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BAD WILDBAD/Rossini in Wildbad: ARMIDA von G. Rossini

21.07.2022 | Oper international

BAD WILDBAD / Rossini in Wildbad – ARMIDA von G. Rossini
20.7. 2022 (Werner Häußner)

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Ensemble beim Schlussapplaus. Foto: Rossini in Wildbad

Armida setzt alles ein für ihre Liebe: Sie entkommt den unseligen Verflechtungen mit der militärischen Gewalt, sie verzaubert eine öde Welt in ein Paradies, sie wäre letztendlich sogar bereit, sich selbst zur Sklavin zu erniedrigen. In Gioachino Rossinis großer Oper von 1817 steckt also mehr als die Vorlage, Torquato Tassos Epos über das „befreite Jerusalem“, in der die listige Zauberin lediglich zur Verwirrung der wackeren Kreuzritter beiträgt und sie von ihrem hehren Ziel abzubringen sucht.

Der sorgsamen Übersetzung in den Übertiteln folgend, bedauert man in Bad Wildbad, dass „Armida“ nicht, wie vor genau 22 Jahren im Kursaal, szenisch aufgeführt wird. Denn wie reizvoll wäre es, den Stoff interpretierend neu zu sichten, Armidas Liebes-Zauberreich etwa in Bezug zu setzen zu Wagners venerischen Grotten. Ist es im „Tannhäuser“ der quälende Dualismus von Ewigkeit beanspruchender Erfüllung sexuellen Begehrens und einer vermeintlich reinen, körperlos-transzendenten Liebe, geht es in „Armida“ um das Aufeinanderprallen weltverwandelnder weiblicher Liebeskraft und männlich konnotierten Wertvorstellungen von Ruhm, Ehre, Pflicht, Härte, militärischer Potenz. Die „Verweichlichung“ des Mannes zum „Sklaven der Liebe“ und ein Ritter, der sich seiner Rüstung entledigt und von Blumen und Girlanden umkleidet wird, können nicht geduldet werden. Armidas liebestrunkenes Zauberreich muss fallen.

So macht das Festival „Rossini in Wildbad“ wieder einmal auf ein Werk aufmerksam, dass ungeachtet seiner Anforderungen an eine erstklassige Besetzung dringend seiner szenischen Realisation harrt. Die Suche nach adäquaten Sängern ist Intendant Jochen Schönleber diesmal durchweg gelungen: Sechs Tenöre – alle auf hohem vokalem Niveau – und eine Hauptdarstellerin, die sich vor der Stimmakrobatik der Variationen von „D’amor al dolce impero“ nicht verstecken muss – und auch nicht vor dem Respekt einflößenden Vorbild Maria Callas, die „Armida“ 1952 nach 120 Jahren beim Maggio Musicale Fiorentino widerbelebt hatte.

Ruth Iniesta klettert seit 2016 auf der Karriereleiter in Spanien und Italien stetig nach oben und demonstriert bei ihrem Wildbad-Debüt viele Vorzüge eines dramatischen Soprans „d’agilitá“: eine samtig-dunkles Timbre, voluminöse Tonbildung im Zentrum und in der Höhe, verlässliche Atemstütze in fordernd dramatischen Passagen, körperbasierte Koloratur- und Verzierungskunst. Die drei Duette mit Rinaldo erfüllt Iniesta auch mit sensibler Lyrik; ihre Variationen, vokaler Höhepunkt des zweiten Akts, erfüllt sie jenseits bloßer Virtuosität mit Sinn: Sie repräsentieren die Liebe, die sich in allen Wandlungen selbst treu bleibt.

Die einzige Arie der Oper ist dem Gegenspieler Rinaldos, dem Kreuzritter Gernando vorbehalten. Patrick Kabongo, der im letzten Jahr als Giullaume in Daniel François Esprit Aubers „Le Philtre“ brillierte, beweist auch mit dieser hochvirtuosen italienischen Partie sein außerordentliches Format. Er singt wundervoll entspannt und zeigt, wie technische Herausforderungen bei Rossini nicht als zirzensische Kunststückchen, sondern als expressive Mittel einzusetzen sind. Seine unangestrengte Beweglichkeit setzt Kabongo ein, um Ehrgeiz, Ruhmsucht und Neid in Klang zu kleiden.

Ein wenig angespannter, aber in der souveränen Beherrschung vokaler Mittel ebenbürtig gestaltet Michele Angelini die Partie des Rinaldo. Sein Tenor verfügt über leuchtende Substanz und aufflammende Spitzentöne. Moisés Marín bringt als Heerführer Goffredo einen strahlenden, präzis fokussierten Tenor ein, der nur in der Tonbildung gelegentlich lockerer, in der Phrasierung geschmeidiger agieren könnte. Manuel Amati, Stipendiat der Akademie BelCanto, hat das stimmliche Rüstzeug, um sich für künftige Hauptrollen zu vervollkommnen; auch César Arrieta (Ubaldo) und Chuan Wang (Carlo) stehen dem nicht nach. Jusung Gabriel Park (Idroate), eine der beiden tiefen Männerstimmen, setzt ebenfalls auf einen festen, fast kristallinen Ton, mit dem er Armida als sein Werkzeug für die „Rache Asiens“ einzuschwören versucht. Shi Zong (Astarotte) als Anführer der Dämonen zu Beginn des zweiten Akts entfaltet imponierendes Volumen, das er in „Sovr‘ umano potere“ allerdings flexibler und dynamisch sensibler einsetzen könnte. Die Drohung gegen die „schrecklichen Franken“ vor der Toren Zions würde statt in kaltem Dauerforte mit subtileren Untertönen gesungen überzeugender wirken.

In dieser düsteren Szene, einer der wenigen, in denen Rossini seinen Rationalismus verlässt, um eine geisterhafte Übernatur zu schildern, kann das Orchester sein Gespür für Stimmungen frei entfalten. Fahle Bläserfarben und scharfe Streicherattacken beschwören die Atmosphäre von Simon Mayrs „Medea in Corinto“, die vier Jahre zuvor – ebenfalls mit Rossinis späterer Frau Isabella Colbran in der Titelrolle – Furore gemacht hat.

In Wildbad poliert das Philharmonische Orchester Krakau hier einen seiner wenigen Glanzpunkte auf. Die gut drei Stunden unter dem Dirigenten José Miguel Pérez-Sierra lassen häufig Eleganz und Esprit vermissen. Schon die Ouvertüre mit einem schwerfälligen Horn kann nicht überzeugen; die ausgedehnte Ballettmusik Rossinis, die mehr als gefällige Routine ist, tritt etwa im Blumentanz eher mit militärischem Paradeschritt als mit spritzig-leichten Füßen auf – und das in dem Moment, in dem der Ritter sich aus seiner Rüstung schälen soll. Harfe und Horn evozieren hier schon den romantischen Ton von „Lucia di Lammermoor“ – ein Indiz für die Experimentierfreude und Modernität Rossinis, die ihm auch heftige Kritik eingebracht hat.

Das schwärmerisch lyrische Vorspiel zum dritten Akt, das den Ton der Barcarole aus „Tancredi“ aufnimmt, legt Pérez-Sierra steif, metrisch unflexibel und melodisch ohne geschmeidigen Fluss an. Oft ist das Orchester undifferenziert laut und bringt damit den stark beschäftigten Philharmonischen Chor Krakau dazu, seine kraftvollen Stimmen strikt und grell einzusetzen, statt den Klang zu schattieren. So bleibt ein Schatten auf einer vokal vorzüglichen Aufführung, mit der „Rossini in Wildbad“ wieder einmal bestätigt, wie unverzichtbar es in der europäischen Festival-Landschaft ist.

Werner Häußner

 

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