BAD ISCHL Kongress & TheaterHaus: DIE BLAUE MAZUR; 10.8.2025
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So einfach kann Lebensbewältigung sein: Taucht ein Problem auf, dann hilft eine heiße Schokolade oder ein Besuch in der legendären Konditorei Zauner. Wenn es nur so wäre. Geht die Welt, das war die Österreich-Ungarische Monarchie zur Entstehung von Franz Lehárs „Die blaue Mazur“ 1918, gerade den Bach hinunter, dann erleichtern zwei Stunden Operetten- und Tanzmusik den Schmerz um Unwiederbringliches. Eskapismus als Lebensrettung und Seelentröster. Das hat seit jeher so funktioniert und das ist auch heute nicht anders, sieht man etwa, was sich in den Techno-Clubs in unseren Großstädten so abspielt.
Also ist es Lehar nicht zu verdenken, es zu seiner Zeit ebenso arrangiert zu haben. Schlüpfrige Unterhaltung mit psychoanalytischem Touch und ein wenig Society Glamour sind noch immer Garanten für breitenwirksame Unterhaltung, die zieht. Dass der sonst so melodienaffine Komponist primär danach trachtete, die Kunstform Operette musikalisch zu erweitern und neue Ventile in Richtung spätromantischem Klangrausch zu öffnen, mag als innovative Geste gelten. An der Form per se hat sich auch in „Die blaue Mazur“ nichts geändert. Denn das Textbuch des Stargespanns Leo Stein und Bela Jenbach greift wie so viele zuvor auf die übliche Viererkonstellation romantisches Liebespaar versus Buffopaar zurück. In „Die blaue Mazur „ sind es der seine Abende im Kabarett mit Tänzerinnen der Wiener Staatsoper zubringende Julian Graf Olinski und die adelige Waise Blanka von Lossin, die zwar heiraten, aber nicht dafür reif sind, bedingungslos ja zueinander zu sagen sowie der junge Springinsfeld Adolar von Sprinz, ein genialer Nichtsnutz und Schwindler mit Doppelexistenz, der schließlich sein Liebes- und Lebensglück mit der reschen und lebensklugen Ballerina Grete Aigner findet.
Angela Schweiger integriert in ihrer großartig gelungenen adaptierten Fassung für die halbszenische Aufführung im Bad Ischler Kongress & TheaterHaus den Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918, indem sie zur 1914 stattfindenden Handlung ein Vor- und Zwischenspiel in Wien 1918 hinzufügt und das Happy End der Originalversion verweigert, indem sie Julian an der Front sterben lässt. Das ist nicht nur dramaturgisch im Sinne des Genius loci stringent gelöst (immerhin hat Kaiser Franz Joseph I am 28.7.1914 in Bad Ischl die Kriegserklärung an Serbien unterzeichnet und damit das Ende von allem eingeläutet, was bisher in Europa an Machtverhältnissen galt), sondern passt auch hervorragend zur Musik. Diese ist zwar von Walzern, Mazurkas und anderen volkstümlichen Tänzen inspiriert, reicht aber mit ihrem großen sinfonischen Überbau und opernhafter Hochdramatik bis in die Sphären spätromantischen Flirrens und Sausens eines Erich Wolfgang Korngold, Franz Schreker oder Richard Strauss. Das ergab effektvolle Klangballungen und viel Glitzern, führte aber künstlerisch in eine Sackgasse, zumal Lehár in diesem hybriden Werk auf eingängige Melodien als Hits mit sofortigem Wiedererkennungswert weitgehend verzichtete.
In Bad Ischl kann man Operette musikalisch auf höchstem Niveau. Das beginnt mit dem wunderbaren, diesfalls groß besetzten Franz Lehár Orchester und Chor unter der grandios musikantischen Leitung von Marius Burkert. Burkert, seit 2007 erster Kapellmeister an der Oper Graz und seit 2004 Chefdirigent des Lehár Festivals Bad Ischl ist einer jener stillen Könner, der die goldrichtige Farbpalette zwischen exzessivem Temperament, tänzerischem Schwung, Elastizität, Transparenz und Opulenz des Klangs mit Raffinesse und Verve schwingt und mit den Anforderungen der komplex instrumentierten Partitur zu verknüpfen versteht. Dem Ensemble auf der Bühne ist er ein beredter wie rücksichtsvoller Partner.
Die Protagonisten überzeugten vor allem in den fünf Hauptrollen stimmlich und in der Mehrzahl auch darstellerisch. Corinna Koller gibt als vom Charakter ihres Angetrauten abgestoßene Blanka von Lossin eine exaltierte Diva mit großvolumigem Sopran und fulminant dramatischen Höhen. Optisch blendend gut aussehend wie die junge Sena Jurinac ist von dieser exzeptionellen Sängerin, aktuell Ensemblemitglied der Oper in Graz, noch viel zu erwarten. Der deutsch-ungarische Tenor Daniel Pataky ist mit seiner vorzüglichen Gesangstechnik in der Lage, die Tessitura und das Raffinement seiner Arien (teils auf polnisch gesungen) ohne Fehl und Tadel zu bewältigen. Schauspielerisch geht ihm allerdings alles ab, was einen Verführer und Lebemann ausmacht. Dieses Charisma und ein wild kochendes Bühnenblut scheinen dafür dem ehemaligen Wiener Sängerknaben Lukas Karzel in die Wiege gelegt. Als Gauner und Grafenfreund Adolar von Sprinz begeisterte Karzel mit seinem charaktervollen Buffotenor, außergewöhnlicher Bewegungseleganz und einer umwerfenden tänzerischen Ader. Großartig. Genauso bühnenpräsent zeigte sich die quirlige Soubrette Marie-Luise Engel-Schottleitner in der Rolle der cleveren und lebenstüchtigen Tänzerin Greta Aigner. Sie kennt die Männer, ihre Launen und Schwächen als auch ihren Platz in der Welt. Damit wusste sie zu jonglieren und behielt stets das Oberwasser, mochten sich die äußeren Umstände sich als noch so widrig erweisen. Martin Achrainer als knorriger Clemens Freiherr von Reiger, dem Angela Schweiger ein Verhältnis mit Leopold Klammdatsch (Claudiu Sola) angedichtet hat, komplettiert eine Besetzung, die in ihrer Spielfreude und ihrem unbedingten stimmlichen Einsatz kam Wünsche offen ließ.
Was szenisch weniger gut gelang, war, die Solisten, den Chor und das Tanzensemble rund um das räumlich dominante Orchester friktionsfrei zu platzieren. Der schmale Raum zwischen Orchester und Bühnenrand zwang zu manchem Gedränge in den Auf- und Abtritten. Kleinere Einwände betreffen die Kostüme. So sind etwa schwarze Lackschuhe zu einer Militäruniform (Julian Graf Olinski) absolut fehl am Platz. Dass sich Blanka bei ihrer Hochzeit mit dem polnischen Grafen nach Wissen um seine Untreue ausgerechnet mit einer Wodkaflasche der Marke Russkij Standart gütlich tut, no tak, nie wiem za bardzo.
Insgesamt ist von einer sprachlich sehr gut gearbeiteten, durch keinen intellektuellen Ziegenbart verstellten Aufführung zu berichten. Halbseidener Schmäh, Erotik im Dreivierteltakt und schwülstiger spätromantischer Orchesterklang fanden in der Inszenierung von Angela Schweiger einen Rahmen, der, was vor allem die Geschlechterrollen anlangt, das antiquierte Stück aus heutiger Warte verständlich und zugänglich macht. Die Entscheidung für eine halbszenische Aufführung erwies sich für den moussierenden Spaß in dieser sachte historisch eingebetteten Umsetzung als goldrichtig.
Dr. Ingobert Waltenberger