Baden-Baden: „CHRISTIANE KARG – GEWANDHAUS ORCHESTER LEIPZIG – ANDRIS NELSONS“ – 07.03.2025
Einer der traditionsreichsten Klangkörper des europäischen Kontinents das Gewandhaus Orchester Leipzig unter der Stabführung seines Gewandhaus-Kapellmeisters Andris Nelsons gab sich im Festspielhaus die Ehre, schenkte dem Auditorium einen Konzertabend der Sonderklasse in dessen Mittelpunkt die „Vierte Symphonie“ von Gustav Mahler eine glanzvolle Interpretation erlebte. Mir erschien das Werk nach bisher zahlreichen Live-Erlebnissen einer himmlischen Offenbarung gleich.
Ich wähnte Andris Nelsons schien die Mahler-Partitur wörtlich zu lesen, statuierte sogleich zu Beginn ein Exempel der besonderen Art: Die Schellen verklangen in angeschlagenen Tempi, das Orchester stellte sich unverzüglich auf das Ritardando ein, zwei Welten trifteten auseinander. Weich grazioso entfalteten sich die Violinen zum sanglichen Seitenthema der herrlich satten Celli, vereinten sich zu berauschendem Gesamtklang des prächtig aufspielenden Instrumentariums zum heiter dahin musizierten Sonatensatzthema dem Lob der Freuden des Diesseits und Jenseits! Die Tempi der Mikrostruktur dieser genialen Partitur schnell bzw. langsam kostete Nelsons in feinsten dynamischen Nuancen vortrefflich aus. Immer wieder aufs Neue faszinierte mich die akkurate umwerfende Klangkultur, die ausgefeilten solistischen Instrumentierungen, die bestechende Perfektion der Bläserfraktionen, der transparente Seidenklang der Violinen und Celli des hochqualifizierten außergewöhnlichen Orchesters. Last not least – der Umgang des smarten liebenswürdigen Dirigenten mit seinen spielfreudigen hochkonzentrierten Musikerinnen und Musikern.
Thematisch spielte die „verstimmte“ Geige köstlich jedes Crescendo im Scherzo des zweiten Satzes aus, zur Melodie „Freund Heins“ animierte sie heiter zum Tanz. Einige grelle groteske Momente verirrten sich spukhaft ins Geschehen, changierten in flüchtigen Anklängen zwischen Ausdruckscharakteren des Unheimlichen und dem Idyllischen.
Im ruhevollen Poco Adagio einer Folge aus zwei Themen geleitete die Zuhörerschaft endgültig ins akustische Paradies! Sensibel, sehr ruhig fließend erklangen die elegischen Streicher in klagendem Moll, welches vorweg den vortrefflich disponierten Bläsern anvertraut, traumhaft erklang. Kunstvoll einfühlsam breitete Andris Nelsons diesen berauschenden Klangteppich von so großer suggestiver Aussage in aparter Harmoniefolge aus. Einer Verheißung gleich erstrahlten wiederum die Motive der vorherigen Sätze um sodann in einer geheimnisvollen Vision zu verweben.
Optisch hinreißend, graziös gleich einem Wesen aus höheren Sphären erschien Christiane Karg in glitzernder Robe und kündete mit ihrem wunderbaren silberhellen, kostbaren Sopran vom Genuss der himmlischen Freuden. Fürwahr anmutig wie ihre Gestalt, verschenktete die großartige Künstlerin, wie zuvor in zahlreichen Recitals, jene vokalen himmlischen Wonnen, welche wie verklärt zum Himmel strebten. Nie selten zuvor vermittelte mir eine Sängerin in Verbindung von Ton und Attitüde von Naivität und Transparenz die Textur des himmlischen Lebens. In beispiellosem Einklang geleiteten Solistin und Orchester im finalen Verlöschen der klangvollen Materie in die verklärende Paradiesidylle.
Langes Innehalten, sodann entlud sich die Begeisterung des Publikums für Karg, Orchester und Nelsons.
Als Entree des vorzüglichen Konzertabends ließen die Leipziger Gäste die symphonische Dichtung „Das goldene Spinnrad“ von Antonin Dvorak erklingen. Ein Märchen um Liebe, Verrat, Täuschung, Mord und dennoch finalem Happy End liegt der Volkssage von Karel Jaromir Erben zugrunde. Zu den einleitenden Takten des viersätzigen Tongemäldes torquierte in den Streicherbässen das Spinnrad in pentatonischen Figuren, Hufgetrappel wurde vernehmbar, Hörnerklang kündete die Ankunft des Königs, Streicher, Flöten, Holzbläser markierten in unglaublich wunderbarer Instrumentierung die Natur- und Märchensphären dieses melodienreichen prächtigen Werkes. Andris Nelsons kostete sichtlich vergnügt mit seinem famos disponierten Gewandhausorchester den melodisch-rhythmischen Kosmos der tschechischen Musikwelt unwiderstehlich auf das Vortrefflichste aus und entführte die Zuhörerinnen und Zuhörer in geradezu magische, märchenhafte Klangwelten, entsprechend begeistert gefeiert.
Gerhard Hoffmann