Okka von der Damerau, Elena Stikhina. Foto: Andrea Kremper/ Festspiele
Baden-Baden: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“
Konzertante Aufführung 18.05.2018
Sänger sind nun mal keine Automaten sondern Menschen mit allen Vor- und Nachteilen und gegen Infekte keineswegs gefeit. So traf es nun den Titelhelden Bryn Terfel, der kurzfristige Ersatz John Lundgren erwachte am Vormittag „ohne Stimme“ – seltsam den beiden Herren war wohl die gute Luft des nördlichen Schwarzwalds nicht bekommen? Nun war guter Rat teuer und wenige Stunden vor der Vorstellung erreichte der 2. Ersatz Albert Dohmen das Festspielhaus an der Oos, das Pfingst-Fest-Spiel konnte beginnen!
Vor genau zehn Jahren ging hier „Der Fliegende Holländer“ (Richard Wagner) szenisch mit dem Mariinsky-Theater unter Valery Gergiev über die Bühne, heute leitete der russische Maestro „sein“ Orchester die Münchner Philharmoniker. Spannungsvoll leitete Valery Gergiev das hochmotivierte in unglaublicher Präzision aufspielende Orchester durch die Partitur, man kann ohne Übertreibung das Erlebte mit einem Wort umschreiben „atemberaubend“! In autoritärem Überblick strukturierte der Klangmagier die musikalischen Gefühlswelten in Transparenz, Ruhe und dennoch voll innerer Spannung gepaart in emotioneller Ausdruckskraft und höchster Individualität welche besonders im Erlösungsmotiv des Finales eine hoffnungsvolle Atmosphäre vermittelte.
Samtweiche Streicher girrten schmeichelnd im Gehör, geballte Bläserexpressionen erschreckten nie zu explosiven instrumentalen Eruptionen, nein hier war einfach faszinierendes Musiktheater in orchestraler Vollendung zu erleben und ließ eine optische Szene gänzlich vergessen, zudem die sich alle Protagonisten in Kenntnis der Materie (im Gegensatz manches Regisseurs) darstellerisch dezent entfalteten. Kein Wunder, dass sich die Schar in derart elitären Wohlklang gehüllt, zu vokalen Glanzleistungen animiert fühlten.
Das Debüt der jungen russischen Sopranistin Elena Stikhina in Baden-Baden dürfte schlichtweg als sensationell gelten. In lyrischer Intonation entfaltete sich das herrliche Timbre der traumhaft schönen Stimme, berührte mit lyrischem Charme der Piani, während der Duette, beeindruckte mit umwerfender Legatokultur und dramatischen Aufschwüngen bei der Ballade. Zum warmen Schönklang der Mittellage gesellten sich glockenreine engelhafte Höhen gepaart in unglaublich hervorragender Artikulation und der optisch mädchenhaften Aura. Zum faszinierenden Hörerlebnis fernab des sonst gewohnten Klangbildes hochdramatisch-voluminöser Sentas erschien die graziöse Sängerin, gleich dem Konterfei „Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten“.
Wenn Günther Groissböck singt erstrahlt die Sonne in goldenem Glanz! Wie viel Belkanto in Wagner steckt, demonstrierte der junge Sänger höchst plastisch mit seinem herrlich timbrierten, technisch höchst intelligent geführten Bass. In trefflicher Artikulation erklang der jugendliche Daland, Groissböck schenkte seinem prächtigen Material sonore Tiefen und edelmetallisch-glänzende Höhenwonnen. Das Publikum war hingerissen und überschüttete verdient Vater und Tochter mit dem Löwenanteil der Bravostürme.
Als Luxusbesetzung des Steuermanns sang sich Benjamin Bruns ebenso in die Herzen der Zuhörer. Vorzüglich grundiert voll tenoralem lyrischem Elan, wunderbarem Timbre und strahlendem Höhenglanz versah der sympathische Sänger den viel zu kleinen Part.
Zur stattlichen Präsenz Eric Cutlers hatte man einen vokal kräftigen Jägerburschen erwartet, doch klang die Stimme des amerikanischen Tenors mehr lyrisch denn männlich-kernig, dessen Strahlkraft sich während der Traumerzählung angenehm entfaltete, jedoch zur Liebesbeteuerung Eriks im dritten Aufzugs merklich an Glanz verlor.
Mit hellem Mezzoklang gab Okka von der Damerau der Mary imposantes Profil. In Klangschönheit wunderbar detailliert , vortrefflich ausbalanciert formierten sich die Damen des Philharmonischen Chors München (Andreas Herrmann) zum Spinnerinnenchor, sonor markant in rhythmischer Raffinesse gesellten sich die Männerstimmen zu den von Gewitter und Sturm umbrausten Vokal-Elementen.
Den Status des kurzfristigen Einspringers in Ehren! Aber vokal konnte Albert Dohmen als Titelheld inmitten der vorzüglichen Sänger-Riege nicht mithalten, die langen Irrfahrten über die Weltmeere forderten ihren Tribut, versahen das solide Potenzial seines Bassbaritons jenseits des Zenits mit hörbarer Patina.
Das Publikum dankte ihm mit herzlicher Anerkennung und feierte das Ensemble zehn Minuten mit prasselndem Applaus, Bravochören und Standing Ovation.
Gerhard Hoffmann