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BAD WILDBAD/ Rossini in Wildbad: STABAT MATER von G. Rossini

23.07.2022 | Konzert/Liederabende

BAD WILDBAD / Rossini in Wildbad – STABAT MATER
21.7.2022 (Werner Häußner)

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Foto: Häußner

Wohin soll sie führen, die Leidensmystik, die tief empfundene Identifikation mit dem Schmerz einer gequälten, untröstlichen Mutter, die möglicherweise Jacopone da Todi um 1300 verfasste? Ob er der Autor war oder nicht: Der in lateinische Verse gefasste Wille des betenden lyrischen Ich im „Stabat Mater“, Christi Tod und Leiden zu „fühlen wie dein Mutterherz“, passt zu dem exzentrischen Franziskaner aus Umbrien, der mit seinen „Laude“ bis zur Aufgabe jeder Distanz in die Betrachtung der Passion Jesu eintaucht.

Die bis heute tief berührenden Kreuzigungsdarstellungen der späten Gotik haben in solchen Dichtungen und Gebeten ihre geistlichen Wurzeln. Und unter den zahllosen Vertonungen des „Stabat Mater“ nimmt diejenige von Gioachino Rossini einen prominenten Platz ein. Denn in ihr liegen der archaisierende Ton traditionsreicher geistlicher Musik und der emotionale Ausdruckswille der italienischen Opernsprache des Belcanto nahe beieinander. Mehr noch: Rossini – der skeptische Rationalist – duldet keinen Dualismus von „weltlich“ und „geistlich“ in seiner Musik. Er zeigt sich keineswegs als religiöser Analphabet, sondern erfasst, was zumindest eine ernst genommene christliche Glaubenshaltung voraussetzt: Natur und Übernatur, Gott und Mensch, Himmel und Erde durchdringen sich, ungetrennt und unvermischt, wie es das Konzil von Chalcedon für die göttliche und die menschliche Natur Jesu Christi definiert hat.

So widerlegt die opulente Vertonung der frommen mittelalterlichen Dichtung die Bannflüche, die in Deutschland gegen den „wälschen Tand“ geschleudert wurden. Da wurde als frivol empfunden, dass Rossini einen unbegleiteten Chorsatz im alten Stil eines Palestrina auf damals moderne Ausdrucksmusik treffen lässt, die Giuseppe Verdi dann in seiner „Messa da Requiem“ zu Vollendung geführt hat. Unerhört, dass er den Tenor ein Arioso im schönsten Belcanto-Stil singen lässt! Über dieses „Cujus animam“, das Michele Angelini beim Festival Rossini in Wildbad über den Baumwipfeln des Sommerbergs technisch brillant und mit strahlendem Ton singt, ätzte Richard Wagner – und Generationen seiner Anhänger mit ihm: „Opernhafte Oberflächlichkeit“. Ein Missverständnis: Rossinis schwungvolle Melodik ist intensiver Ausdruck seelischer Bewegung. Und wer Wagner liebt, wie käme der auf die Idee, Opernmusik der Oberflächlichkeit zu zeihen?

Das Konzert des verdienstvollen Rossini-Festivals im Nordschwarzwald ereignet sich in überraschend transparenter und plastischer Akustik auf einer nach oben sich öffnenden Konstruktion, die einen Baumwipfelpfad abschließt. Spiralförmig führt der Weg am Rand des Trichters entlang nach oben; auf einer Plattform auf gut halber Höhe sind Orchester, Chor und Solisten positioniert, und die Zuhörer sitzen über dem Ensemble und blicken über das grüne Meer in den Sonnenuntergang und den Abendhimmel.

Die Atmosphäre des ruhevoll-erhabenen Naturschauspiels korrespondiert mit dem Ton des Erhabenen, den Rossini mit tiefen Posaunen und feierlichem Maestoso im Orchester verankert und den Dirigent Antonino Fogliani vom Philharmonischen Orchester und Chor Krakau mit sorgsamen Differenzierungen in Farben und Dynamik fordert. Die Details zeichnen sich überraschend klar und tragend im Klang ab. In der fast zu langsam genommenen Introduktion („Stabat Mater dolorosa“) hält der Chor den Klang innig-verhalten und folgt in der Artikulation dem Sinn der Worte. In der Einleitung zur Tenorarie changiert das Orchester zwischen majestätischer Düsternis und dem süßen Schwung der pulsierenden Melodik. Das Vorspiel zum Duett „Quis est homo“ erklingt lyrisch gelassen; Serena Farnocchia (Sopran) braucht eine Weile, um mit flutendem Feuer ihren anfangs zu trocken vibrierenden Ton zu beleben; Aurora Faggioli ist ein beispielhafter Contralto im italienischen Stil und setzt mit ihrem dunkel-sämigen Ton einen passenden Kontrast in der Stimmfarbe.

Größere Schwierigkeiten in der Abstimmung zeigen sich bei dem Bass Shi Zong, der in seiner anspruchsvollen  Arie „Pro peccatis suae gentis“ nach der dramatischen Einleitung in der Höhe spürbar forcieren muss und – vielleicht ermüdet durch die anstrengenden Opernrollen der vorherigen Tage – ein breit schwingendes Vibrato nicht vermeiden kann. Sorgsam gestaltet aber dann die solistischen Momente mit dem Chor in den a-cappella-Abschnitten „Fac, ut ardeat cor meum“ und am Ende – im Solistenquartett mit Chor – „Quando corpus morietur“. An dieser Stelle, vor der konturscharf gesungenen Amen-Schlussfuge, hat Rossini im ernsten Ton der alten Kirchenmusik, aber beflügelt von seiner melodischen Erfindungsgabe, musikalisch bewegend formuliert, worauf es ankommt: Wenn der Körper stirbt, das irdische Leben endet, möge der Seele das Paradieses gewährt werden. Ein Moment, der das Ziel des nachgefühlten Leidens markiert und in dem Rossini alle existenzielle Hoffnung des Menschen in eine Musik fasst, die wohl kein gläubiges Empfinden unberührt lässt.

Den ersten Teil des Konzerts gestaltete Fogliani passend mit der Sinfonie Nr. 49 Joseph Haydns in f-Moll, die den – nicht vom Komponisten stammenden – Beinamen „La Passione“ trägt. Das Orchester taucht Haydns Musik in den durchgehend düsteren Ernst der Tonart, selbst das F-Dur-Trio im Menuett setzt keinen Kontrast. Anfangs verharren die Violinen in einem uninspiriert gleichförmigen Ton, aber Foglianis entschiedene Zeichengebung animiert das Orchester zusehends, und im Allegro di molto des zweiten Satzes ist das Verhältnis zwischen Bläsern und Streichern stimmig ausbalanciert, sind die Gegensätze von erregter Rhythmik und weich gebundener Melodik erlebbar.

Nach der Sinfonie verlieh Intendant Jochen Schönleber den Preis „Rossini in Cima“ an den Rossini-Forscher Paolo Fabbri. Der 1948 geborene Musikwissenschaftler lehrte bis zu seiner Emeritierung an der Universität Ferrara, war Vizedirektor der Fondazione Rossini in Pesaro, edierte u. a. eine unentbehrliche Sammlung von Rossini-Briefen und leitet seit 1997 die Fondazione Donizetti in Bergamo. Das Festival Rossini in Wildbad verdankt Fabbri nach den Worten Schönlebers viele Impulse, Texte und Hinweise auf Werke aus dem Umfeld Rossinis, die ediert und beim Festival aufgeführt werden konnten. Fabbri gehört auch dem wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Rossini-Gesellschaft an.

Werner Häußner

 

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