzettel der St. Petersburger. Der Geist, der im Höhenflug der Begeisterung eine Zauberwelt wundersamer Gestalten erschafft, erfährt im Kampf mit Widerständen seine göttliche Allmacht, die die Welt zur Erlösung, zur Ekstase zu rufen vermag – stand auf Skrjabins Titelblatt seiner Symphonie Le Poéme de l´Extase.

Phänomenal interpretierten Gergiev und sein Mariinsky Orchester diese „Erste Symphonie“ des russischen Komponisten in eindringlicher, differenzierter Spielkultur. Fein artikulierten sich die solistisch musizierenden Holzbläser zu kumulierender Wirkung. Wundervoll intonierte die Solo-Trompete den anspruchsvollen Part des Poéme kammermusikalisch-intim wie ekstatisch aufgeregt und im vortrefflichen Miteinander fanden sich alle Vokalstimmen zum schillernden Finalsatz und trugen in den sinfonischen Duktus der Musik gewissermaßen menschliche Wärme und Gefühle hinein.

Le Divin Poéme, die „Dritte Symphonie in c-Moll“ bildete einen weiteren krönenden Höhepunkt des wunderbaren, abwechslungsreichen Konzertabends. Jenes russischen „Novatoren“ welcher übernationale Tendenzen vertrat, mit seinen Werken den Anschluss an das Schaffen des Westens suchte. In seinem Drang, die feinsten seelischen Schwingungen und Empfindungen im Kunstwerk musikalisch zu spiegeln, gelangte Skrjabin besonders mit diesem Werk zu mystischer Überromantik.


Daniil Trifonov, Valery Gergiev und das Orchester. Copyright: Manolo-Presse/ Michael Bode

In meisterlicher Versiertheit brachte Valery Gergiev dieses musikalisch ausgeklügelte System von Quartenintervallen bereits im Lento, divin grandiose zum Klingen. Anmutig wie während eines Waldspaziergangs zwitscherten Vögel in den Zweigen, der herrliche Klangkörper erwachte im Lento sublime zu instrumentalem, in Noten gefassten Naturschauspiel.

Elegisch, sphärisch, transparent säuselten die Violinen, sinnlich, räumlich konzipierten sich die satten Celli und in mitreißender Dynamik und technischer Bravour formierten sich die Blechsegmente in gigantisch-erregender Polyrhythmik zum prächtigen Gesamtklang und steuerte im Jeu divine – Allegro dem brillanten Finale entgegen. Alle Sinne wurden bar dieser überirdisch noblen Eleganz des Musizierens auf jede nur denkbare Weise gereizt und versetzten die Zuhörer in einen rauschhaften Zustand der Verzückung, welcher sich sodann in einem Tsunami der Begeisterung entlud.

Beglückt bar so viel herrlicher Musik in elitärer Perfektion interpretiert ließen unhöfliche Unarten vor den jeweiligen Opern- und Konzert-Events schier vergessen. Pünktlichkeit gilt als Höflichkeit von Königen – bei Maestro Gergiev jedoch weit gefehlt! Seit Jahren wurden seine Verspätungen von 10-20 Minuten zur Gewohnheit, zur regelrecht divenhaften Manie. Seltsamerweise nicht andernorts mit „seinen Münchnern“, sie schienen IHN Pünktlichkeit zu lehren! Ein unruhiges Publikum begann schon mal nach zehnminütiger Wartezeit entnervt zu klatschen, ohne Wirkung blieben die Rufe bisher verhallt. Dienen derartige Meriten dem Ruhme eines gewissenhaften Künstlers?

Gerhard Hoffmann

 

 

Diese Seite drucken