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BAD WILDBAD/ „Rossini in Bad Wildbad: VORSTELLUNGEN VOM 27. – 29.7.2018

Immer noch neues Repertoire

30.07.2018 | Oper

ROSSINI IN WILDBAD 2018

Vorstellungen vom 27.-29.7.2018 – immer noch neues Repertoire


Gefeierter Dirigent für „Zelmira“: Gianluigi Gelmetti (mit Tenor Joshua Stewart). Copyright: Andreas Heideker

Die Rossinis neapolitanische Aufträge abschließende Oper „ZELMIRA“ ist die vorletzte der Bühnenwerke des Komponisten, die beim 30jährigen Jubiläum und selbstredend auch den 150. Todestag des Meisters feiernden Festival im Nordschwarzwald noch nicht zur Aufführung gekommen sind.

Gemäß den politischen Verhältnissen zu ihrer Entstehungszeit 1822 trägt die Handlung absolutistischen Charakter, d.h. sie huldigt einem Monarchen, so wie es damals Ferdinand I. als König beider Sizilien gewesen ist. Zwei Jahre später überarbeitete Rossini den Zweiakter als Leiter des Theatre Italien für Paris, indem er das klassizistischen, für seine Frau Isabella Colbran geschriebene Final-Rondo der liberaleren Staatsform in Frankreich anpasste und auch unter Berücksichtigung der Titelrollen-Übernahme von Giuditta Pasta durch eine romantischere Version ersetzte und das ursprüngliche Arien-Finale in ein Vaudeville mit 3 Strophen für die Protagonisten umwandelte, was dem heiter freudigen Ende durchaus angemessen ist. Dieser Variante aus dem Jahr 1826 liegt auch die konzertante Wiedergabe in Bad Wildbad zugrunde.

Die Geschichte der Tochter des Königs von Lesbos mit einer Libretto-Bearbeitung der Tragödie „Zelmire“ von Dormont de Belloy durch Andrea Leone Tottola strotz wie so manches Sujet aus der Belcanto-Aera nicht gerade vor Logik, doch weil das Hauptaugenmerk weniger auf die komplizierten Herrschaftsverhältnisse auf Lesbos und Mytilene mit ihren feindlichen Anwärtern als auf die komplexe Figur Zelmiras als Tochter, Mutter und Gattin gerichtet ist, beeinträchtigen gewisse Unklarheiten die musikalische Wirksamkeit nicht wirklich. Ihre Schutzfunktion für den bedrohten Vater Polidoro und ihren nicht auftretenden Sohn sowie ihre durch missliche Situationen auf eine harte Probe gestellte Beziehung zum Gatten Ilo erhebt die Königstochter zu einem starken Charakter der „weiblichen Dreifaltigkeit“ (so Reto Müller, der unermüdliche Rossini-Forscher, Publizist und Übersetzer).

Strukturell gesehen vertritt der noch im Uraufführungsjahr als Gastspiel nach Wien gekommene Zweiakter einerseits das formelle Gepräge seiner neapolitanischen Periode mit wenigen, groß-dimensionierten Nummern und relativ kurzen Orchester-Rezitativen, und andererseits die Erneuerung des harmonischen Gefüges durch überraschend ungewohnte kühne Effekte, weniger die freiere Melodie-Behandlung. Die erst nachträglich in den zweiten Akt unter dem Druck der laut Rossini eher mittelmäßigen Sängerin Fanny Eckerlin entstandene Arie für Zelmiras Vertraute Emma ist wohl dramaturgisch entbehrlich, korrigiert aber das Ungleichgewicht der beiden Akte und ist darüber hinaus in ihrer eher konventionellen Anlage ein durchaus lohnendes Stück, zumal wenn es mit soviel Feinsinn an kultiviertem Vortrag und Ausgeglichenheit an Stimmfarben in allen Lagen erfüllt wird wie hier von der Mezzosopranistin Marina Comparato. Ihr Duettino mit Zelmira, verbunden mit dem reizvollen instrumentatorischen  Kontrast von Horn und Harfe, gehört zu den Perlen der Partitur.

Die Titelrolle selbst ist mit der in Wildbad schon mehrfach bewährten Silvia Dalla Benetta gesamtheitlich ideal besetzt. Als Persönlichkeit und im Einsatz ihres vollen stimmlichen Reservoires entspricht sie der Dominanz und Komplexität Zelmiras, setzt Ausdrucks-Nuancen in allen dynamischen Bereichen und schärft durch den Biss ihres jederzeit durchsetzungsfähigen, dunkel getönten Soprans, dem Lyrik, Dramatik und Koloratur gleichermaßen zur Verfügung stehen, die Glaubwürdigkeit ihrer Worte und dem Gefühlsgehalt ihrer wechselnden Verfassung. War ihre Kapazität bereits aus den Vorjahren hinreichend bekannt, so entpuppte sich der türkische Tenor Mert Süngü in der Rolle des Gatten Ilo als Entdeckung dieses Festspiel-Jahrgangs. Ein Belcantist mit ansprechend hellem Klangcharakter, hinreichend Mittellagen-Stabilität und einem exorbitant ausgesprägten Höhenregister, mit dem er die aberwitzigsten Eskapaden an Spitzen-Aufschwüngen und halsbrecherischen Koloraturen zu einem spannend anregenden Erlebnis werden ließ. Wer glaubte, in bislang fast allen gehörten Opern Rossinis jede Form an diesbezüglicher Höchstschwierigkeit gekannt zu haben, wurde hier mit einer noch weiter reichenderen Variante konfrontiert.

Joshua Stewart hatte als Führer des Feindeslagers Antenore einen den Anforderungen entsprechend soliden, etwas dunkler timbrierten Tenor mit noch nicht ganz ausgeglichenen Registern zu bieten. An seiner Seite behauptete sich Luca Dall’Amico durch seinen profunden, eher hoch gelagert expressiven Bass als Vertrauter Leucippo. Der kurzfristig eingesprungene Federico Sacchi bestach als König Polidoro vor allem mit gesetzter Mittellage und Tiefe, während sein Bass in der Höhe Anzeichen von Spröde und Brüchigkeit bei gleichzeitig seiner bedrohten Lage entsprechendem Ausdruck aufwies. Emmanuel Franco mit gefestigtem Bariton ergänzte als Hohepriester des Zeus, Xiang Xu auf größere Aufgaben neugierig machender Tenor als trojanischer Offizier Eucide.  Der 26köpfige Gorecki Chamber Choir, als Festspielchor erstmals dabei, war von Mateusz Prendota hinsichtlich Klangbalance und Phrasierung sicher vorbereitet und genügte in seiner Tonfülle durchaus den doch beengten Bühnenverhältnissen der Trinkhalle.

Dass nach Alberto Zedda Ableben mit Gianluigi Gelmetti zum zweiten Mal ein weiterer Grandseigneur der Rossini-Interpretation gewonnen werden konnte, ehrt das 30Jahr Jubiläum in besonderem Maße. Er erwies sich denn auch als Seele dieser völlig ausreichenden konzertanten Vorstellung, umschmeichelte und umkoste die Finesse der Partitur ebenso wie er  die Tempi in ein Spannungsverhältnis zwischen dem Auskosten getragener Abschnitte und den immer wieder crescendierenden Entwicklungen. Die vielfach bewährten Virtuosi Brunensis  legten abgesehen von einigen geringfügigern Unsauberkeiten eine große Spielfreude als auch  das Bemühen um größtmögliche Präzision und Effizienz an den Tag.

Die Ovationen für die Sänger steigerten sich für Gelmetti zu Bravo-Chören.

 


„Moise“ intensives Rollenportrait – Elisa Balbo als Anai. Copyright: Patrick Pfeiffer

Auch „MOISE“ ist eine Wildbader Premiere. 2006 wurde wohl die italienische Originalfassung von 1818 in halbszenischer Form aufgeführt, doch für die französische Version sind nicht nur hie und da Ergänzungen oder Striche erfolgt, es handelt sich vielmehr um ein komplett umgearbeitetes und neu aufgebautes Werk in einem der Sprache und den Gepflogenheiten der Pariser Musiktradition entsprechenden Stil, den der Grand Opéra – wie schon die italienische Form der Tradition der neapolitanischen Fastenzeit-Opern entsprechend raffiniert verpackt in eine Art szenisches Oratorium. Die Pariser liebten reichhaltige Bühnenbilder und große szenische Effekte, wofür die finale Durchquerung des Roten Meeres und der Untergang der Ägypter in den Fluten ein ideales Beispiel bot. Bildmächtige Darstellungen biblischer Stoffe waren letztlich auch ein Mittel, um beim breiten Volk mit dem Unterhaltungstheater konkurrieren zu können. An dieser Stelle sei das Bedauern eingeschoben, dass der finale Dankeschor der Hebräer als ideale Apotheose einer Grand Opéra nur als Klavierauszug existiert und in die Partitur keinen Eingang gefunden hat. Somit endet also auch das französische Pendant mit dem symphonischen Orchesternachspiel, statt markanter Tutti-Schläge wird das friedliche melodische Motiv in Tempo und Lautstärke immer weiter reduziert.

Rossinis Moise ist jedenfalls eines der frühen Beispiele, in denen Ensemble- und Chorszenen gegenüber Solonummern dominieren. Trotzdem kommen die Einzelschicksale nicht zu kurz. Vor allem die Zerrissenheit beider Frauen, der Pharaonengattin jüdischer Abstammung Sinaide und Moises Nichte Anai in ihrer Liebe zum religionsfeindlichen Pharaonensohn Amenophis ist viel Aufmerksamkeit geschenkt. Beide Partien sind mit Elisa Balbo (Anai) und erneut Silvia Dalla Benetta (Sinaide) hochwertig besetzt. Balbos flexibler und kraftvoll leuchtender Sopran verschmilzt Innigkeit und Emphase zu mitleidender Wirkung. Dalla Benettas Stimme mit dem dunkleren Timbre eignet sich vorzüglich für den Mezzopart der ägyptischen Herrschergattin und überwölbt mühelos die Ensembles. Ihre Differenzierungsfähigkeit macht sie zur bewegenden Vermittlerin zwischen den Liebenden, wozu auch die konzentrierte Personenregie von Intendant Jochen Schönleber beiträgt. Er war so klug, die Geschichte im Wesentlichen durch eine gut ausgearbeitete schauspielerische Darstellung zu erzählen und die bildliche Umsetzung den beschränkten Möglichkeiten vor Ort auf einige Video-Einblendungen im Hintergrund zu konzentrieren. Leider waren diese bei einigen Szenen aufgrund eines in der Mitte positionierten riesigen aufklappbaren Gesetzbuches kaum zu sehen. Dies beeinträchtigte vor allem den zweiten Teil der Ballettszene, wo die Pharaonen-Fanilie in diversen Sesseln in erhöhter Position zuschaut, während das Video klassischen Ballerinen-Tanz in Tutus zeigte. So lief dieser Teil der Tänze leider ins Leere. Ansonsten enthielt sich Schönleber jeglicher einseitiger politisch-religiöser Ausrichtungen und Anspielungen, sicherte beiden Gruppen das gleiche Recht und setzte wie schon erwähnt hauptsächlich auf eine starke Interaktion der Beteiligten. Die überraschend vehementen Buhrufe für ihn hatten keinen erklärbaren Hintergrund.


„Moise“: eine Entdeckung: Alexey Birkus in der Titelrolle. Copyright: Patrick Pfeiffer

Wie breit mittlerweile das Reservoir an Belcanto-Stimmen weit über Italien hinaus ist, zeigte sich in der Besetzung der Titelrolle mit dem Russen Alexey Birkus. Ein Bass von bemerkenswert sonorer Klanggewalt bei gleichzeitig geschmeidiger Stimmführung zwischen seriösen Tiefen und prachtvoll runden Höhen. Sein Einsatz vereinte sensible Linienführung und hohe Beweglichkeit in der Phrasierung. Sein Widersacher, der Pharao hätte mit Luca Dall’Amico nicht kontrastreicher besetzt sein können. Der baritonalere Stimmvertreter vom Vorabend konnte in dieser Rolle noch eins drauflegen und mit etwas spröderer Virtuosität zeigen, was in ihm steckt. Den zwischen Liebe zu Anai und der gemeinsamen Thronfolge mit einer armenischen Prinzessin hin- und her geworfenen Amenophis stattete Randall Bills mit stupender Koloraturgeläufigkeit, sicher erklommenen Spitzentönen und viel Ausdrucks-Engagement aus, nur an klanglicher Attraktivität des Timbres kann er es mit Patrick Kabongo, der als Moises Bruder Eliézier gesanglich feine wie auch nachdrückliche Akzente setzte, nicht aufnehmen. Die Belgierin Albane Carrère steuerte als Anais Mutter Marie viel Gefühl und ihren auf größere Partien neugierig machenden sämigen Mezzosopran bei, Baurzhan Anderzhanov gab dem Oberpriester Oziride sattes bassbaritonales Fundament und Xiang Xu hielt als Stipendiat der Akademie BelCanto wieder mit sicherem Tenormaterial mit.

Der polnische Kammerchor bewältigte die wechselnden Aufgaben als Hebräer (in grau und braun gewandet)  und Ägypter (in weiß) – die unserer Zeit angenäherten Kostüme schuf Claudia Möbius – tadellos, sowohl in der szenischen Verlebendigung als auch in den diversen Anforderungen choraler Geschlossenheit. Nur hie und da geriet das Stimmgefüge zwischen den Damen und Herren etwas aus dem Gleichgewicht.

Erstmals stand Fabrizio Maria Carminati am Pult in Wildbad und hatte als erfahrener Dirigent den Gesamtapparat, speziell die wieder sehr konzentrierten Virtuosi Brunensis und jedes der vielseitigen harmonischen Details im Griff. Außerdem sorgte er für ausgeglichene Tempi und ein genüssliches Ausschwingen von Crescendo-Steigerungen.

Bei aller Begeisterung über die Aufführung als Ganzes und auch über besondere Höhepunkte darf nicht ganz unerwähnt bleiben, dass die im Rahmen der DVD-Aufzeichnung erfolgten Störungen in Form von durch die Kopfhörer der Kameramänner zumindest in deren Nähe deutlich zu hörenden Regie-Anweisungen und Durchsagen bei den heutigen technischen Möglichkeiten und auch auf Plätzen der oberen Preiskategorien nicht passieren dürften.

 Udo Klebes

 

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