Das enztückende Kurtheater in Bad Wildbad ist einer der Spielorte des Festivals „Rossini in Wildbad“. Foto: Werner Häußner
BAD WILDBAD / „Rossini in Wildbad“: Festkonzert 30 JAHRE DEUTSCHE ROSSINI GESELLSCHAFT mit Alternativ-Musik von GIACHINO ROSSINI
25.7.2019 (Werner Häußner)
In den dreißig Jahre ihres Bestehens hat sich die Deutsche Rossini Gesellschaft unschätzbare Verdienste erworben: Sie sorgt dafür, dass unbekannte, bisher verschollene Werke entdeckt und moderne Ausgabe erstellt werden, publiziert die Zeitschrift „La Gazzetta“ und wissenschaftliche Literatur, so in den letzten Jahren eine Serie von akribisch erarbeiteten und kommentierten Libretto-Ausgaben. Sie arbeitet eng mit dem Festival „Rossini in Wildbad“ zusammen und ist, indem sie Aufführungen und CD-Aufnahmen anregt und begleitet oder die Aufmerksamkeit auf die Aufführung seltener, bedeutender Opern Gioachino Rossinis lenkt, ein Katalysator für die immer noch ziemlich mangelhafte Verbreitung des Werks dieses für das gesamte 19. Jahrhundert so bedeutenden Komponisten. Am „spritus rector“ der Gesellschaft, Reto Müller, kommt niemand vorbei, der sich ernsthaft mit Rossini beschäftigt.
Mehr als gerechtfertigt also, dass beim Rossini-Festival im Nordschwarzwald ein Festkonzert an dieses Jubiläum erinnert. Kaum eine andere musikalische Gesellschaft würde sich mit Orchester, Chor und neun allesamt respektablen Solisten ein solches Konzert erlauben können. Aber das Programm passt ausgezeichnet in das Konzept der alljährlichen Rossini-Huldigung, geht es doch auch bei diesem Abend um das Entdecken bisher kaum bekannter Musik: Die vierzehn vorgestellten Arien und Ensembles sind Alternativen, mit denen Rossini selbst seine Opern ergänzt oder Stücke in ihnen ersetzt hat. Sie konnten einst durchaus erfolgreich sein, führen aber heute ein Schattendasein im Anhang von Ausgaben, liegen vergessen in Archiven oder sind gar nur noch als Singstimme erhalten. Mühevolle Archivarbeit, vergleichende Studien und im Einzelfall eine neue Instrumentierung im Geiste Rossinis oder unter Heranziehung von Material aus anderen seiner Opern sind dafür nötig.
So ist es kein Wunder, dass im Konzert Musik erklang, die vielleicht seit der Uraufführung, sicher aber in modernen Zeiten noch nie zu hören war: So zwei Arien aus „La Pietra del paragone“, die für die Wiederaufnahme der Oper im Frühjahr 1813 in Venedig entstanden: eine Cavatina für Bass, geschmackvoll vorgetragen von Shi Zong, in der ein später im „Barbiere di Siviglia“ wieder verwendetes Motiv erkennbar ist, und eine Tenorarie, vorgetragen von César Cortés, der in diesem Jahr Stipendiat der Akademie BelCanto ist. Beide spiegeln wie die Arie „Cielo, che mi chiedete? – Se pietade in seno avete“ aus „L’Inganno felice“ in einer rekonstruierten Orchestration den frühen Stil Rossinis wieder: melodisch reizvoll, aber noch schematisch.
Anders zwei neue Auftrittsarien, die Rossini für die Protagonisten seines Pasticcios „Eduardo e Cristina“ 1820 in Venedig und Reggio Emilia geschrieben hat. In „Si possente è nel mio petto“ kann der Mezzo Diana Haller versierte Agilitá und Brillanz demonstrieren, während in „Lieta voce“ der Sopran Silvia Dalla Benetta beweist, dass sie die Stimme auch zurücknehmen, lyrische Momente ausgestalten kann. Mit dem „Belcanto“ ist es – nicht nur in Wildbad – nämlich so eine Sache: Viele Sänger zeigen zwar den geforderten stetigen und in allen Lagen ausgeglichenen Ton, nicht aber die geschmeidige Bildung von Linien und Phrasen, die vokale Einfärbung und vor allem die dynamische Flexibilität. Warum etwa schaukeln sich Diana Haller und Silvia Dalla Benetta in dem anderen Frauenduetten Rossinis durchaus gleichzustellenden „Se ricuso i doni tuoi“, entstanden für den allzu selten zu sehenden „Sigismondo“, in der Lautstärke hoch, statt kontrolliert aufeinander zu reagieren und den Tom diskret zu halten?
Oder warum dröhnt David Oller in der großartigen, die Qualität von „La Gazza ladra“ nachdrücklich bestätigenden Szene „Barbara sorte!“, für Andrea Nozzari in Neapel nachkomponiert, aus vollem Hals, ohne dynamische und farbliche Differenzierung, unflexibel und mit stählerner Bravour? Auch César Cortés könnte seinen an sich gut sitzenden, schlanken, in der Tessitura passenden Tenor geschmeidiger formen, um sich etwa im Terzett „Pria svenar“ nuancierter einzupassen – einem für die Aufführung von „Maometto secondo“ in Venedig entstandenen Stück, das in seiner freien Anlage und dramatischen Konsistenz zum Besten gehört, was an diesem Abend zu erleben war.
Hier brillierte wie zuvor schon in einer alternativen Cavatina der Isabella für „L’Italiana in Algeri“ der Mezzosopran Victoria Yarovaya mit einer weich geformten, flexiblen, beweglichen Stimme und samtenem Timbre. Die russische Sängerin, die nichts von der vibratobelasteten Schwere vieler ihrer Kolleginnen hat, zeigt am überzeugendsten, worum es bei „Belcanto“ geht. Ihr zur Seite ist noch der Tenor Francisco Brito zu stellen, der in der von den schönen Bläserfarben des Passionart Orchestras Kraków unter der kundigen Leitung von José Miguel Pérez-Sierra einen instrumental geführten, aber blühend gestaltenden, leicht ansprechenden und im Ganzen locker artikulierenden Tenor sein eigen nennt.
Werner Häußner