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BAD WILDBAD/Rossini-Festival: IL VESPRO SICILIANO“ (konzertant). Meyerbeer lässt grüßen

25.07.2015 | Oper

Rossini in Wildbad 2015: „IL VESPRO SICILIANO“ (konzertant) 25.7. 2015– Meyerbeer lässt grüßen

 Il vespro siciliano Bad Wildbad 2015 (c) Roxana Vlad L2A5193---
Der Dirigent Federico Longo umgeben von den Protagonisten Sara Blanch, César Arrieta (links) und Dario Russo, Matija Meic (rechts)- Copyright: Roxana Vlad

 Nicht einmal im werkumfassendsten Opernführer von Heinz Wagner, der viele Raritäten berücksichtigt, von denen selbst nur wenige eingefleischte Opernkenner je etwas gehört haben dürften, ist die 1843 in Stuttgart uraufgeführte Historienoper enthalten, ja nicht einmal deren Komponist Peter Joseph von Lindpaintner erwähnt. Wie konnte es nun überhaupt zu einer Ausgrabung dieses Werkes kommen und warum gerade beim finanziell bescheiden ausgestatteten Rossini-Festival in Bad Wildbad?

Zunächst einmal liegt der 1791 in Koblenz geborene und 1856 in Nonnenhorn am Bodensee gestorbene Tonsetzer und Dirigent auf der Schiene des Festivals, neben Rossini unbekannte Werke seiner Zeitgenossen zu präsentieren. Dann ist Lindpaintner nicht irgendeiner, sondern einer jener Musiker, die zur Verbreitung Rossinis in Deutschland maßgeblich beigetragen haben, An der Stuttgarter Oper, wo er trotz zahlreicher Angebote der Musikmetropolen Berlin, Dresden und München 38 Jahre lang bis zu seinem Tod als Hofkapellmeister gewirkt hatte, sind unter seiner Ägide zahlreiche Werke des Pesareser Meisters aufgeführt worden. Offensichtlich in so vorbildlicher Weise, dass Größen wie Mendelssohn und Berlioz das Niveau der damaligen Stuttgarter Einstudierungen wie auch die Qualität des Orchesters als äußerst bemerkenswert und Lindpaintners Stellung als Operndirigent als führend hervorgehoben hatten. Dieser rang aber auch um seine Stellung als Komponist. Nicht weniger als 21 Bühnenwerke verschiedenster stilistischer Ausprägung sind Zeichen der in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts schweren Situation, der deutschen Oper eine eigenständige nationale Form zu geben. Als Vorbild diente ihm ganz besonders Giacomo Meyerbeer in der Verquickung deutscher Harmonik mit dem vom Publikum damals geschätzten Melos der italienischen und der Rhythmik der französischen Oper. Für eine Grand Opéra-Vorlage wie den historisch verbürgten Aufstand der Sizilianer gegen ihre französischen Besatzer im Jahr 1282 bot sich dieses Verfahren geradezu an, zumal den politischen Auseinandersetzungen im Vergleich zu Verdis Oper mehr Raum gegeben ist und dennoch vor diesem Hintergrund private Verstrickungen stattfinden, die Anlass für zahlreiche musikalische Kontraste bieten. Drahtzieher des Aufstandes gegen die Fremdherrschaft ist auch hier Giovanni da Procida, die Partie jedoch trotz ihrer entscheidenden Funktion nicht so großzügig bemessen wie bei Verdi. Dennoch vermag ihr der Bass Dario Russo mit rundum prachtvoller Resonanz und anfangs gewöhnungsbedürftiger, zuletzt aber faszinierend hohler Klangfarbe entsprechendes Profil zu geben. Zwei parallel verfolgte Dreieck-Beziehungen sorgen für häufigen Szenenwechsel. Die zentrale Aufmerksamkeit gilt der Gegnerschaft des königlichen Besatzers Karl von Anjou und des zu seinem Hofstaat gehörenden Graf di Fondi, der für seinen Herrn Eleonora als Braut anwerben soll, dabei aber selbst heimlich mit ihr verheiratet ist. Als Gattin wird währenddessen Eleonoras Zofe Celinda ( Sara Baneras )  ausgegeben. Der zunächst der vermeintlich falschen Anschuldigung wegen vom Hofe verwiesene Marquis Alphonse Drouet zettelt Rache an, indem er mit Aurelia, der Zofe des Grafen, die wiederum mit dessen Page Albino verbandelt ist, eine Liaison beginnt, um sie als Werkzeug zu benutzen, dem König Eleonora als wahre Gräfin bloßzustellen. Di Fondi wird nach Entdeckung der heimlichen Ehe eingekerkert und später durch die inzwischen bereuende und für Eleonora bittende Aurelia befreit. Erst nachdem der König von Eleonora mit seinen gegnerischen Mordtaten konfrontiert wird, die quälende Bilder in ihm heraufbeschwören, verzichtet er zwar auf sie, übergibt sie aber dem wieder begnadigten Drouet zur Hinrichtung, ehe er sich nach Neapel zurück zieht. Procida im Mönchsgewand rettet sie mit Hilfe einer Schar vermummter Anhänger. Bei der Osterprozession macht sie Drouet zwar ausfindig und reißt ihr den Schleier vom Gesicht, doch Fondi töten den Gegner. Die gesamten letzten Minuten gehören dem mit dem Läuten der Glocke ausbrechenden Kampf, aus denen im Gegensatz zu Verdi das sizilianische Volk als Sieger hervorgeht, dem an der Küste eintreffenden als Nachfolger bestimmten Peter von Aragon huldigt und in einem Jubelchor seine hart erkämpfte Freiheit feiert.

Die deutsche Originalfassung des Textes hat Lindpaintners Logenbruder Heribert Rau verfasst, anlässlich der ersten Aufführung seit 1856 (nach dem Tod Lindpaintners wurde das Werk nachweislich nicht mehr gespielt)  wurde auf die schon damals zur leichteren Verbreitung von Wilhelm Häser geschaffene italienische Übersetzung zurück gegriffen. Nicht zuletzt um der unüberhörbaren Italianità, des unleugbar bedachten Ziergesangs und der künstlerischen Ausrichtung von Rossini in Wildbad gerecht zu werden. Die parallele Übertitelung beider Versionen ermöglicht eine objektive Einschätzung des Textes, der zwar für damalige Verhältnisse wenig blumig erschienen sein mag, für heutige Ohren  aber doch hoffnungslos verzopft klingen muss.

Musikalisch gesehen gibt es gute Gründe sich des vieraktigen Werkes zumindest im konzertanten Rahmen zu besinnen, nicht nur, weil Lindpaintner das entscheidende Klavierautograph während einer seiner Kuraufenthalte in Bad Wildbad erstellt hat, mehr noch, weil es neben einigen etwas unbeholfenen Verbindungen von Rezitativen und teilweise abrupt endenden Gesangsnummern und dem bisweilen entstehenden Eindruck, dass trotz vieler gewaltiger Forte-Abschnitte keine wirklich dramatische Schlagkraft erzielt wurde, doch mehrheitlich klanglich stimmungsvolle Phasen vom Strophen-Trinklied über die Ballade bis zur Bravour-Arie mit solistischem Einsatz von Harfe, Oboe, Klarinette und Horn enthält und nicht zuletzt durch sieben in etwa gleichwertige Anforderungen stellende Solo-Partien den Anreiz eines breiten Sängerensemble inkl. umfangreicher Choraufgaben bietet.

Rossini in Wildbad beweist immer wieder, dass es keiner großen Sängernamen bedarf, um solch eine Herausforderung zu stemmen, im Gegenteil so viel hochbegabter Nachwuchs zur Verfügung steht, der einen historischen Schatz so hoch heben kann, dass es immer wieder dazwischen und am Ende der mit zwei Pausen fast vierstündigen Aufführung auf begeisterte Reaktionen stößt.

An der Spitze des Ensembles steht nicht nur rollengemäß der König, auch weil ihm Matija Meic mit kernig fundiertem, in der Höhe vor Pracht strotzendem Bariton und spürbar erfühlter Wort- wie Gesangsexpressivität die erwünschte Autorität sichert. Danilo Formaggia kann ihm als gegnerischer Conte wohl flexible und gehaltvolle jugendlich dramatische Präsenz, aber mit strenger und in der Höhe greller Klangfarbe nichts Gleichwertiges entgegen halten. Kultivierten Belcanto-Gesang mit angenehm weichem Timbre bringt dafür sein tenoraler Widersacher Marquis Drouet durch César Arrieta ins Spiel. Den ausgereiftesten Eindruck hinterlässt, wohl auch bedingt durch ihre Erfahrung mit dramatischen Verdi-Rollen, die Sopranistin Silvia Dalla Benetta. Die Eleonora zeichnet sie mit viel klanglicher Einfühlsamkeit zwischen schwebender Innigkeit und deutlicher Vehemenz als Liebende und Leidende zugleich und schöpft dabei diese Rolle vokal gestalterisch so stark aus, dass eine Identifikation mit ihrer Lage möglich ist. Sara Blanch gewinnt dem Part der Aurelia mit angenehm vibrato behaftetem Sopran und einer leicht zum Klirren neigenden Höhe lebhafte Züge ab, Ana Victoria Pitts vereint sich als Page Albino mit einem dunkel sämigen, in der Höhe noch nicht ganz geschliffenen  Mezzosopran u.a. zu einem harmonischen Duett mit der Geliebten. Carlos Natale lässt als sizilianischer Statthalter L’Étendard einen markanten, im oberen dynamischen Bereich leider nasal werdenden Tenor hören, Daniele Caputo als französischer Edelmann De Bellecour einen schön durchgebildeten, knackigen Bariton und Damian Whiteley als Kerkermeister solistisch nebst seinen Ensemblefunktionen einen spröden aber nachdenklich zu berühren vermögenden Bass. Als sizilianische Edelmänner ergänzen der Tenor Gheorge Vlad und der Bass Marco Simonelli das große Personalaufgebot.

Der nur 22köpfige  Camerata Bachchor Posen erweckte im ersten Akt mit wenig Klangvolumen und entsprechend schwacher Durchschlagskraft noch den Eindruck mit der tragenden Funktion seines Parts überfordert bzw. schlicht und einfach unterbesetzt zu sein, doch nach der ersten Pause und ganz entscheidend im Schlussakt, wo die aufgewiegelte Menge keine Zurückhaltung mehr kennt, wurden plötzlich ungeahnte Kräfte mobilisiert, als ob sich das Ensemble verdoppelt, wenn nicht gar verdreifacht hätte. Anja Michalak hat letztlich eine lobenswerte Einstudierung geschafft.

Dank des antreibenden wie auch um klangliche Detailausschöpfung bemühten Dirigenten  Federico Longo wurden seitens des Festspielorchesters, den Virtuosi Brunensis, viele Impulse der Partitur ausgespielt, wobei die Bläser trotz ihrer solistischeren Positionen mehr Glanz an den Tag legten wie die gelegentlich verwaschenen und hin und wieder etwas müde wirkenden Streicher. Vielleicht lag es auch am gewaltigen Pensum mit letztlich doch zu wenig Vorbereitungszeit fürs Einzelne innerhalb von gut zwei Wochen vier verschiedene Opern zu stemmen- und das noch bei überwiegend zusetzenden Hitze-Temperaturen.

Ob die unter Anwesenheit des Schirmherrn Seiner Königlichen Hoheit Carl Herzog von Württemberg wiedererstandene Historienoper künftig mehr Aufführungschancen haben wird, ist zu bezweifeln, jedoch nicht die lohnende Bekanntschaft mit einem stilistisch bedeutenden Beispiel großer Oper in der Nachfolge Rossini’scher Errungenschaften.

                                                                                                                     
Udo Klebes  

 

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